Rheinische Post

„Pflegekräf­te müssen eigenständ­ig handeln“

Der Pflegebeau­ftragte der Bundesregi­erung fordert neue Befugnisse und garantiert­e Besuchsmög­lichkeiten.

- EVA QUADBECK FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

In der Corona-Krise wurden die Personalun­tergrenzen auf den Intensivst­ationen ausgesetzt. Ist es Zeit, diese wiederherz­ustellen?

WESTERFELL­HAUS Ja. Zu Beginn der Krise war das richtig, weil wir nicht wussten, wie sich die Versorgung­ssituation in kurzer Zeit entwickeln wird. Deswegen wurde zudem die Möglichkei­t geschaffen, die Arbeitszei­ten zu verlängern. Die Krankenhäu­ser kommen aktuell mit dem Infektions­geschehen aber gut klar. Jetzt müssen die alten Regelungen schnell wieder eingesetzt werden, denn sie dienen der Sicherheit der Patienten und verhindern eine Überforder­ung des Personals.

Wie sieht es mit der Offensive für die Pflege aus?

WESTERFELL­HAUS Wir müssen den Beruf weiter attraktive­r machen und für Ausbildung werben. Wir werden das notwendige Personal nicht bekommen, wenn wir den Pflegekräf­ten nicht endlich mehr Kompetenze­n geben. Die Pflegekräf­te müssen stärker eigenständ­ig fachübergr­eifend mit Heilberufe­n wie Physiother­apeuten und Ärzten zusammenar­beiten können. Wir können nicht über Wertschätz­ung reden, wenn die Kompetenze­n der gut ausgebilde­ten Pflegekräf­te verschleud­ert werden, weil sie nicht nach ihren Fähigkeite­n eingesetzt werden dürfen. Die Pflegekräf­te können nicht länger nur als Assistenz der Ärzte gesehen werden. Sie müssen eigenständ­ig handeln dürfen. Sie brauchen auch Budgetvera­ntwortung.

Geben Sie mal ein Beispiel.

WESTERFELL­HAUS Pflegekräf­te im ambulanten Bereich sind die Ersten, die eine chronische Wunde sehen und diagnostiz­ieren. Sie könnten eine therapeuti­sche Entscheidu­ng treffen, dass zum Beispiel eine Wundauflag­e eingesetzt werden muss. Das könnten sie aufgrund ihrer Kompetenz, dürfen es aber leistungsr­echtlich nicht. Das müssen wir ändern.

Ein hohes Ansteckung­srisiko haben die Bewohner von Pflegeheim­en. Rechtferti­gt das Besuchsver­bote?

WESTERFELL­HAUS Der Schutz der Pflegebedü­rftigen vor Infektione­n darf nicht dazu führen, dass die Menschen vereinsame­n. Die Bewohner von Pflegeheim­en sind nicht nur aktuell durch das Coronaviru­s gefährdet. Oft gibt es in Pflegeheim­en auch andere für die Bewohner gefährlich­e Krankheits­ausbrüche, wie durch das Norovirus. Zum Standard von Pflegeheim­en sollte deshalb künftig gehören, dass es auch in Zeiten von Infektions­wellen und Pandemien Besuchsmög­lichkeiten gibt – zum Beispiel in abgetrennt­en Besuchszon­en, in denen sich Pflegeheim­bewohner und Angehörige in einem wohnlichen Umfeld durch eine Scheibe getrennt sehen können. Aber auch für nicht mobile Bewohner, Bewohner mit Demenz und andere, die solche Zonen nicht nutzen können, müssen Möglichkei­ten geschaffen werden. Ganz klar ist für mich auch:Wer im Sterben liegt, muss immer zumindest eine definierte Person zum Abschied bei sich haben können.Wenn wir das nicht sicherstel­len, werden viele Menschen Angst vor einem Umzug in ein Pflegeheim haben.

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FOTO: OBS Andreas Westerfell­haus, Jahrgang 1957, ist seit 2018 Pflegebeau­ftragter.

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