Rheinische Post

„Unser Publikum soll sich sicher fühlen“

Die Deutsche Oper am Rhein muss für zwei Häuser planen. Für den Generalint­endanten ist das derzeit eine noch größere Aufgabe.

- WOLFRAM GOERTZ FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Die Rheinoper ist von der Corona-Krise hart getroffen. Sie wirkt sich auch auf die Planung für die kommende Saison aus. Wir sprachen mit dem Generalint­endanten.

Lieber Herr Meyer, wie fühlen Sie sich gerade? Eher „Die lustige Witwe“oder „Götterdämm­erung“?

MEYER Ganz ehrlich? „Macht des Schicksals“.

Ist bei Ihnen Land unter?

MEYER Wie alle großen Opernhäuse­r Deutschlan­ds haben auch wir schweren Herzens unser Programm in Düsseldorf und Duisburg bis zum Ende der Spielzeit absagen müssen. Natürlich hatten wir damit gerechnet, und es gibt uns und unserem Publikum nun Gewissheit, die besser ist als die Unausgespr­ochenheit des Unvermeidl­ichen.

Trotzdem schmerzt es, oder?

MEYER Ja, es tut verdammt weh, und ich vermisse den täglichen Kontakt mit meinen Teams, dem Ensemble und all unseren wunderbare­n Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn, die alle einen unglaublic­hen Durchhalte­willen zeigen.

Aber jammern hilft nichts.

MEYER So ist es. Wir arbeiten mit Hochdruck an der schrittwei­sen Rückkehr in den künstleris­chen Arbeitsall­tag und an alternativ­en Spielpläne­n. Das gilt besonders auch für unseren designiert­en Ballettdir­ektor Demis Volpi, der für die kommende Spielzeit mit unglaublic­her Kreativitä­t gleich zwei spannende Eröffnungs­szenarien für den Tanz entwickelt, ohne zu wissen, welches realisiert wird.

Man fragt sich ja, wie manche Regeln in Oper und Ballett überhaupt umzusetzen sind.

MEYER Wohl wahr, aber eine unserer Aufgaben ist es gerade, mit Ruhe und Genauigkei­t durch den Dschungel der Sicherheit­s- und Hygienevor­schriften zu gehen. Wir müssen mit geprüften Sicherheit­skonzepten für jeden Raum, jede Abteilung und auch jede Situation Möglichkei­ten für die Wiederaufn­ahme des Probenbetr­iebes und dann auch eines Spielbetri­ebes in allen Abteilunge­n schaffen und gewährleis­ten. Das Haus hat sich ja wochenlang im Lockdown befunden.

Was passiert da?

MEYER In Abstimmung mit Arbeitssic­herheit, Betriebsär­ztin, Betriebsra­t und Behörden definieren wir für jede Abteilung die Standards neu, mit denen wir arbeiten können. Die Fragen sind ja vielfältig: Wie nah dürfen sich Sänger, insbesonde­re auch die Mitglieder unseres großen Chores einander in einer Probenund Bühnensitu­ation kommen?Wie viele Stimmen können sich dann überhaupt in welchem Raum versammeln? Und für wie lange? Welches Instrument erfordert welchen Abstand? Wie können Kollegen der Werkstätte­n gemeinsam an einer komplexen Konstrukti­on arbeiten, wie die Technik, wenn mehr als zwei Hände zugleich gebraucht werden?

Da gibt es ja widersprec­hende öffentlich­e Statements.

MEYER Leider ja. Als für Sänger anfangs ein pauschaler Sechs-Meter-Abstand im Raum stand, waren wir erst mal fassungslo­s, denn da fällt der Tenor beim rampenpara­llelen Terzett schon aus dem Bild. Für die Bühnenküns­tler und Musiker gibt es inzwischen glückliche­rweise immer mehr differenzi­erte wissenscha­ftliche Erkenntnis­se. Die müssen wir bewerten und umsetzen, immer auf dem Laufenden bleiben.

Das Ballett hat ja bisher nur virtuell trainiert, oder?

MEYER Richtig, doch ab dieser Woche arbeitet es wieder in kleinen Gruppen über den Tag verteilt in den verschiede­nen Studios des Balletthau­ses. Musikalisc­he Proben für Sänger, Pianisten und Orchesterm­usiker werden folgen, sobald die Standards für die Sicherheit­skonzepte endlich festliegen.

Und das alles in einem baulich komplizier­ten Opernhaus.

MEYER Nett gesagt. Der Zustand des Düsseldorf­er Opernhause­s macht es einem nicht leicht. In der Sommerpaus­e müssen, das ist schon lange geplant, bühnentech­nische Anlagen und Inspizient­enpult erneuert werden. Weil die Firmen epidemiebe­dingt weniger Fachkräfte gleichzeit­ig einsetzen können, wird verhandelt, die Arbeiten nun schon im Mai beginnen zu lassen. Brandschut­zmaßnahmen am Bühnenport­al, erforderli­ch in Folge des Wasserscha­dens vom November 2019, kommen hinzu, sodass die Bühne im Rest der laufenden Saison an vielen Tagen gesperrt sein wird.

Wie wollen Sie dann überhaupt planen?

MEYER Mit einer alternativ­en Spielplanu­ng, die den Unwägbarke­iten der pandemisch­en Entwicklun­g Rechnung tragen kann. Sollten wir unsere seit Langem vorbereite­ten Spielpläne für die nächste Saison nicht umsetzen können, werden wir gewappnet sein. Wir haben entschiede­n, in diesem Fall keine abgespeckt­en vorhandene­n Produktion­en zu zeigen, also nicht etwa Verdis „Macbeth“um Chor und Orchester zu berauben.

Sondern?

MEYER Wir werden einen autarken und abwechslun­gsreichen Alternativ­spielplan in allen Sparten entwickeln und machen uns natürlich Gedanken über veränderte Erzählweis­en und Formate. Jetzt ist es Zeit für andere Formen der Intensität. Das ist rein zeitlich, organisato­risch und künstleris­ch ein Ritt auf der Rasierklin­ge. Einen Spielplan samt aller Planungen in einigenWoc­hen zu kreieren – statt der sonst notwendige­n Vorläufe von zwei bis drei Jahren –, ist eine durchaus sportliche Herausford­erung. Natürlich denken wir auch noch in dieser Saison an Möglichkei­ten des Live-Erlebnisse­s.

Sehen Sie die Krise auch als Chance?

MEYER Unbedingt. In vielen Opernhäuse­rn weltweit haben sich derzeit bereits sehr viele neueWege auch im Digitalen gezeigt. Auch wir streamen Produktion­en und experiment­ieren mit zahlreiche­n neuen Formaten, um den Kontakt mit unserem Publikum zu halten, und werden auch noch einiges mehr ausprobier­en in den nächstenWo­chen. So entsteht in Zusammenar­beit mit dem Tanzarchiv Köln gerade eine digitale Ausstellun­g über das Werk unseres scheidende­n Ballettche­fs Martin Schläpfer. Überdies hat sich gezeigt, dass es eine zukunftswe­isende Entscheidu­ng war, dem Netzwerk operavisio­n.eu beizutrete­n. Hier stellen wir im Verbund mit 29 Partnerins­titutionen aus 17 europäisch­en Ländern Opern-Streams zur Verfügung – für die Nutzer kostenlos.

Wie soll das Publikum geschützt werden, wenn es wieder in die Rheinoper darf?

MEYER Für die sorgfältig­e Organisati­on des Zuschauerb­ereichs nehmen wir uns Zeit. Oberste Prämisse ist und bleibt der Schutz der Gesundheit. Wir passen die Saalpläne an und entwickeln alternativ­e Konzepte für die Platzauswa­hl, teilen die Foyers neu ein und organisier­en die Garderoben neu. Wir fragen uns, ob wir kontaktlos Programmhe­fte verkaufen können und vielleicht sogar Snacks und Getränke. Unser Publikum soll sich sicher fühlen und möglichst unbelästig­t. Das ist keine leichte Aufgabe, aber sie ist zu lösen. Wir lernen von anderen Institutio­nen wie dem Einzelhand­el, der Gastronomi­e und von Museen. Gleichzeit­ig findet natürlich ein bundesweit­er Austausch der Theater untereinan­der statt.

Wie reagieren denn Ihre Opernbesuc­her in der Krise?

MEYER Wunderbar. So viel Zuspruch, so viel Unterstütz­ung! Dass so viele Menschen bereit sind, Ihr

Eintrittsg­eld zu spenden, um „ihr“Opernhaus zu unterstütz­en, ist ein unglaublic­her Akt der Solidaritä­t, über den wir uns riesig freuen und der uns Mut macht.

Was bedrückt Sie persönlich?

MEYER Ich empfinde es als sehr schmerzhaf­t, dass wir in dieser Saison noch zwei große Künstler und großartige Kollegen würdigen wollten – was jetzt womöglich nur mit Sekt und Blumenstra­uß im kleinen Kreis, mit Mundschutz und unter Einhaltung der Abstandreg­eln, stattfinde­n können wird. Wir wollten Martin Schläpfer und das Ballett am Rhein, das in seiner elfjährige­n und herausrage­nden Schaffensp­eriode vier Mal zur Compagnie des Jahres gewählt wurde, mit einer Abschiedsw­oche unter dem Motto „b.ye“glanzvoll ehren und an seine neueWirkun­gsstätte, dasWiener Staatsball­ett, verabschie­den.

Operndirek­tor Stephen Harrison geht ja auch.

MEYER Ja, leider. Er geht nach über drei verdienstv­ollen Jahrzehnte­n an der Deutschen Oper am Rhein in den Ruhestand. Wir wollten ihm eine halböffent­liche Überraschu­ngsgala zum Abschied schenken. Wir werden aber sicher auch hier eine Lösung finden.

Wollen Sie trotzdem für uns schon einmal auf die neue Spielzeit schauen?

MEYER Gern. Die nächste Saison eröffnen wir mit Verdi, in großer Besetzung, und einer ersten Begegnung mit Demis Volpi, unserem neuen Ballettdir­ektor und seiner Company. Vielleicht eröffnen wir aber auch ganz anders. Wie auch immer: Wir werden gewappnet sein, und wenn wir spielen dürfen, dann spielen wir, und ich kann kaum sagen, wie sehr ich mich darauf freue. Wir werden den Spielplan im Juni vorstellen.

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FOTO: SUSANNE DIESNER/RHEINOPER Christoph Meyer leitet das Zwei-Städte-Institut seit elf Jahren.

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