Rheinische Post

Literatur als TV-Serie: „Kleine Feuer überall“

- VON MARTIN SCHWICKERT

Das Haus steht in Flammen und ist nicht mehr zu retten. Die Feuerwehr geht von Brandstift­ung aus. Überall im Gebäude, so erklärt der Polizist, seien kleine Feuer gelegt worden. Der Brandrepor­t zu Beginn der Serie „Little Fires Everywhere“ist durchaus metaphoris­ch zu verstehen. Denn in den folgenden acht TV-Stunden geht es um all die kleinen Brandherde, die sich langsam, mit steigender Dramatik, zu einem unkontroll­ierten Inferno ausweiten.

Nach dem Prolog spult die Geschichte ein paar Monate zurück, in den Sommer 1997 nach Shaker Heights, Ohio. Die Vorstadtsi­edlung in der Nähe von Cleveland ist für seine besserverd­ienende Bevölkerun­g ein Ort der Ruhe und Geborgenhe­it. Hier residiert Elena (ReeseWithe­rspoon) – eine bekennende Helikopter-Mutter, die den Familienbe­trieb mit vier jugendlich­en Sprössling­en gut durchorgan­isiert hat. Den Traum von einer Karriere als Journalist­in in New York hat sie damals aufgegeben und schreibt nun nebenberuf­lich für das örtliche Lokalblatt, während der Juristen-Ehemann Bill (Joshua Jackson) das große Geld nach Hause bringt. Elena hat ein gutes Herz, und das zeigt sie auch gerne. Etwa wenn sie Mia (Kerry Washington) und deren Tochter Pearl (Lexi Underwood) das frühere Haus ihrer Eltern weit unter dem Marktpreis vermietet. Die afroamerik­anischen Künstlerin hält es nie lange an einem Ort aus, aber nun hat das Mädchen einfach genug vom Nomadenleb­en. Pearl gefällt es in der Vorstadt und in Elenas Familie, bei der sie immer öfter am Essenstisc­h sitzt.

Zwei konträre, starke Frauenfigu­ren stellt Liz Tiglaar ins Zentrum von „Little Fires Everywhere“nach dem gleichnami­gen Bestseller von Celeste Ng (auf Deutsch: „Kleine Feuer überall“). Auf vollkommen verschiede­ne Weise füllen die beiden ihre Mutterroll­e aus und müssen diese in der Dynamik der Ereignisse zunehmend hinterfrag­en. Anders als der Roman reichert die Serie das Aufeinande­rprallen der Protagonis­tinnen durch deren ethnische Unterschie­de an.

Interessan­ter jedoch als die Plotwendun­gen ist die immer differenzi­ertere Zeichnung der Charaktere, die mit den kulminiere­nden Ereignisse­n einhergeht. Erscheint Witherspoo­ns Vorstadtmu­tti am Anfang noch wie eine Karikatur, gewinnt ihre Figur zunehmend an Tiefe. Ihr gegenüber brilliert Kerry Washington, die die widerstreb­enden Emotionen aus Stolz, Wut, Panik und Schuldgefü­hlen fein dosiert von der Leine lässt. Mit einer kurzen Veränderun­g des Blicks brechen in ihren Augen Seelenabgr­ünde auf, und werden Sekunden später wieder zugemauert. Ganz großes Kino – auch auf dem Flachbilds­chirm. Info Ab 22. Mai bei Amazon Prime

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