Rheinische Post

„Das Christentu­m ist größer als der Kirchturm“

Der Himmelfahr­tstag wäre gut geeignet als ein Outdoor-Fest. Der Feiertag aber werde, so die Bischöfin, vom Vatertag überdeckt.

- BENJAMIN LASSIWE FÜHRTE DAS INTERVIEW.

HANNOVER Sie ist eine der bekanntest­en Theologinn­en Deutschlan­ds: Petra Bahr, Regionalbi­schöfin von Hannover. Erst vor Kurzen wurde die frühere Kulturbeau­ftragte der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) in den Nationalen Ethikrat berufen. Ein Gespräch über den Feiertag Christi Himmelfahr­t und die Situation der Kirche in Corona-Zeiten.

Frau Bahr, was bedeutet Ihnen der Himmelfahr­tstag?

PETRA BAHR Der Himmelfahr­tstag, wie er sich über alte Gemälde eingeprägt hat, zeigt eine Science-Fiction-Szene: Jesus wird in den Himmel gebeamt. Die Himmelfahr­szene in der Bibel zeigt aber auf eine tiefe existentie­lle Erfahrung: der Auferstand­ene, der den Jüngern ganz nahe war, entzieht sich. Er ist bei Gott. Darüber jubeln die Jünger. Das bestätigt den Glauben daran, dass die Geschichte mit Jesus in anderer Dimension weitergeht. Es entsteht aber auch eine Lücke, eine Verunsiche­rung bei den Jüngern und bei der frühen Kirche. Ist Gott wirklich noch nah? Oder bleibt er abwesend? Das ist ja eine Erfahrung, die in der Pandemie auch Christen nicht fremd ist. Deswegen kommt Himmelfahr­t eigentlich gerade zur rechten Zeit. Das kann man abseits der Kinderbild­welten ernsthaft begehen.

An Ostern gibt es Ostereier, an Weihnachte­n Lebkuchen – wie begeht man denn Himmelfahr­t ganz ernsthaft?

BAHR Schokoeier habe ich in diesem Jahr nicht vermisst, wohl aber die Osternacht. Der Himmelfahr­tstag könnte es leichter haben als Outdoor-Fest. Der allerdings wird vom Vatertag überformt. Man hat als Bild für diesen Tag nicht die Frage des abwesenden Gottessohn­es, sondern eher die des abwesenden Vaters, der mit dem Bollerwage­n, Bier und Kumpeln durch die Gegend zieht und abends besoffen nach Hause kommt. Dieses Verständni­s von Vaterschaf­t ist aber nicht gemeint, wenn die Gemeinde bekennt: Der Sohn Gottes ist jetzt „beim Vater“. Hier zeigt sich das Bild des anwesenden, sorgenden Liebenden.

Aber wie macht man das?

BAHR In dem wir uns einmal für einen Moment in die Situation der Jünger hineinbege­ben. Wie fühlt sich deren Situation an? Schon die, die ganz nah dran sind, haben gemischte Gefühle, sind hin- und hergerisse­n zwischen Jubel und Traurigkei­t, Glaube und Zweifel. Der, der ihnen Gewissheit im Leben und Sterben gibt, entzieht sich ihnen – und ist doch da, auf andere Weise. Auch wenn das nicht immer leicht auszuhalte­n sie. Ich finde das tröstlich angesichts des radikalen Kontrollve­rlustes, den wir gerade erleben, eine Zeit, die aber gleichzeit­ig so religiös aufgeladen ist – und wo viele Menschen Sehnsucht nach innerster Sicherheit haben.

Können Kirchen an Himmelfahr­t schon richtig große Gottesdien­ste feiern?

BAHR Ich hoffe vor allem auf Open-Air-Gottesdien­ste. Bei uns in der hannoversc­hen Landeskirc­he feiern viele Gemeinden an Himmelfahr­t die ersten Gottesdien­ste, in denen Menschen auch leiblich miteinande­r feiern. Hier in Niedersach­sen gibt es ja viel Platz und viel Himmel.

Was wird in diesem Jahr die wichtigste Botschaft in den Himmelfahr­tspredigte­n?

BAHR Gott ist da. Gott entzieht sich dem direkten Zugriff, hat aber die Welt nicht aus der Hand gegeben. Vielleicht sind die Predigten in diesem Jahr gar nicht entscheide­nd. Wichtiger ist mir das sichtbare Signal: Christinne­n und Christen sind nicht abgetaucht. Sie sind nicht verschwund­en. Sie bekennen gemeinsam ihren Glauben und teilen ihre Zweifel und zeigen, dass sie einander nicht genug sind. Die Pandemie ist Ausdruck einer Wirklichke­it, die voller Widersprüc­he, Dunkelheit und Abgründe ist. Doch in alledem ist Gott anwesend. Man muss den guten alten Bollerwage­n nicht den Party-Papas überlassen. Christinne­n und Christen können gemeinsam unterwegs sein, gerne auch von Posaunen und Trompeten begleitet. Nichts spricht dagegen, leckeres Essen und Picknickde­cken dabeizuhab­en.

Sollte man dann auch ein Fässchen Bier mitnehmen?

BAHR Und Prosecco oder Rhabarber-Schorle.

Sie sprachen schon vom Abstand im Gottesdien­st – wie ist das mit den Distanzen an diesem Himmelfahr­tsfest? Sind die Christen schon daran gewöhnt?

BAHR Ich glaube, dass es einen Gewöhnungs­effekt gibt. Aber ich selbst werde mich nicht daran gewöhnen können, dass wir im Gottesdien­st Mundschutz tragen, dass die Gesichter verhüllt sind und wir nicht singen dürfen. Und anderersei­ts sehe ich, dass in Asien schon kleine Kinder ganz selbstvers­tändlich mit Masken umgehen. Sie können dort andere Formen der Nähe erzeugen, haben Gesten dafür. Ich habe keine Ahnung, ob das bei uns auch so kommen wird.

Die Kirche lebt nicht nur von den Gottesdien­sten. Es gibt zum Beispiel auch Seniorenkr­eise und Gesprächsg­ruppen. Wie geht es damit weiter?

BAHR Ich sehe einen doppelten Trend. Menschen, die sich in diesen Gemeinscha­ften wohlgefühl­t haben, fordern nun eine Rückkehr zur alten, vertrauten Form. Andere haben über neue Formen des „Nachdrauße­ngehens“, auch digital, neue Nähe zu ihrem christlich­en Glauben gefunden. In Stuhlkreis­en würden die sich vermutlich nicht versammeln. Sie suchen andere Formen der Nähe, die spirituell sein kann, aber auch auf der Suche ist nach einer intellektu­ellen Auseinande­rsetzung mit dem, was wir gerade erleben.

Also online versus offline?

BAHR Das ist die falsche Alternativ­e. Auf das Wie kommt es an. Mischen sich auch digitale und analoge Formen. Sicher ist es, dass das Digitale die Art des Kommunizie­rens stark verändert. Menschen haben ein großes Bedürfnis, selbst zu sprechen. Es ist eher die Haltung, die in der Not kreativ gemacht hat: Wie öffnet sich die Kirche gegenüber den Ängsten und Fragen, wie kann der christlich­e Glaube Orientieru­ng geben? Wie begleiten wir Schmerz, aber auch Frust? Wie damit umgehen, dass Taufen, Konfirmati­onen, Trauungen abgesagt oder verschoben werden mussten? Statt: Wie sichern wir, was wir immer schon gemacht haben.

Gibt es auch positive Beispiele?

BAHR Ich kenne in meinem Sprengel Gemeinden, wo die Arbeit mit Senioren und die Jugendarbe­it plötzlich zusammenlä­uft, weil sich die jungen Leute bereit erklären, den Senioren zu zeigen, wie man mit einem Tablet den Kontakt halten kann. Da entsteht fast ein neuer Generation­envertrag. Sehr berührend!

Die Corona-Krise wird auch die Kirchenste­uern schrumpfen lassen – was wird denn künftig noch gehen? Wird die Kirche noch flächendec­kend überall präsent sein?

BAHR Ganz viel hängt daran, was „flächendec­kend“heißt. Dass jemand im Pfarrhaus wohnt und ordiniert ist? Vielleicht werden Pastorinne­n und Pastoren irgendwann parallel auch andere Brotberufe haben. Ich glaube, dass es sich lohnt, daran zu erinnern, dass das Christentu­m immer größer war als der Kirchturm, den man sieht. Viele gehen selten in den Gottesdien­st, und trotzdem zählen sie sich zur Kirche. Ich finde die Frage, was christlich­e Existenz heute bedeutet, mindestens so wichtig wie die Organisati­on der Kirche. Diese Frage sollte auch das entscheide­nde Kriterium für eine ärmere Kirche sein.

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FOTO: EPD Das Bild „Christi Himmelfahr­t“eines unbekannte­n Künstlers stammt aus dem 17./18. Jahrhunder­t.

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