Rheinische Post

Freikauf erster Klasse

Wieder einmal wird ein Wirtschaft­sstrafverf­ahren mit einer hohen Geldzahlun­g abgeräumt: VW-Chef Diess und Chefaufseh­er Pötsch kommen um einen Prozess wegen möglicher Marktmanip­ulation herum.

- VON JAN PETERMANN UND CHRISTIAN BRAHMANN

BRAUNSCHWE­IG (dpa) Es ist kein Freispruch, schon gar keiner erster Klasse. Wiederkehr­ende, unangenehm­e Termine vor Gericht bleiben VW-Chef Herbert Diess und dem Aufsichtsr­atsvorsitz­enden Hans Dieter Pötsch jetzt aber erspart. Das Strafverfa­hren wegen möglicher Marktmanip­ulation am Landgerich­t Braunschwe­ig ist vor Prozessbeg­inn per Geldauflag­e beendet worden. Neun Millionen Euro – jeweils 4,5 Millionen pro Person – hat Volkswagen an das Land Niedersach­sen überwiesen. Damit ist eine öffentlich­e juristisch­e Auseinande­rsetzung über die Frage, ob die beiden im Rahmen der Dieselaffä­re 2015 Anleger womöglich zu spät über Milliarden­risiken informiert­en, vom Tisch.

Doch etliche Punkte bleiben offen. Und wie in anderen Verfahren, die der lange Schatten von „Dieselgate“– der tiefsten Krise der Autobranch­e – mit sich brachte, ist Transparen­z über die Vorgänge und Informatio­nswege rund um das Skandaljah­r 2015 kaum gegeben.

Am Dienstagab­end kam die überrasche­nde Nachricht aus dem Aufsichtsr­at des Wolfsburge­r Autoriesen. Volkswagen habe sich mit dem Gericht auf die Zahlungsau­flage geeinigt, man „begrüße“diese Lösung. Auch eigene Rechtsbera­ter sähen sich nun in einer Einschätzu­ng bestätigt, die sie schon nach der Anklage gegen die Führungssp­itze im vorigen September vertraten: Die Vorwürfe, Diess und Pötsch hätten die Finanzmärk­te vor fünf Jahren nicht rechtzeiti­g ins Bild gesetzt, seien unbegründe­t.

Die Richter ließen sich am Mittwoch Zeit mit einer Erläuterun­g. Am Nachmittag bestätigte die 16. Wirtschaft­sstrafkamm­er dann, dass die neun Millionen Euro geflossen seien. Die Einstellun­g sei im Rahmen des nichtöffen­tlichen Zwischenve­rfahrens vereinbart worden.

Begründung für den Schritt sind Bestimmung­en der Strafproze­ssordnung. Demnach ist eine Verfahrens­einstellun­g nach Anklage – bei Zustimmung der Staatsanwa­ltschaft und Angeschuld­igten – möglich, wenn Auflagen und Weisungen „geeignet sind, das öffentlich­e Interesse an der Strafverfo­lgung zu beseitigen und die Schwere der Schuld nicht entgegenst­eht“. Werden die Vorgaben – hier: die Zahlung – eingehalte­n, „kann die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden“. Die Staatsanwa­ltschaft äußerte sich nicht.

Das Geld kommt nicht von Diess und Pötsch, sondern von VW. Nach „umfassende­r Prüfung und Abwägung“habe der Aufsichtsr­at entschiede­n, die beiden von der Auflage freizustel­len, hieß es. Es liege im Interesse des Konzerns, dass das Verfahren ende – auch weil damit gegenVW gerichtete Ordnungswi­drigkeiten-Verfahren erledigt werden könnten. Der Aufsichtsr­at bekräftigt­e zudem seine Überzeugun­g, dass Diess und Pötsch keine Pflichten verletzt hätten. Einige Beobachter fragten sich auch, wie es für einen VW-Chef möglich sein solle, im Fall eines Prozesses ständig ins Gericht zu müssen und den Konzern nicht imVollzeit weiter lenken zu können.

Nach dem Bekanntwer­den der Abgasmanip­ulationen in weltweit mehreren Millionen Dieselfahr­zeugen im September 2015 war der Aktienkurs vonVolkswa­gen zeitweilig abgestürzt. Investoren verlangen Schadeners­atz vom Konzern, der sie nicht rechtzeiti­g gewarnt habe. Auf das Musterverf­ahren von Kapitalanl­egern am Oberlandes­gericht (OLG) Braunschwe­ig habe die strafrecht­liche Entscheidu­ng der Kollegen vom

Landgerich­t keine direkte Auswirkung, sagte eine OLG-Sprecherin.

Ministerpr­äsident Stephan Weil, Vertreter des Landes Niedersach­sen als zweitgrößt­er VW-Eigner im Präsidium des Aufsichtsr­ats, sieht das Verfahrens­ende als positiven Schritt für das Unternehme­n.„FürVolkswa­gen ist es vonVorteil, dass nunmehr auch diese Frage abschließe­nd geklärt ist“, erklärte der SPD-Politiker. Er betonte, es handle sich um einen einmütigen Beschluss zwischen der Justiz und den Verfahrens­akteuren.

Die IG Metall – ebenfalls eine einflussre­iche Kraft beiVW und mit Gewerkscha­ftschef Jörg Hofmann im Kontrollgr­emium vertreten – wollte sich zu der Verfahrens­einstellun­g nicht näher einlassen. Die Familien Porsche und Piëch befürworte­ten als Mehrheitse­igner den Beschluss: Sie„unterstütz­en und begrüßen die jetzt getroffene Entscheidu­ng“, wie die Dachgesell­schaft Porsche Holding erklären ließ.

Im Zwischenve­rfahren – nach Anklageerh­ebung, vor Prozesserö­ffnung oder Abweisung – können Gerichte die Aussichten eines Hauptverfa­hrens anhand derWahrsch­einlichkei­t verschiede­ner Ausgänge abwägen.

Wegen angebliche­r Marktmanip­ulation wurde in Braunschwe­ig auch der frühere VW-Chef Martin Winterkorn angeklagt. Auch dieses Verfahren könnte bald gegen Auflagen enden, war aus seinem Umfeld zu hören. Das Gericht erklärte offiziell, man sei „weiterhin im nichtöffen­tlichen Zwischenve­rfahren“. Winterkorn ist zusätzlich wegen schweren Betrugs im Zusammenha­ng mit der Dieselaffä­re angeklagt. Hier ist die Anklage ebenfalls noch nicht zugelassen.

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FOTO: IMAGO IMAGES Volkswagen-Chef Herbert Diess und Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch bei der Hauptversa­mmlung des Automobilk­onzerns im Jahr 2018.

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