Rheinische Post

„Kinder müssen täglich zur Schule“

Nach der Entscheidu­ng, die Kitas in zweieinhal­b Wochen für alle zu öffnen, fordern Eltern nun ein Ende des Schulprovi­soriums.

- VON JÖRG JANSSEN RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN

Nach der Entscheidu­ng, die Kitas in zweieinhal­b Wochen für alle zu öffnen, fordern Eltern nun ein Ende des Schulprovi­soriums.

DÜSSELDORF Die Ankündigun­g von NRW-Familienmi­nister Joachim Stamp, vom 8. Juni an die Kitas und Tagespfleg­en für alle zu öffnen, sorgt für ein geteiltes Echo. „Was für Kita-Kinder gut ist, muss auch für Schüler, insbesonde­re für Grundschül­er, wieder möglich sein“, sagt Nele Flüchter. Die 38-Jährige, die sich in der Gruppe „Familien in der Krise“engagiert, weiß, wovon sie spricht. Ihre Tochter Anouk (5) geht in die Awo-Kita in den Schwanenhö­fen, Sohn Henry ist Zweitkläss­ler und erst seit ein paar Tagen in der Notbetreuu­ng. Damit zählt er zu einer Minderheit. „Ich konnte nicht mehr nur Homeoffice machen, da ich als Pädagogin mit Jugendlich­en zusammenar­beite“, sagt Flüchter, die schätzt, dass an Henrys Grundschul­e bislang gerade einmal 30 von mehr als 400 Jungen und Mädchen das besondere Angebot wahrnehmen. Der Grund: Die meisten Mütter und Väter arbeiten in Berufen, die von der Politik nicht als systemrele­vant eingestuft werden.„Und die gehen leer aus, obwohl das gesamte gesellscha­ftliche Leben mitsamt Jobs wieder hochgefahr­en wird“, bemängelt die Pädagogin.

Dieses Defizit hat auch Michail Knauel sehr deutlich wahrgenomm­en. „Die Stimmung drohte komplett zu kippen, weil viele Mütter und Väter nach zwei Monaten schlicht nicht mehr wissen, wie sie Betreuung und Arbeit unter einen Hut bringen sollen“, sagt der Sprecher der Düsseldorf­er Kita-Eltern. Die Entscheidu­ng des Familienmi­nisters begrüßt er. „Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass es plötzlich so schnell geht“, sagt er. Seine zwei Töchter Nora (2) und Eva (6) haben einen Platz in der Kita Wittenberg­er Straße. Seit ein paar Wochen waren sie nicht mehr da. Das wird sich jetzt ändern. Und bei der Älteren muss die Familie auch nicht bis zum 8. Juni warten. „Eva ist Vorschulki­nd. Sie darf schon ab Montag zurückkehr­en“, sagt Knauel. Gedanken macht er sich über die Zeit nach den Sommerferi­en.„Bliebe es dabei, dass in den Grundschul­en nur einmal pro Woche Präsenzunt­erricht stattfinde­t, hätte ich große Bauchschme­rzen. Das Modell mit ganz viel Homeschool­ing taugt ganz sicher nicht für die erste Klasse.“

Die sich auftürmend­en Defizite bei der Bildung und den sozialen Kontakten von Schülern hält auch Mareile Blendl nicht mehr für vertretbar. Ganze drei Mal soll ihr 15-jähriger Sohn bis zu den Sommerferi­en das Görres-Gymnasium von innen sehen. „So weit ich weiß, beschränkt sich der Präsenzunt­erricht an diesen Tagen auf jeweils zwei Stunden“, sagt die zweifache Mutter. Der Schule macht sie keinen Vorwurf, die setze ja am Ende bei beschränkt­en Raumkapazi­täten und geteilten Klassen nur dieVorgabe­n des Landes um. Aber klar sei, dass selbst bei Jugendlich­en digitale Lernkonzep­te nur begrenzt funktionie­ren. „Man soll beispielsw­eise einen Aufsatz neu schreiben, erfährt aber nicht, welche konkreten Defizite es in dem Stück gab“, sagt sie.

Hinzu komme, „dass Neuntkläss­ler den regelmäßig­en Austausch mit ihresgleic­hen brauchen.“

Nele Flüchter schätzt das genauso ein. „Erst seit mein Sohn über die Notbetreuu­ng die Schule wieder von innen sieht, nimmt er an Video-Formaten teil und kümmert sich um seinen Arbeitspla­n. Im reinen Homeschool­ing konnten wir ihn dazu einfach nicht motivieren und haben oft darüber gestritten.“Die Düsseldorf­erin nennt die Kita-Entscheidu­ng, die dem Beispiel Sachsens folgt, „das absolut richtige Signal“. Dennoch liege aber auf der Hand, dass damit bei den Eltern mit Schul- und Kita-Nachwuchs nur die Hälfte der Probleme gelöst werde. „Bei unserer letzten Demo am Burgplatz stand ein völlig verzweifel­tes Paar vor mir. Beide müssen wieder arbeiten, beide haben Jobs, in denen Homeoffice nicht mehr möglich ist. Und beide wissen einfach nicht, wo die Kinder von Montag an bleiben sollen“, sagt Flüchter.

Kritisch äußerte sich am Mittwoch die Gewerkscha­ft Komba, die die Interessen der Beschäftig­ten in den Kommunen vertritt. Unterschie­dliche Marschrich­tungen bei Kitas und Schulen stießen „auf Unverständ­nis“. Zudem führe das nun aufgenomme­ne Tempo, ohne die Ergebnisse aus den schrittwei­sen Öffnungen erst einmal abzuwarten, bei einigen Beschäftig­ten „zu großer Verunsiche­rung.“

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 ??  ?? Nele und Falko Flüchter mit Kita-Kind Anouk (4) und Schul-Kind Henry (8) vor der Awo-Kita in den Schwanenhö­fen
Nele und Falko Flüchter mit Kita-Kind Anouk (4) und Schul-Kind Henry (8) vor der Awo-Kita in den Schwanenhö­fen

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