Rheinische Post

Blinder Auftragsmö­rder im Herbst des Lebens

Der Arthouse-Film „Man from Beirut“debütiert als erster deutscher Film in den Autokinos. Die Inszenieru­ng ist schlicht, aber packend.

- VON CARSTEN PFARR

Die Kinowelt hat sich in den vergangene­n Wochen verändert. Man sitzt nicht mehr in großen Sälen, eng beieinande­r, auf mehr oder weniger bequemen Sesseln und führt mit dem Nachbarn einen heimlichen Kampf um die Armlehne. Heute steckt man zu zweit in einem Auto, um die wenigen Blockbuste­r zu genießen, die nicht auf Streaming-Plattforme­n zu sehen sind. Autokino. Und in genau dieser Zeit feiert der Film„Man from Beirut“Premiere. Das Krimidrama wurde bereits im November beim „Black Nights Film Festival“in Tallinn präsentier­t, und jetzt endlich kann es die breite Öffentlich­keit sehen – vom Autositz aus.

„Am Ende des Tages musst du wissen, wer du bist. Weißt du, wer du bist?“

Momo Auftragsmö­rder

Der Schweinfur­ter Regisseur Christoph Gampl lässt mit seinem neuen Werk das Genre Film noir in Deutschlan­d wieder aufleben.„Man from Beirut“wird in schwarzwei­ß und dem klassische­n Bildformat 4:3 präsentier­t. Gerade einmal 14 Drehtage und ein Budget von 250.000 Euro stecken in dem Projekt. Und dennoch kann es mit bekannten Gesichtern überzeugen – darunter „4 Blocks“-Hauptdarst­eller Kida Khodr Ramadan, der in „Man from Beirut“sowohl die Hauptrolle, als auch die Rolle des Co-Produzente­n übernimmt.

Die Geschichte erzählt von einem trostlosen Berlin, und von dem in die Jahre gekommenen Auftragsmö­rder Momo. Das Besondere: Momo (Kida Khodr Ramadan) ist blind. Ein Auftrag, zu dem ihn wie üblich sein treuer Weggefährt­e Kadir (Blerim Destani) kutschiert, verläuft nicht nach Plan. Momo tötet zwei Zielperson­en, verschont aber die kleine Junah (gespielt von Ramadans Tochter Dunja) und nimmt sie mit, stellt sie unter seinen Schutz. Der Konflikt ist programmie­rt: Kadir zweifelt an Momos Handeln. Auftraggeb­er Attaché (James Biberi) weist Killerin Jessica (Susanne Wuest) an, Momo, Kadir und Junah zu töten. Derweil zerbricht sich Momo den Kopf, wie er die kleine Junah beschützen kann, die sich bereitwill­ig in seine Obhut begibt.

Ein ungleicher Wettkampf beginnt: Auftragsmö­rder Momo ist offensicht­lich nicht mehr in Form, wirkt zuweilen wackelig und angespannt. Doch lässt er sich das nicht anmerken, zeigt sich vor anderen kalt, berechnend und autoritär. Auch ist er gut vernetzt in Berlin, jener Stadt, in der er seit 40 Jahren lebt. Momo muss in der Vergangenh­eit Großes vollbracht haben – zumindest wird ihm entspreche­nd Respekt gezollt. Diese Vorteile hat Gegenspiel­erin Jessica nicht. Allerdings ist sie in Topform und wird sogar als „die Beste“in ihrem Job betitelt. Zwar ist sie nur zu Gast in Berlin, doch auch diesen Malus gleicht Jessica aus: Sie denkt stets mehrere Schritte voraus. Wortkarg, berechnend und arrogant verfolgt sie ihren Auftrag und scheut dabei nicht die Konfrontat­ion – immer mit Blick auf das Ziel.

Zeitlich strukturie­rt ist der Film in Wochentage, die mit simpler weißer Schrift auf schwarzem Hintergrun­d benannt werden. Eine Schrift, wie sie auch in den Eröffnungs­sequenzen und dem Abspann zu finden ist. Schlicht, aber ausdruckss­tark – wie auch die Inszenieru­ng der gesamten Produktion. Kamerafahr­ten aus der Vogelpersp­ektive („top shots“) über die Straßen Berlins oder das Meer leiten stimmig von Szene zu Szene. „Man from Beirut“kommt mit wenigen Schauspiel­ern, wenigen Statisten aus. Ebenso antworten die Charaktere regelmäßig nicht auf Fragen, lassen das Schweigen für sich sprechen.Wut und Angst dominieren die Emotionswe­lt der Figuren. Lediglich Hauptchara­kter Momo zeigt im Zusammensp­iel mit Schützling Junah echte, positive Emotionen. Mit wankenden Schritten versucht er, eine

Vaterfigur zu mimen. Ferner geben Off-Erzählunge­n des Hauptdarst­ellers auf Arabisch einen Einblick in seine Gedankenwe­lt. In Berlin fühlt er sich auch nach vier Jahrzehnte­n noch als Fremder. Er hat den Wunsch, die deutsche Großstadt zu verlassen und nach Beirut auszuwande­rn – vielleicht sogar mit dem Kind.

Während einige Unklarheit­en im Laufe des Filmes aufgedeckt werden, bleiben andere – und zum Teil essenziell­e – auf der Strecke. Etwa die Frage nach dem Grund des initialen Auftragsmo­rdes. Oder wie es zum plötzliche­n Sinneswand­el des skrupellos­en Auftragski­llers Momo

kommt. Selbst die Figuren betrachten mit Argwohn, was mit Momo geschieht. Wieso zweifelt der Auftragski­ller jetzt sein Ich an? Wieso verschont er eben dieses, eigentlich fremde Kind, zu dem die Beziehung erst aufgebaut wird? Und auch über dieVergang­enheit der Hauptfigur erfährt der Zuschauer zu wenig.

„Man from Beirut“erzählt eine skurrile Geschichte, die trotz (oder gerade wegen) der einfachen Szenerien mit seichter musikalisc­her Untermalun­g fesselt. Der Hauptdarst­eller wirkt immer angreifbar, und der Zuschauer fiebert mit. Man befürchtet, dass Momo verraten wird, dass er einen falschen Schritt macht, dass er das Kind letztendli­ch nicht beschützen kann. Einige Aspekte der Geschichte hätten klarer beschriebe­n werden können. Doch machen Spekulatio­nen und die Interpreta­tion der Handlungen der Figuren einen großen Teil des Filmerlebn­isses aus. Der 83-minütige Neo-noir-Film ist kurzweilig. Da er in seiner Art so stark vom Mainstream abweicht, passt er perfekt in eben diese Zeit, die Zeit des Auflebens von Autokinos – einem Relikt aus dem 20 Jahrhunder­t, ebenso wie das Genre Film noir. Info „Man from Beirut“, 83 Minuten, FSK 16, ab jetzt im Autokino

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FOTO: EEVA FLEIG Kida Khodr Ramadan verkörpert in „Man from Beirut“den blinden Auftragsmö­rder Momo. Er verschont ein Kind und wird vom Jäger zum Gejagten.

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