„Kinder müssen täglich zur Schule“
Nach der Entscheidung, die Kitas in zweieinhalb Wochen für alle zu öffnen, fordern Eltern nun ein Ende des Schulprovisoriums.
Nach der Entscheidung, die Kitas in zweieinhalb Wochen für alle zu öffnen, fordern Eltern nun ein Ende des Schulprovisoriums.
DÜSSELDORF Die Ankündigung von NRW-Familienminister Joachim Stamp, vom 8. Juni an die Kitas und Tagespflegen für alle zu öffnen, sorgt für ein geteiltes Echo. „Was für Kita-Kinder gut ist, muss auch für Schüler, insbesondere für Grundschüler, wieder möglich sein“, sagt Nele Flüchter. Die 38-Jährige, die sich in der Gruppe „Familien in der Krise“engagiert, weiß, wovon sie spricht. Ihre Tochter Anouk (5) geht in die Awo-Kita in den Schwanenhöfen, Sohn Henry ist Zweitklässler und erst seit ein paar Tagen in der Notbetreuung. Damit zählt er zu einer Minderheit. „Ich konnte nicht mehr nur Homeoffice machen, da ich als Pädagogin mit Jugendlichen zusammenarbeite“, sagt Flüchter, die schätzt, dass an Henrys Grundschule bislang gerade einmal 30 von mehr als 400 Jungen und Mädchen das besondere Angebot wahrnehmen. Der Grund: Die meisten Mütter und Väter arbeiten in Berufen, die von der Politik nicht als systemrelevant eingestuft werden.„Und die gehen leer aus, obwohl das gesamte gesellschaftliche Leben mitsamt Jobs wieder hochgefahren wird“, bemängelt die Pädagogin.
Dieses Defizit hat auch Michail Knauel sehr deutlich wahrgenommen. „Die Stimmung drohte komplett zu kippen, weil viele Mütter und Väter nach zwei Monaten schlicht nicht mehr wissen, wie sie Betreuung und Arbeit unter einen Hut bringen sollen“, sagt der Sprecher der Düsseldorfer Kita-Eltern. Die Entscheidung des Familienministers begrüßt er. „Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass es plötzlich so schnell geht“, sagt er. Seine zwei Töchter Nora (2) und Eva (6) haben einen Platz in der Kita Wittenberger Straße. Seit ein paar Wochen waren sie nicht mehr da. Das wird sich jetzt ändern. Und bei der Älteren muss die Familie auch nicht bis zum 8. Juni warten. „Eva ist Vorschulkind. Sie darf schon ab Montag zurückkehren“, sagt Knauel. Gedanken macht er sich über die Zeit nach den Sommerferien.„Bliebe es dabei, dass in den Grundschulen nur einmal pro Woche Präsenzunterricht stattfindet, hätte ich große Bauchschmerzen. Das Modell mit ganz viel Homeschooling taugt ganz sicher nicht für die erste Klasse.“
Die sich auftürmenden Defizite bei der Bildung und den sozialen Kontakten von Schülern hält auch Mareile Blendl nicht mehr für vertretbar. Ganze drei Mal soll ihr 15-jähriger Sohn bis zu den Sommerferien das Görres-Gymnasium von innen sehen. „So weit ich weiß, beschränkt sich der Präsenzunterricht an diesen Tagen auf jeweils zwei Stunden“, sagt die zweifache Mutter. Der Schule macht sie keinen Vorwurf, die setze ja am Ende bei beschränkten Raumkapazitäten und geteilten Klassen nur dieVorgaben des Landes um. Aber klar sei, dass selbst bei Jugendlichen digitale Lernkonzepte nur begrenzt funktionieren. „Man soll beispielsweise einen Aufsatz neu schreiben, erfährt aber nicht, welche konkreten Defizite es in dem Stück gab“, sagt sie.
Hinzu komme, „dass Neuntklässler den regelmäßigen Austausch mit ihresgleichen brauchen.“
Nele Flüchter schätzt das genauso ein. „Erst seit mein Sohn über die Notbetreuung die Schule wieder von innen sieht, nimmt er an Video-Formaten teil und kümmert sich um seinen Arbeitsplan. Im reinen Homeschooling konnten wir ihn dazu einfach nicht motivieren und haben oft darüber gestritten.“Die Düsseldorferin nennt die Kita-Entscheidung, die dem Beispiel Sachsens folgt, „das absolut richtige Signal“. Dennoch liege aber auf der Hand, dass damit bei den Eltern mit Schul- und Kita-Nachwuchs nur die Hälfte der Probleme gelöst werde. „Bei unserer letzten Demo am Burgplatz stand ein völlig verzweifeltes Paar vor mir. Beide müssen wieder arbeiten, beide haben Jobs, in denen Homeoffice nicht mehr möglich ist. Und beide wissen einfach nicht, wo die Kinder von Montag an bleiben sollen“, sagt Flüchter.
Kritisch äußerte sich am Mittwoch die Gewerkschaft Komba, die die Interessen der Beschäftigten in den Kommunen vertritt. Unterschiedliche Marschrichtungen bei Kitas und Schulen stießen „auf Unverständnis“. Zudem führe das nun aufgenommene Tempo, ohne die Ergebnisse aus den schrittweisen Öffnungen erst einmal abzuwarten, bei einigen Beschäftigten „zu großer Verunsicherung.“