Das Virus des Antisemitismus
Die Corona-Krise wird begleitet von Verschwörungsmythen. Und sie knüpfen an uralte Beschuldigungen gegen Jüdinnen und Juden an. Wie Gemeinden damit umgehen und was Politik und Gesellschaft tun können.
Was geht in Menschen vor, die gegen Corona-Auflagen protestieren wollen und sich dazu gelbe Davidsterne annähen, auf T-Shirts drucken oder als Plakat um den Hals hängen? Und da, wo die Nazis „Jude“als Beschriftung vorschrieben, ein „Ungeimpft“hineinsetzen? Ist es der absichtliche oder unbedachte Versuch, den millionenfachen Mord an den Juden zu verharmlosen?
Die frühen Anzeichen eines eskalierenden Antisemitismus gar zu leugnen? Jedenfalls hat die Corona-Krise auch antisemitische Stimmungen wieder an die Oberfläche gespült. Zuerst im Netz, nun bei den öffentlichen Demonstrationen.
Die Stoßrichtung der verbreiteten Mythen scheint beliebig zu sein. Mal sollen „die Juden“das tödliche Virus in dieWelt gesetzt haben, um Andersgläubige zu töten. Mal sollen„die Juden“das Gegenteil betreiben, nämlich die Existenz eines Virus zu behaupten, das es gar nicht gebe, um unter diesem Vorwand die Freiheitsrechte weltweit außer Kraft zu setzen und die Weltherrschaft zu übernehmen. Wenn Israel Erfolge seiner Forscher auf der Suche nach einem Corona-Impfstoff meldet, nehmen das Vertreter beider Seiten als Beleg für ihre kruden Schablonen. Felix Klein, der Regierungsbeauftragte für jüdisches Leben und die Bekämpfung des Antisemitismus, erklärt das mit typischen Reaktionsmustern: „Die aktuelle Weltgesundheitskrise um Covid-19 schafft ein Klima der allgemeinen Verunsicherung, einige macht dies anfälliger für irrationale Scheinerklärungen.“
Bei einer Protestkundgebung in Bamberg tauchte ein Schild mit der Aufschrift „Coronavirus heißt Judenkapitalismus“auf. Auch hier werden uralte Stereotype zum Klingen gebracht – die von„den Juden“, die mit ihrem Geld für alles Böse auf dieser Welt verantwortlich gemacht werden könnten. In diesem Zusammenhang taucht der aus Ungarn stammende US-Milliardär George Soros als personifiziertes Feindbild auf. Dieser werde, so die Beobachtung des Verfassungsschutzes, „als eine Art Code-Element verwendet, um die Elitenkritik mit der Behauptung einer vermeintlich jüdischenWeltverschwörung zu verknüpfen“.
„Was wir im Moment erleben, überrascht mich leider nicht“, sagt der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Man kenne das halt aus der Geschichte: „In Krisen werden Schuldige gesucht.“Minderheiten, insbesondere Juden, würden immer zuerst als Schuldige genannt. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München, Charlotte Knobloch, bringt ihreWahrnehmung in ein bedrückendes Bild: Danach verbreiten sich „absurde Verschwörungstheorien“im gegenwärtigen Klima der Unsicherheit fast schneller als der Erreger selbst: Das Virus des Antisemitismus müsse politisch und gesellschaftlich gestoppt werden.
Die jüdischen Gemeinden werden nicht nur in den sozialen Netzwerken und bei Demonstrationen mit wüsten Wahnvorstellungen konfrontiert. Auch die Versuche, ein wenig Gemeindeleben durch die Verlagerung in den virtuellen Raum zu erhalten, nutzten aggressive Antisemiten. Gleich zweimal wurden etwa Zoom-Konferenzen der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf gekapert, die Mitglieder mit Nazi-Symbolen und Beschimpfungen konfrontiert.
Oded Horowitz, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf, hat eine Vermutung: „Wir Juden sind vielleicht für viele Menschen immer noch geheimnisvoll, und damit geraten wir schnell unter Verdacht.“Schließlich seien die Jüdinnen und Juden weiterhin nur 120.000 von 82 Millionen Menschen in Deutschland. „Das führt dazu, dass viele mit Juden nichts zu tun haben und jüdisches Leben nicht aus eigener Anschauung kennenlernen.“Für Horo
„Was wir im Moment erleben, überrascht mich leider nicht“
Josef Schuster Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
witz ergibt sich daraus eine klare Konsequenz: „Wir versuchen, uns so weit wie möglich zu öffnen, im Stadtleben präsent zu sein, damit alle sehen könne, dass bei uns nichts Geheimnisvolles abläuft.“
Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle sind jedoch die Vorkehrungen an den Eingängen zu Synagogen in ganz Deutschland verstärkt worden. Die Gemeinden geraten damit in einen fatalen Widerspruch: Einerseits wollen sie sich zu Recht stärker schützen vor Übergriffen und Gewalt. Andererseits wollen sie durch mehr Transparenz Verschwörungsmythen den Boden entziehen. „Das ist ein echtes Dilemma, und gerade das ist das Schlimme am jüdischen Leben heute und speziell in Deutschland“, sagt Horowitz.
Daniel Poensgen von der bundesweit arbeitenden Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus warnt: „Verschwörungstheorien sind keine legitime Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen, sie dienen immer auch zur Legitimation von Gewalt.“Er appelliert an alle Demokraten, sich stark abzugrenzen von Personen, die sich in dieser Form äußern, sonst machten sie sich mit deren Inhalten gemein. Zudem empfiehlt er: „Politik und Polizei müssen sensibler sein gegenüber aktuellen Ausdrucksformen von Antisemitismus und gegen antisemitische Äußerungen beispielsweise bei Demonstrationen konsequent vorgehen.“
Ähnlich sieht es der Regierungsbeauftragte: Wenn Demonstranten Judensterne mit der Aufschrift „Ungeimpft“trügen, dann sei das „absolut nicht hinnehmbar und sollte gegebenenfalls auch strafrechtlich verfolgt werden“, sagt Klein. Er fordert vor dem Hintergrund der starken Zunahme von antisemitischen Verschwörungsmythen im Internet, das Maßnahmenpaket gegen Hass und Hetze rasch umzusetzen. Zudem sieht er die Gesellschaft in der Pflicht. Der Zusammenhalt der Gesellschaft in Krisenzeiten könne nicht von oben verordnet werden. „Wir alle müssen dazu beitragen, Verschwörungsmythen zu entschlüsseln und öffentlich, etwa in den sozialen Medien, zu widerlegen.“