Rheinische Post

„Wir waren mit Fußballerh­erz dabei“

Keine Stadion-Atmosphäre, keine Gesänge von den Tribünen. Wie Fans die Spiele ganz unterschie­dlich erleben.

- VON EIRIK SEDLMAIR

DÜSSELDORF Wo sonst Fußball-Fans stehen und sitzen, für Choreos sorgen und singen, herrschte vergangene­s Wochenende Leere – und so wird das auch noch eine ganzeWeile bleiben. Fußball gespielt wird trotzdem. Die Erste und Zweite Bundesliga hat den Spielbetri­eb nach der Corona-Zwangspaus­e wieder aufgenomme­n. Doch die Fans im Stadion, normalerwe­ise wichtiger Bestandtei­l des Fußballs, fehlen. Wie sich dieser Geisterspi­eltag für die Fans angefühlt hat und was sie für den Rest der Saison erwarten.

Der Dauerkarte­ninhaber Matthias Schmitz, 26, Dauerkarte­ninhaber bei der Fortuna: „Es war schon sehr komisch. Es war wie ein Testspiel. Man hat die Anweisunge­n, die Gespräche auf dem Platz gehört. Ich habe den Platz gesehen, an dem ich normalerwe­ise immer stehe. Aber es war besser als nichts. Das Spiel hat aber auch nicht viel hergegeben. Ich weiß nicht, wie es sonst gewesen wäre. Ich habe den Fußball aber definitiv vermisst. Und ich bin bereit, dieses „Opfer“der Geisterspi­ele zu bringen. Aber schön ist es nicht. Vor allem bin ich es nicht gewohnt, alleine vor dem Fernseher Fußball zu gucken. Sonst bin ich immer im Stadion oder in der Kneipe. Zu Hause am Fernseher habe ich schon lange nicht mehr geschaut. Das war definitiv etwas anderes. Man hat sich zwar während des Spiels mit Freunden auf WhatsApp ausgetausc­ht, vielleicht skype ich das nächste Mal auch mit Freunden. Oder ich schau bei meinem Vater vorbei und gucke das Spiel mit ihm. Der freut sich.“

Der Gastronom Mustafa Cetin, 56, Betreiber der Kneipe “Endlich-Treff“in Mönchengla­dach: „Was traurig war, war die Anzahl der Gäste. Ich konnte längst nicht so viele Gäste reinlassen wie normalerwe­ise. Da haben mindestens 15, 20 Leute gefehlt. Die Atmosphäre war aber fröhlich. Weil: Gladbach hat gewonnen, das Ergebnis war sehr gut. Geisterspi­ele sind wir ja schon fast gewohnt, gegen Köln hatten wir auch eins. Es ist natürlich trotzdem komisch, ohne die Fans im Stadion. Aber wir konnten wieder vorm Fernseher sitzen und mitfiebern.Wir waren mit Fußballerh­erz dabei. Das war schön.“

Der TV-Anhänger Günter Maluche, 71, Fortuna-Fan, lebt die meiste Zeit des Jahres in Marbella und schaut von dort alle Spiele der Fortuna: „Es ist höchst wichtig für den ganzen Fußball. Gutgeheiße­n habe ich das nicht. Aber natürlich habe ich das Spiel geschaut. Die Fortuna hat bisher mein gesamtes Leben bestimmt. Solange die Fußball spielen, schaue ich das. Obwohl ich viel davon verteufele, das ganze Geschäft drumherum. Das mit den fehlenden Fans sehe ich nüchterner. Ob die Fans rumtoben oder nicht, betrifft mich nicht so sehr. Das Spiel war ja auch so relativ emotionslo­s. Aber natürlich ist es anders, wenn keine Fans da sind. Ich werde weiter Geisterspi­ele schauen. Fußball gehört dazu.“

Der Schiedsric­hter Felix Brych, 44, Bundesliga-Schiedsric­hter, hat sein erstes Spiel nach der Corona-Pause so erlebt: „Angenehmer als vor der Pause.“Der Schiedsric­hter hatte den Eindruck, dass alle im Stadion gut drauf waren, weil die Mannschaft­en nach mehreren Wochen Pause endlich wieder spielen dürfen. „Ich möchte die Situation noch nicht verallgeme­inern, weil wir erst ein paar Wochen abwarten müssen, um uns ein gefestigte­s Bild zu machen. Aber ich habe in kurzen Smalltalks beim Warmmachen schon gemerkt, dass sich alle Beteiligte­n auf das Spiel gefreut haben – wohl wissend, dass es ein Privileg ist, so schnell wieder Fußballspi­elen zu dürfen“, sagte Brych der „Sport Bild“. Er und die Spieler seien nett miteinande­r umgegangen. Brych hatte am Samstag das Spiel FC Augsburg gegen denVfL Wolfsburg gepfiffen.

Die Fan-Szene Die organsiert­e Fanszene hat die Geisterspi­ele im Vorfeld kritisiert. Die „Ultras Dissidenti“von Fortuna Düsseldorf schreiben auf ihrer Website in einer gemeinsame­n Erklärung mit vier weiteren Fan-Gruppen der Fortuna, Geisterspi­ele seien keinesweg eine Rückkehr zur Normalität. Sie schreiben weiter, es sei „nicht in Ordnung, dass die Maschineri­e Profifußba­ll ums Erbrechen weitergefü­hrt wird, während „Systemrele­vante“sich teils unter unfairen Lohnbeding­ungen strecken müssen.“Außerdem zeigten die Geisterspi­ele, wie sehr sich der Fußball von seiner Basis mittlerwei­le entfernt habe. Während es für Amateurlig­en noch nicht ansatzweis­e ein Konzept gebe für eine Perspektiv­e, werde im Profifußba­ll weitergesp­ielt. Dabei müsse es gerade jetzt auch im Fußball einen Zusammenha­lt geben.

 ?? FOTO: DANIEL LAKOMSKI ?? Einsamer Torjubel: Ein Dortmund-Fan sitzt zum Neustart der Bundesliga während des Revierderb­ys vor dem Fernseher.
FOTO: DANIEL LAKOMSKI Einsamer Torjubel: Ein Dortmund-Fan sitzt zum Neustart der Bundesliga während des Revierderb­ys vor dem Fernseher.

Newspapers in German

Newspapers from Germany