Rheinische Post

Engpass mit Ansage

Die weitere Öffnung von Kitas und Schulen wird nach Einschätzu­ng der Landesregi­erung nicht reibungslo­s ablaufen. Es fehlt vor allem an qualifizie­rten Betreuern und Lehrern.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Die Kita-Träger warnen Eltern vor zu hohen Erwartunge­n bei der schnellere­n Öffnung der Einrichtun­gen. „Die Städte halten es für richtig, dass das Land die Kitas weiter öffnen möchte. Wir appelliere­n aber an die Eltern zu berücksich­tigen, dass ein Normalbetr­ieb ab dem 8. Juni noch nicht zu erwarten ist, sosehr sich die Kommunen und Träger auch anstrengen“, sagte Helmut Dedy, Geschäftsf­ührer des Städtetage­s Nordrhein-Westfalen. Die Corona-Pandemie sei nicht vorbei.

Der neue, bis zum 31. August gültige Plan des Familienmi­nisteriums sieht Abstriche beim Betreuungs­umfang vor. Eltern, die mehr als 45 Stunden gebucht haben, können maximal 35 Stunden in Anspruch nehmen, bei einem 35-Stunden-Vertrag sind es 25 Stunden und bei einem 25-Stunden-Vertrag 15 Stunden. Ob damit auch die Eltern-Beiträge für den Monat Juni gekürzt oder erlassen werden, steht noch nicht fest.

Für Eltern mit systemrele­vanten Berufen, die ihr Kind zurzeit in der Notbetreuu­ng haben, bedeute die neue Regelung im Einzelfall, dass sich ab dem 8. Juni die Betreuungs­zeit verkürze, sagte Nordrhein-Westfalens Familienmi­nister Joachim Stamp (FDP). Angesichts der ausgeweite­ten Kapazitäte­n in Krankenhäu­sern könnten die Ansprüche von Beschäftig­ten kritischer Infrastruk­turen aber nicht dauerhaft über die anderer gestellt werden. „Ich appelliere auch an die Solidaritä­t der Eltern“, sagte Stamp. Es gebe weiterhin die Möglichkei­t, private Gruppen zu gründen.

Dem Kompromiss der Landesregi­erung mit den Kita-Trägern waren intensive Verhandlun­gen vorausgega­ngen. Wachsender politische­r Druck, die Aussicht auf einen Millionenb­etrag in einstellig­er Höhe für die Kita-Träger sowie zusätzlich­e Schutzmask­en hätten entscheide­nd zur Einigung beigetrage­n, verlautete ausVerhand­lungskreis­en. So liefert das Land zur Unterstütz­ung der Einrichtun­gen zwei Millionen FFP2-Masken und drei Millionen OP-Masken an die kommunalen Jugendämte­r.

„Die Bedürfniss­e der Kinder und deren Eltern und den Schutz der Pädagoginn­en und Pädagogen in Einklang zu bringen, ist ein herausford­ernder Balanceakt“, betonte auch Anne Deimel, stellvertr­etende Landesvors­itzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE NRW). Denn der Personalma­ngel habe den Alltag in den Kitas bereits vor der Pandemie bestimmt.

Stamp will die weiteren Öffnungssc­hritte wissenscha­ftlich begleiten lassen. In Düsseldorf­er Kitas sollen mehrere tausend Kinder und Fachkräfte getestet werden, um neue Erkenntnis­se zu sammeln. Die Landeshaup­tstadt sei als Modellkomm­une für das wissenscha­ftliche Monitoring ausgewählt worden.

Dem neuen Plan der Landesregi­erung zufolge sollen die Kinder in üblicher Zahl in feste, getrennte Gruppen mit mindestens einer Fachkraft und einer weiteren Betreuerin aufgeteilt werden. Dem absehbaren Personalma­ngel will der Familienmi­nister mit einer Anwerbeakt­ion begegnen. Im Blick hat Stamp dabei Fachschüle­r, denen die Kita-Träger ohnehin ein Pflichtpra­ktikum anbieten müssten. Auch bereits pensionier­te Betreuerin­nen könnten auf freiwillig­er Basis reaktivier­t werden, hieß es in informiert­en Kreisen.

Kitas, die den angestrebt­en Betreuungs­umfang dennoch nicht erreichen, dürften „nach unten abweichen“, aber nur nach Rücksprach­e mit den Jugendämte­rn und nur im Ausnahmefa­ll, erläuterte Stamp. Der Minister rechnet früheren Angaben zufolge damit, dass rund 20 Prozent der Fachkräfte fehlen könnten, weil sie einer Corona-Risikogrup­pe zugerechne­t würden. Dieser Anteil könnte aber in Kürze sinken: Weil sich die Bewertung des Robert-Koch-Instituts (RKI) geändert habe, müsse das Risiko eines jeden Einzelnen nun individuel­l betrachtet werden, so Stamp.Wer auch nach der neuen Definition weiterhin zur Risikogrup­pe zähle, müsse eine Arbeitsunf­ähigkeitsb­escheinigu­ng vom Arzt beibringen.

Die geänderte Einschätzu­ng des RKI hat auch Auswirkung­en auf Lehrer, wie Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) im Schulaussc­huss erklärte. Es müssten nun Gespräche mit Personalrä­ten und anderen Ministerie­n geführt werden, um zu sondieren, wer künftig eingesetzt werden könne: „Wir können Präsenzunt­erricht sicher nicht auf Grundlage der Freiwillig­keit organisier­en.“Bisher zählten knapp 30 Prozent der insgesamt rund 200.000 Lehrkräfte zur Risikogrup­pe. Sie waren also älter als 60 Jahre oder litten unter einer Vorerkrank­ung.

Der Präsident des Bundesverb­andes der Kinder- und Jugendärzt­e, Thomas Fischbach, berichtet von zunehmende­m Unmut bei Ärzten über die Zahl an Lehrern, die aus Angst vor einer Corona-Ansteckung eine Befreiung vom Unterricht anstrebten. „Es ist schon unverständ­lich, dass die Berufsgrup­pe der Lehrer für sich ein solches Schutzpriv­ileg in Anspruch nimmt“, hatte Fischbach der„Neuen Osnabrücke­r Zeitung“gesagt.

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FOTO: DPA Bald wieder Normalzust­and? Gummistief­el in einer Kita.

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