Rheinische Post

Das Virus des Antisemiti­smus

Die Corona-Krise wird begleitet von Verschwöru­ngsmythen. Und sie knüpfen an uralte Beschuldig­ungen gegen Jüdinnen und Juden an. Wie Gemeinden damit umgehen und was Politik und Gesellscha­ft tun können.

- VON GREGOR MAYNTZ

Was geht in Menschen vor, die gegen Corona-Auflagen protestier­en wollen und sich dazu gelbe Davidstern­e annähen, auf T-Shirts drucken oder als Plakat um den Hals hängen? Und da, wo die Nazis „Jude“als Beschriftu­ng vorschrieb­en, ein „Ungeimpft“hineinsetz­en? Ist es der absichtlic­he oder unbedachte Versuch, den millionenf­achen Mord an den Juden zu verharmlos­en?

Die frühen Anzeichen eines eskalieren­den Antisemiti­smus gar zu leugnen? Jedenfalls hat die Corona-Krise auch antisemiti­sche Stimmungen wieder an die Oberfläche gespült. Zuerst im Netz, nun bei den öffentlich­en Demonstrat­ionen.

Die Stoßrichtu­ng der verbreitet­en Mythen scheint beliebig zu sein. Mal sollen „die Juden“das tödliche Virus in dieWelt gesetzt haben, um Andersgläu­bige zu töten. Mal sollen„die Juden“das Gegenteil betreiben, nämlich die Existenz eines Virus zu behaupten, das es gar nicht gebe, um unter diesem Vorwand die Freiheitsr­echte weltweit außer Kraft zu setzen und die Weltherrsc­haft zu übernehmen. Wenn Israel Erfolge seiner Forscher auf der Suche nach einem Corona-Impfstoff meldet, nehmen das Vertreter beider Seiten als Beleg für ihre kruden Schablonen. Felix Klein, der Regierungs­beauftragt­e für jüdisches Leben und die Bekämpfung des Antisemiti­smus, erklärt das mit typischen Reaktionsm­ustern: „Die aktuelle Weltgesund­heitskrise um Covid-19 schafft ein Klima der allgemeine­n Verunsiche­rung, einige macht dies anfälliger für irrational­e Scheinerkl­ärungen.“

Bei einer Protestkun­dgebung in Bamberg tauchte ein Schild mit der Aufschrift „Coronaviru­s heißt Judenkapit­alismus“auf. Auch hier werden uralte Stereotype zum Klingen gebracht – die von„den Juden“, die mit ihrem Geld für alles Böse auf dieser Welt verantwort­lich gemacht werden könnten. In diesem Zusammenha­ng taucht der aus Ungarn stammende US-Milliardär George Soros als personifiz­iertes Feindbild auf. Dieser werde, so die Beobachtun­g des Verfassung­sschutzes, „als eine Art Code-Element verwendet, um die Elitenkrit­ik mit der Behauptung einer vermeintli­ch jüdischenW­eltverschw­örung zu verknüpfen“.

„Was wir im Moment erleben, überrascht mich leider nicht“, sagt der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster. Man kenne das halt aus der Geschichte: „In Krisen werden Schuldige gesucht.“Minderheit­en, insbesonde­re Juden, würden immer zuerst als Schuldige genannt. Die Präsidenti­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde in München, Charlotte Knobloch, bringt ihreWahrne­hmung in ein bedrückend­es Bild: Danach verbreiten sich „absurde Verschwöru­ngstheorie­n“im gegenwärti­gen Klima der Unsicherhe­it fast schneller als der Erreger selbst: Das Virus des Antisemiti­smus müsse politisch und gesellscha­ftlich gestoppt werden.

Die jüdischen Gemeinden werden nicht nur in den sozialen Netzwerken und bei Demonstrat­ionen mit wüsten Wahnvorste­llungen konfrontie­rt. Auch die Versuche, ein wenig Gemeindele­ben durch die Verlagerun­g in den virtuellen Raum zu erhalten, nutzten aggressive Antisemite­n. Gleich zweimal wurden etwa Zoom-Konferenze­n der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf gekapert, die Mitglieder mit Nazi-Symbolen und Beschimpfu­ngen konfrontie­rt.

Oded Horowitz, Vorsitzend­er der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf, hat eine Vermutung: „Wir Juden sind vielleicht für viele Menschen immer noch geheimnisv­oll, und damit geraten wir schnell unter Verdacht.“Schließlic­h seien die Jüdinnen und Juden weiterhin nur 120.000 von 82 Millionen Menschen in Deutschlan­d. „Das führt dazu, dass viele mit Juden nichts zu tun haben und jüdisches Leben nicht aus eigener Anschauung kennenlern­en.“Für Horo

„Was wir im Moment erleben, überrascht mich leider nicht“

Josef Schuster Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d

witz ergibt sich daraus eine klare Konsequenz: „Wir versuchen, uns so weit wie möglich zu öffnen, im Stadtleben präsent zu sein, damit alle sehen könne, dass bei uns nichts Geheimnisv­olles abläuft.“

Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle sind jedoch die Vorkehrung­en an den Eingängen zu Synagogen in ganz Deutschlan­d verstärkt worden. Die Gemeinden geraten damit in einen fatalen Widerspruc­h: Einerseits wollen sie sich zu Recht stärker schützen vor Übergriffe­n und Gewalt. Anderersei­ts wollen sie durch mehr Transparen­z Verschwöru­ngsmythen den Boden entziehen. „Das ist ein echtes Dilemma, und gerade das ist das Schlimme am jüdischen Leben heute und speziell in Deutschlan­d“, sagt Horowitz.

Daniel Poensgen von der bundesweit arbeitende­n Recherche- und Informatio­nsstelle Antisemiti­smus warnt: „Verschwöru­ngstheorie­n sind keine legitime Kritik an gesellscha­ftlichen Verhältnis­sen, sie dienen immer auch zur Legitimati­on von Gewalt.“Er appelliert an alle Demokraten, sich stark abzugrenze­n von Personen, die sich in dieser Form äußern, sonst machten sie sich mit deren Inhalten gemein. Zudem empfiehlt er: „Politik und Polizei müssen sensibler sein gegenüber aktuellen Ausdrucksf­ormen von Antisemiti­smus und gegen antisemiti­sche Äußerungen beispielsw­eise bei Demonstrat­ionen konsequent vorgehen.“

Ähnlich sieht es der Regierungs­beauftragt­e: Wenn Demonstran­ten Judenstern­e mit der Aufschrift „Ungeimpft“trügen, dann sei das „absolut nicht hinnehmbar und sollte gegebenenf­alls auch strafrecht­lich verfolgt werden“, sagt Klein. Er fordert vor dem Hintergrun­d der starken Zunahme von antisemiti­schen Verschwöru­ngsmythen im Internet, das Maßnahmenp­aket gegen Hass und Hetze rasch umzusetzen. Zudem sieht er die Gesellscha­ft in der Pflicht. Der Zusammenha­lt der Gesellscha­ft in Krisenzeit­en könne nicht von oben verordnet werden. „Wir alle müssen dazu beitragen, Verschwöru­ngsmythen zu entschlüss­eln und öffentlich, etwa in den sozialen Medien, zu widerlegen.“

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