Die Archiv-Wühler
Peter Stegt und Hanno Parmentier räumen mit Legenden in Gerresheim auf. Die Ergebnisse veröffentlichen sie im „Gerrikuss“.
GERRESHEIM So richtig geglaubt hat an den Erfolg wohl niemand. Peter Stegt und Hanno Parmentier schon. Die Archive sind voll mit Geschichten über Gerresheim, es muss sich nur einer die Mühe machen, diese zu sichten und aufzuschreiben. Die beiden Historiker haben das gemacht, und die Ergebnisse waren ihrer Ansicht nach so spannend und aufsehenerregend, dass sie veröffentlicht werden sollten.
Das taten Stegt und Parmentier und gaben den „Gerrikuss“heraus. Nummer eins im Februar 2018 in einer Auflage von 200 Stück, „das mussten wir schon dreimal nachdrucken“, erklärt Parmentier. Die in der Folge alle drei Monate erschienenen Hefte fanden ebenfalls eine breite Leserschaft im Stadtteil und darüber hinaus. „Wir verschicken sogar welche nach Kalifornien und Malta“, sagt Stegt. Nur Nummer neun war ein Ladenhüter – wegen Corona, weil die Verkaufsstellen wie die Gerresheimer Bücherstube oder die Mayersche (plus vier weitere Läden) geschlossen waren. Das soll mit der zehnten Ausgabe wieder besser werden. Das Jubiläumsheft erscheint am 8. Juni.
Reich werden Parmentier und Stegt mit ihrem Hobby bestimmt nicht, „wir finanzieren mit der letzten immer nur die nächste Ausgabe“, erläutert Stegt, fünf Euro kostet das in der Regel 44 Seiten umfassende Druckwerk. Den beiden Idealisten macht es dabei aber vor allem einen diebischen Spaß, mit Legenden aufzuräumen. Und dabei werden sie inzwischen von vielen Menschen unterstützt, die seit Erscheinen des „Gerrikuss“im Keller oder auf dem Speicher in alten Kartons und Kisten nach Archivmaterial Ausschau halten, das den Herausgebern nützlich sein könnte.
Eine dieser Geschichten, die das Duo als Mär entlarvten, war die von Napoleon, der angeblich 1807 bei seiner Rückkehr aus Tilsit im Gerresheimer Gasthof Kaiserburg abgestiegen sein soll, sogar Postkarten gab es davon. „Stimmte aber gar nicht, er war mit seiner Entourage vielmehr im Schloss Jägerhof. Die Kaiserburg hieß schon so, da war Napoleon noch ein unbedeutender Kleinfranzose“, betont Parmentier.
Wellen geschlagen hat auch das Kapitel über Alwin Welsch, dem Ortsgruppenleiter der NSDAP in Gerresheim, über den lange wenig bekannt war, den Parmentier und Stegt aber dank Unterlagen aus dem Bundesarchiv in Berlin als strammen Nazi entlarvten.„Wir sind zum Beispiel auf Zeugenaussagen gestoßen, die belegen, dass Welsch dabei war, als in Gerresheim Wohnungen verwüstet wurden“, berichtet Stegt. In eine ähnliche Richtung ging die Geschichte vom Thingplatz am heutigen Dernbuschweg, von dessen Existenz wirklich nur alteingesessene Gerresheimer wussten. „Wir haben geschrieben, was dort ab 1934 alles stattgefunden hat“, sagt Parmentier. Heute erinnert auf dem überwucherten Gelände nur noch ein einsamer Monolith an das „braune Erbe“. Die Idee für diese Feierstätte der Nazis stammte nach Ansicht des Autoren-Duos sehr wahrscheinlich – man kann es sich fast schon denken – von Alwin Welsch. „Gerresheim ist für den Führer erobert“, schrieb er bereits 1933 in einer Festschrift.
Auch dass der Anstoß für die Errichtung der Außenstelle der Hildener Seidenweberei Gressard an der heutigen Dreifaltigkeitsstraße keineswegs von Ferdinand Heye kam (damit Frauen und Töchter der Glasbläser ein zusätzliches Einkommen hatten), haben die „Gerrikuss“-Macher recherchiert. „Es ging einfach nur darum, dass es in Hilden nicht mehr genug Arbeitskräfte gab, während im benachbarten Gerresheim das Potenzial riesengroß war“, so Parmentier. „Wir mussten daraufhin sogar an einer unserer Stelen des Industriepfades den Text ändern“, räumt Stegt ein.
Diese und andere Geschichten haben Peter Stegt (42) und Hanno Parmentier (70) eine treue Leserschaft beschert. „Und wir leiden nicht unter Themenarmut, das Gegenteil ist eher der Fall“, sagt Stegt. „Und das wird sich zum Glück auch so schnell nicht ändern.“