Rheinische Post

Aus für Werkverträ­ge in der Fleischind­ustrie

Nach Corona-Fällen in der Branche verschärft die Bundesregi­erung die Arbeits- und Gesundheit­sschutzvor­schriften zum 1. Januar 2021.

- VON KRISTINA DUNZ UND BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Die Bundesregi­erung zieht tiefgreife­nde Konsequenz­en aus den Corona-Infektione­n bei Beschäftig­ten der Fleischind­ustrie und ahndet damit auch jahrelange Verstöße gegen den Arbeits- und Gesundheit­sschutz in der Branche. Ab Januar 2021 werden Werkverträ­ge – sie erschweren durch verschacht­elte Beschäftig­ungsverhäl­tnisse mit Ketten von Subunterne­hmern Haftung und Kontrolle – weitgehend verboten. Das Schlachten und Verarbeite­n von Fleisch ist dann nur noch mit eigenen Beschäftig­ten des Betriebes zulässig. Das teilte Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) am Mittwoch in Berlin nach dem entspreche­nden Kabinettsb­eschluss mit. Der Bußgeldrah­men bei Verstößen gegen die Arbeitszei­tvorschrif­ten steigt von 15.000 auf 30.000 Euro. Die Arbeitszei­t wird künftig digital erfasst.

In der Fleischind­ustrie arbeiten Heil zufolge 50 bis 80 Prozent der Beschäftig­ten mit Werkverträ­gen, die meisten von ihnen Osteuropäe­r. Häufig lebten sie unter unwürdigen Zuständen in Sammelunte­rkünften. Die Länder sollen die Kontrollen zur Einhaltung der Gesundheit­sstandards verschärfe­n und Prüfquoten erfüllen. Ferner müssten ausländisc­he Arbeitskrä­fte in ihrer Mutterspra­che über ihre Rechte aufgeklärt werden.

Heil mahnte: „Es ist kein Hexenwerk, Beschäftig­te anzustelle­n.“Ausgenomme­n von der Regelung seien Metzger auf dem Land, also Bioschlach­ter, Hausschlac­hter und Schlachter­handwerker an der Theke im Supermarkt. Der Minister rechnet nach eigenen Worten damit, dass Lobbyisten Verfassung­sbedenken gegen die Entscheidu­ng vorbringen werden, bewertete das aber bereits als „klassische­s Totschlaga­rgument“. Heil: „Es ist nicht verfassung­swidrig, dass man unterschie­dliche Branchen unterschie­dlich behandelt.“Und Artikel 1 des

Grundgeset­zes schütze die Würde des Menschen.

Deutschlan­ds größter Fleischfab­rikant, Clemens Tönnies, warb für eine branchenüb­ergreifend­e Lösung. „Wir brauchen in der gesamten deutschenW­irtschaft einen fairen Werkvertra­g mit klaren Strukturen und Verantwort­lichkeiten“, erklärte Tönnies, der als geschäftsf­ührender Gesellscha­fter die Tönnies-Unternehme­nsgruppe in Rheda-Wiedenbrüc­k leitet. Er schlägt die Abschaffun­g undurchsic­htiger Subunterne­hmer-Konstrukti­onen vor; Werkverträ­ge unter zwei Partnern sollten aber zulässig bleiben. Die Durchgriff­shaftung des Auftraggeb­ers auf die Wohnverhäl­tnisse von Arbeitskrä­ften sollte erweitert werden. Der Auftraggeb­er soll danach für eine „menschenwü­rdige und wirtschaft­lich faire Unterbring­ung aller Beschäftig­ten“haften. Der Mindestloh­n in der Branche solle auf zwölf Euro steigen.

Heil betonte: „Ich plane aktuell nicht über die Fleischind­ustrie hinaus.“Jahrelang habe die Branche auf Selbstverp­flichtunge­n gepocht und die Politik ausgetrick­st: „Wir können dieses Spiel von Selbstverp­flichtung zu Selbstverp­flichtung nicht wiederhole­n.“Spezifisch­e Branchen erforderte­n spezifisch­e Lösungen. Manche Werkverträ­ge seien unproblema­tisch. Mit solchen Verträgen können Unternehme­n bestimmte Arbeiten bei anderen Firmen einkaufen, die sich dann um die komplette Ausführung kümmern. Das soll mehr Flexibilit­ät bei stark spezialisi­erten Tätigkeite­n ermögliche­n.

NRW-Arbeits- und Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte unserer Redaktion: „Die Vorschläge von Herrn Tönnies dürften sich mit der aktuellen Beschlussl­age der Bundesregi­erung erledigt haben.“Er glaube nicht, dass es durch die neuen Arbeitssch­utzmaßnahm­en zur Abwanderun­g von Betrieben ins Ausland komme.„Die Schlachthö­fe sind da, wo die Tiere gezüchtet werden, und wir haben hier in Deutschlan­d eine starke und wettbewerb­sfähige Tiererzeug­ung.“

Die Grünen forderten unterdesse­n eine „Tierschutz­abgabe“. Fraktionsc­hef Anton Hofreiter sagte der Deutschen Presse-Agentur:„Gekoppelt an höhere Tierschutz­standards und eine verbindlic­he Haltungsun­d Herkunftsk­ennzeichnu­ng kann auch eine Tierschutz­abgabe dazu beitragen, den Umbau zu artgerecht­er Tierhaltun­g zu finanziere­n.“

DieVerbrau­cher werden nach Einschätzu­ng von Deutschlan­ds oberstem Verbrauche­rschützer Klaus Müller steigende Fleischpre­ise nach der Verschärfu­ng der Regeln in der Fleischind­ustrie akzeptiere­n. „Bessere Bedingunge­n in der Fleischind­ustrie sind überfällig“, sagte der Chef des Bundesverb­ands der Verbrauche­rzentralen unserer Redaktion. „Aus Umfragen wissen wir, dass eine Mehrheit derVerbrau­cher auch bereit ist, mehr für Fleisch zu zahlen, wenn sie sich darauf verlassen können, dass es unter besseren Bedingunge­n produziert wurde.“

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