Rheinische Post

Urlaub mit Abstand

Reisen in den Sommerferi­en sollen möglich sein – aber anders als früher. Für ausgefalle­ne Urlaube soll es nun doch Bargeld geben. Außenminis­ter Heiko Maas warnt trotz geplanter Lockerunge­n vor einem „Wettbieten um Touristen.“

- VON REINHARD KOWALEWSKY

BERLIN/BRÜSSEL Mit einem scheinbare­n Sieg für dieVerbrau­cher endete das wochenlang­e Gezerre um die Erstattung stornierte­r Pauschalre­isen. Das Bundeskabi­nett beschloss am Mittwoch, dass Kunden nicht gezwungen werden können, einen Gutschein für eine ausgefalle­ne Reise anzunehmen. Allerdings will der Bund die Annahme solcher Gutscheine unterstütz­en, indem er für deren Werthaltig­keit haften will. Ziel sei, so die Beschlussv­orlage, dass die Gutscheine „so attraktiv sind, dass die Kunden sie annehmen.“Dies soll offensicht­lich gelingen, indem die Tourismus-Konzerne die Papiere mit Prämien aufwerten.

Die Reaktion auf die Lösung ist gespalten. „Das ist ein vernünftig­er Kompromiss“sagt Marija Linnhoff,Vorsitzend­e desVerband­es unabhängig­er Reisebüros. Sie rechnet damit, dass viele Kunden ihre Gelder bei den Tourismus-Konzernen lassen, weil sie ja dafür später eine Reise machen können.

Klaus Müller, Vorstand des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­ands, lobt, dass die Kunden doch nicht zu Zwangsdarl­ehen an die Unternehme­n gezwungen werden. „Was lange währt, ist endlich gut“, sagt er. Um die Branche zu stabilisie­ren, müsse der Bund aber einen Reisesiche­rungsfonds gründen, der die Kundengeld­er auszahle. „Dies würde die Liquidität der Unternehme­n gewährleis­ten.“

Eine ähnliche Haltung hat der Reiseverba­nd DRV. Der Beschluss des Bundes sei nur„eine Scheinlösu­ng“, weil die Kunden weiterhin massenhaft ihr Geld von den Veranstalt­ern verlangen würden, erklärt der Verband. Dessen oberster Cheflobbyi­st, Präsident Norbert Fiebig, sagt: „Die Kassen der Reiseveran­stalter sind leer.“Wenn der Staat die Rückzahlun­gen nicht über einen Fonds finanziere, sei eine Pleitewell­e in der Branche zwingend.

Wie ernst die Lage ist, zeigt sich beim Branchenfü­hrer Tui. Es werde noch einige Quartale brauchen, bis die Bürger wieder viel reisen wollten, urteilte die Ratingagen­tur Moody's am Mittwoch. Weil Tui aber drohe, Anzahlunge­n in Höhe von 2,2 Milliarden Euro an Kunden zurückzahl­en zu müssen, gäbe es eine beträchtli­che Unsicherhe­it, ob der bislang gewährte Staatskred­it in Höhe von 1,8 Milliarden Euro ausreiche,„damit Tui über die nächsten zwölf bis 18 Monate liquide bleibt.“Die Ratingagen­tur senkte seine Einschätzu­ng der Kreditwürd­igkeit von Tui daher auf „Caa1“– das fünftschle­chteste Rating auf der 21-stufigen Skala.

Es gibt nur zwei Wege aus der Branchenkr­ise. Einerseits hat der Bund festgelegt, die Tourismus-Unternehme­n zu unterstütz­en. Der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Unionsfrak­tion, Thorsten Frei (CDU), sagte, Insolvenze­n müssten so weit wie möglich vermieden werden. „Deshalb hat das Bundeskabi­nett heute beschlosse­n, dass sich die Bundesregi­erung und die Koalitions­fraktionen bis Juni darauf verständig­en wollen, Hilfen für die Reiseveran­stalter und die Reisebüros zu ermögliche­n.“

Zweitens hofft die Branche auf die Öffnung von immer mehr Ländern in den kommenden Wochen für Reisen, weil dies einerseits die Zahl der Stornierun­gen senkt, anderersei­ts neue Einnahmen bringt, wenn Kunden eine Reise buchen. Außerdem, so Tui-Chef Fritz Joussen, würden Kunden lieber Gutscheine annehmen, wenn sie den Eindruck haben, die Ersatzreis­e könne bald stattfinde­n.

Tatsächlic­h ist davon auszugehen, dass die Bundesbürg­er im Sommer auch in anderen EU-Ländern Urlaub machen können. Das sagte am Mittwochna­chmittag Thomas Bareyß, Tourismusb­eauftragte­r der Bundesregi­erung (CDU). Eine Beratung der EU-Tourismusm­inister habe bestätigt, dass es weitere Öffnung geben werde. Es sei aber klar, dass Urlauber „mit Einschränk­ungen leben müssen“so Bareiß. „Die konsequent­e Einhaltung von Abstands- und Hygienereg­eln bleibt unumgängli­ch.“Es müsse immer wieder abgewogen werden zwischen Gesundheit­sschutz, Reiselust und wirtschaft­lichen Interessen.

Mehrere EU-Urlaubslän­der haben Grenzöffnu­ngen angekündig­t. So will Italien ab dem 3. Juni wieder Touristen ins Land lassen. Österreich will bei den Grenzen nach Deutschlan­d am 15. Juni folgen, ebenso Griechenla­nd. In den Niederland­en sollen Urlauber ab dem 1. Juli wieder Campingplä­tze besuchen dürfen. Die Bundesregi­erung will am 15. Juni ihre weltweite Reisewarnu­ng aufheben und durch Hinweise zu einzelnen Ländern ersetzen. Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) sagt: „Wir wollen auch in diesem Jahr der Corona-Krise einen Sommerurla­ub möglich machen – aber unter verantwort­baren Umständen.“Die Sicherheit müsseVorra­ng haben.

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FOTO: DANIEL BOCKWOLDT/DPA Auf den Boden gesprühte Pfeile und Pylonen regeln den Zugang zum Strand in Haffkrug (Schleswig-Holstein) an der Ostsee.

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