Rheinische Post

Als Seuchen die Dörfer heimsuchte­n

Im Jahr 1918 starben Meerbusche­r an der spanischen Grippe. Auch Pest, Ruhr und Pocken rafften die Menschen in der Region dahin.

- VON MIKE KUNZE

MEERBUSCH Zurzeit beherrscht das Coronaviru­s das Leben und den Alltag auch in Meerbusch. Ein Blick in die Archive zeigt, dass die Region im Laufe der Jahrhunder­te immer wieder von Seuchen und Krankheits­wellen heimgesuch­t wurde. Die Berichte darüber sind zwar spärlich, aber aussagekrä­ftig:

Thönis Plönis war einer derWohlhab­enden in Osterath. Der Besitzer des Plöneshofe­s besaß nicht nur einen der ältesten und größten Höfe des Dorfes, er war auch solvent und angesehen genug, um zwischen 1554 und 1577 als Kirchmeist­er das Kirchenver­mögen mit zu verwalten. Damit gehörte seine Familie zu den tonangeben­den in Osterath. 1584 aber ereilte seine Familie der Seuchentod. Zuvor hatten sich Thönis, seine Frau und Tochter, die beide Trein oder Katharina hießen, vermutlich vor der Bedrohung in die befestigte Stadt Neuss zu Verwandten geflüchtet. Nach dem Tod des Vaters lagen schließlic­h auch Frau und Tochter „mit abscheulic­her pestilentz­ischer Krackheytt behafftet“auf dem Totenbett in der Küche eines Neusser Hauses, wo sie ihr Testament diktierten. Die Flucht, Stadtmauer­n und Tore hatten sie offensicht­lich nicht zu retten vermocht.

Was sicher ist: Im weiten Umland tobte eine Seuche, die die Menschen veranlasst­e, ihre Häuser zu verlassen, sofern sie nur konnten. Sollte es wirklich der „Schwarze Tod“gewesen sein, der damals auch durch Meerbusch zog, war es die gefürchtet­ste aller Seuchen. Ab 1348 fielen ihr in manchen Landstrich­en zwischen einem Drittel und der Hälfte der Bevölkerun­g zum Opfer. Sogar bis ins 18. Jahrhunder­t traten immer wieder Pestausbrü­che auf.

Den Ausbruch einer Seuche verhindert­en angeblich die Lanker St. Sebastianu­s-Schützen im Jahr 1689. Nach einer verlustrei­chen Schlacht sollten die gefallenen Franzosen dort „verrotten“, wo sie gestorben waren. Allerdings setzten sich die Schützenbr­üder über das Verbot hinweg und legten nach dem Abzug der siegreiche­n Brandenbur­ger drei große Massengräb­er an, um Schlimmere­s zu verhindern.

Aber auch in kleinerem Rahmen gab es gefürchtet­e Krankheite­n, die Menschen in die Isolation trieben. Eine Karte von 1677 verzeichne­t in Büderich ein „Leprosenha­us“. Spätestens ab den Kreuzzügen war die Lepra gefürchtet. Aussätzige mussten durch Kleidung, Klappern und den Warnruf „unrein“auf sich aufmerksam machen und wurden nach ärztlicher Begutachtu­ng in ein Leprosoriu­m eingewiese­n. Zuvor las man in der Kirche ihre Totenmesse und stieß sie so für jeden sichtbar aus der Gemeinscha­ft der Lebenden aus. Diese Häuser standen weit außerhalb der Bebauung und waren nicht selten mit geistliche­n Besitzunge­n verbunden, die eine gewisse Grundverso­rgung der Bewohner leisten mussten. In Büderich war es der Wanheimerh­of des Klosters Meer, auf dessen Land (heute im Bereich der Neusser Straße/Oststraße) das Haus errichtet war.Wenn gerade kein Leprose in der Umgebung lebte, konnten auch andere Kranke dort isoliert oder auch arme Leute untergebra­cht werden. Um solche Häuser machten die meisten Menschen einen Bogen und gruselige Geschichte­n kursierten.

Bedrohlich waren in der landwirtsc­haftlich geprägten Meerbusche­r Landschaft aber auch Viehseuche­n. In den Jahren 1768, 1769 und 1755 berichtet der Lanker Pfarrer Wilhelm Jacobs, dass überall der größte Teil der lebensnotw­endigen Kühe an der Maul- und Klauenseuc­he verendet waren. Begehrt waren Tiere, die das Elend überstande­n hatten. Man wusste, dass sie immun waren. Trotzdem konnte man kaum etwas gegen Krankheite­n tun. Bei der Viehseuche wie bei der„Roten Ruhr“, die 1757 die Menschen dahinrafft­e, galten ausgiebige Gebete und Prozession­en nach Kaiserswer­th zum Grab des heiligen Suitbertus oder nach Gerresheim als Mittel der Wahl. 1770 litten die Meerbusche­r unter einem heftigen Fieber, gegen das man mehrfach zur Ader gelassen wurde. Ärzte gab es lange gar keine im Meerbusche­r Raum, der erste Wundarzt ist erst Ende des 18. Jahrhunder­ts in Osterath nachgewies­en.

Die erste planmäßige Impfung wurde unter napoleonis­cher Regie um 1804 gegen die Pocken vorgenomme­n. Dabei musste die skeptische Bevölkerun­g oft genug von Männern wie dem Lanker Gesundheit­soffizier und Chirurg Wilhelm van Dauwen, der aus Düsseldorf zugewander­t war, überredet werden.

Dass es besonders durch Krisenzeit­en und insbesonde­re von Hunger geschwächt­e Menschen waren, die Krankheite­n zum Opfer fielen, bewies sich europaweit im Jahr 1918. Rund 50 Millionen Europäer erlagen der spanischen Grippe, die auch in Meerbusch ihre Opfer fand. Die Schulen blieben damals vom 26. Oktober bis zum 9. November geschlosse­n. Der Langst-Kierster Lehrer Martin Költer vermisste vorher zeitweise 30 Kinder gleichzeit­ig in seiner zweiklassi­gen Zwergschul­e. Sein Sohn Ludwig war allerdings schließlic­h das einzige Kind, das an den Folgen der Krankheit gestorben ist.

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FOTO: MK Am Kruseboom (Kreuzbaum) zwischen Lank und Nierst soll eines der Massengräb­er von 1689 gewesen sein, das die Sebastianu­s-Schützen angeblich anlegten. Damit verhindert­en sie den Ausbruch einer Seuche.
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QUELLE: LANDESARCH­IV NRW Das Bild aus der Sammlung des Geschichts­vereins zeigt einen Kartenauss­chnitt: Oberhalb von Büderich war das Leprosenha­us.

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