Überall Faschisten
In Krisenzeiten, auch jetzt bei den Corona-Protesten, fällt schnell das böse F-Wort. Aber was ist Faschismus? Wo kommt er her? Und was folgt daraus? Mussolini und Hitler mit der Tagespolitik zu verbinden, ist jedenfalls nicht hilfreich.
Er ist wieder da. Der Faschismus ist wieder da, jetzt, in der Krise. Beispiel Corona: Es dauerte nicht lange, da fiel in der Debatte um die Einschränkungen des Alltagslebens das böse F-Wort. Der Göttinger Staatsrechtler Hans Michael Heinig warnte vor dem Abgleiten in einen „faschistoid-hysterischen Hygienestaat“. Vom „Corona-Faschismus“ist in Online-Foren die Rede, und auch auf den Protesten der letzten Wochen fiel das Wort. Umgekehrt geht es allerdings ebenfalls: So sieht etwa die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha
Strobl bei den Corona-Demos Schnittmengen mit einem faschistischen Weltbild.
Erst drei Monate, politisch aber Ewigkeiten ist die groteske erste Ministerpräsidentenwahl von Erfurt her: CDU und AfD machten einen FDP-Mann zum Regierungschef. Linken-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow nannte das den „Pakt mit dem Faschismus“. Spätestens nach der zweitenWahl von Erfurt („Kein Handschlag mit Faschisten“, gemeint war Björn Höcke) war von Faschismus in erhöhter Frequenz die Rede.
„Faschist“als Kampfbegriff hat dabei einen weniger geläufigen, gehobeneren, sozusagen historischeren Klang als das abgegriffene, fast vulgäre „Nazi“. Das mag auch daran liegen, dass kaum jemand recht weiß, was ein Faschist eigentlich ist. Zeit also für den Versuch, etwas Ordnung zu schaffen.
„Faschismus“kennt drei Verwendungen: historisch sozusagen alsVor- und als Nachname, politisch als Schimpfwort. Der „Vorname“steht für die Bewegung, die Benito Mussolini 1919 in Italien gründete und die dort zwischen 1922 und 1945 Macht ausübte. Der „Nachname“meint das Phänomen derselben Epoche, als fast überall in Europa extrem nationalistische, rassistische Bewegungen entstanden, die Liberalismus und Demokratie ablehnten. Das Schimpfwort schließlich, als Synonym für„Feinde der
Demokratie“, erfreut sich ungebrochener Beliebtheit. „Everyone is someone's fascist“, stellte schon 1998 der Historiker Robert Paxton lakonisch fest: Jeder ist für irgendwen ein Faschist.
Dabei standen die ersten „Faschisten“links. In den 1890er Jahren schlossen sich in Sizilien proletarische Landarbeiter zu „fasci“, also „Bünden“, zusammen. Mussolini, ursprünglich ein Sozialist, gründete dann 1919 in Mailand seine „fasci di combattimento“: Kampfbünde. Seither ist der Name für seine Bewegung in der Welt. Richtig kompliziert wird es jetzt. Im Englischen unterscheiden Historiker „Fascism“mit großem und „fascism“mit kleinem F. Mussolini: „Fascism“. Die ideologische Familie seiner Nachahmer, von Spanien bis Rumänien: „fascism“. Insofern ist auch der deutsche Nationalsozialismus (ein) Faschismus. Und doch ist er gerade das nicht. Denn mit dem italienischen Ständestaat konnten die Nazis wenig anfangen. In Deutschland gab es, die Kirchen teils ausgenommen, spätestens ab 1938 keine unabhängigen Institutionen mehr. Undenkbar, Hitler einfach per Gremienbeschluss abzusetzen wie Mussolini 1943.
Zwar zielten Faschisten wie Nazis auf die völlige Erfassung des Menschen: Im Ansatz waren beide totalitär. Die Nazis aber trieben ihre Politik in bis dahin unvorstellbare Extreme. Auschwitz ist ihr Inbegriff. Auch der italienische Faschismus war zutiefst rassistisch. Einen industriellen Massenmord aber organisierte Mussolinis Regime nicht. Es leistete freilich Beihilfe. Und es ermordete in Äthiopien und Libyen Hunderttausende, unter anderem durch Giftgas.
Kommunisten und Sozialisten haben die Verwirrung komplett gemacht. Der Faschismus sei die extremste Form des Kapitalismus, behauptete die Kommunistische Internationale 1933. Zwar ist das Unsinn – Kapitalismus kann man viel besser demokratisch als diktatorisch organisieren –, aber es wirkte nach. DemVerständnis half auch nicht,
„Der inflationäre Gebrauch führt zu einer Verharmlosung“
Heinrich August Winkler Historiker
dass sozialistische Staaten das NS-Regime„(Hitler-)Faschismus“nannten. So sollte der geheiligte Sozialismus unbesudelt bleiben, aber es war unaufrichtig. Denn Gemeinsamkeiten gab es: Auch der Nationalsozialismus hatte egalitäre Züge (freilich nur für arische Deutsche); sein erstes Programm von 1920 ist ein Großangriff auf den Kapitalismus; Staat und Partei waren für Kommunisten wie Nazis alles, das Individuum nichts.
Und dann stellte 2019 auch noch das Verwaltungsgericht Meiningen fest, dass AfD-Gegner Björn Höcke Faschist nennen durften – dieses Werturteil beruhe „auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage“. Von da war es nicht weit zu dem Satz, die AfD insgesamt sei Exponentin des Faschismus. Das sagen nicht nur Linke, sondern etwa auch Konstantin Kuhle (FDP), der der AfD im Bundestag vorwarf, dort „Faschismus und Rassismus“auszuleben.
Historikern darf da flau werden. Politische Vergleiche, die auch nur in die Nähe des Nationalsozialismus führen, sind mit größter Zurückhaltung zu nehmen. Drohen die Corona-Einschränkungen die Demokratie zu zerstören? Sind sie nicht eher, typisch demokratisch, Ergebnis einer komplizierten Abwägung? Will „die“AfD eine Führerdiktatur errichten? Menschen in Massen ermorden? Oder ist sie ein mehrheitlich reaktionärer Haufen, der eher in die 50er als in die 30er zurückwill, dabei aber Faschisten, Antisemiten und Neonazis in seinen Reihen duldet? „Der inflationäre Gebrauch des Begriffs ,Faschismus' führt letztlich zu einer Verharmlosung“, mahnte jüngst in der„Welt am Sonntag“der Historiker Heinrich August Winkler.
Und er hat recht. Richtig ist freilich zugleich: Auch wer die repräsentative Demokratie in den Schmutz zieht wie die AfD in Erfurt (null Stimmen für den eigenen Kandidaten!), wer lustvoll Verfassungswidrigkeiten in Reihe fordert und den historischen Konsens aufkündigt, dass die Erinnerung an den Holocaust das Fundament der Bundesrepublik ist: Auch der ist eine Gefahr. Weil er ein Verächter von Liberalismus und Parlamentarismus ist, wie einst die Faschisten. Zwingend Faschist ist er deshalb nicht.