Chancen kreativ und agil nutzen
Die Corona-Krise fordert gerade Start-ups und junge Unternehmen besonders heraus – sie konnten ja noch keine Finanzpolster aufbauen und stehen oft erst am Anfang der Geschäftsentwicklung. Doch die besonderen Zeiten eröffnen auch neue Chancen, erklärt Dr. Klemens Gaida, zusammen mit Peter Hornik Geschäftsführer im Digital Innovation Hub Düsseldorf/Rheinland (DigiHub), im Interview.
Was beobachten Sie derzeit am Markt und in der Gründerszene?
DR:KLEMENSGAIDA: Wir schauen uns im Rahmen unserer Startup-Förderprogramme „Ignition“und „Gründerstipendium.NRW“genau an, in welcher Phase sich unsere Start-ups befinden und wie groß ihr Finanzpolster ist. Da sind zunächst die ganz jungen in der so genannten PreSeed- oder Seed-Phase, sie entwickeln gerade erst die Prototypen für ihre Geschäftsmodelle. Ältere Start-ups, die unsere Programme schon verlassen haben, funktionieren bereits wie kleine Mittelständler. Sie verfügen über etablierte Produkte und einen Kundenstamm und haben schon betriebswirtschaftlich stabilere Strukturen mit einer besseren „Berechenbarkeit“aufgebaut.
Was für Start-ups gilt, kann man sicher auf Unternehmensgründungen im Allgemeinen beziehen?
GAIDA: Ja, viele Aspekte gelten für alle jungen Unternehmen. Die wenigsten von ihnen arbeiten schon profitabel, sondern verbrauchen Geld – was sich in der sogenannten Burn Rate zeigt. Frisch gegründete Start-ups erwirtschaften noch keine Umsätze, machen also auch jetzt in der Krise keine Umsatzverluste. Dennoch sind sie stark betroffen: Der Markteintritt oder Pilotprojekte können sich verschieben, mögliche erste Kunden sind zurückhaltend.
Auf welche Unterstützung können die Unternehmen hoffen?
GAIDA: Die Corona-Förderprogramme adressieren meist Umsatzverluste, die gerade die jungen Start-ups ja oft noch nicht ausweisen. Ihre Haupterlösquellen sind häufig die Geber von Wagniskapital. Doch auch hier kann es jetzt zu Ausfällen bei der Finanzierung kommen. Investoren und Business Angels konzentrieren sich auf bestehende Investmentprojekte, die ebenfalls die Krise bewältigen müssen, oder sie spüren selbst oft Zurückhaltung bei ihren Fonds-Geldgebern. An diesen Stellen müsste der Staat ebenfalls mögliche Unterstützungsmaßnahmen ins Auge fassen.
Was können denn die jungen Unternehmen selbst tun, um die Krise zu bewältigen?
GAIDA: Sie haben einige Möglichkeiten, die sich in vier Punkten zusammenfassen lassen: Kosten senken, Erlösprognose verbessern, praktische Maßnahmen ergreifen und den Digitalisierungsschub nutzen. Je aktiver, kreativer und agiler sie handeln, desto mehr können sie ihre Geldgeber davon überzeugen, Investitionen nicht zu verschieben.
Fangen wir mal mit dem ersten Punkt an: Wo können Jungunternehmer Kosten senken?
GAIDA: Sie sollten zuerst eine Inventur machen: Wo gibt es versteckte Kosten? Gerade zu Beginn nutzen Start-ups oft verschiedenste Software-Tools, Cloud Services und andere Dienste, sie schließen viele Abos für ihren Geschäftsausbau ab. Doch manche nutzen sie selten oder gar nicht mehr. In Co-Working-Spaces können die Unternehmen die Flächen anpassen. Für ihre Mitarbeiter können sie Lösungen für Teilzeit- oder Kurzarbeit in Erwägung ziehen. Und sie können dem Bootstrapping- (Stiefelriemen-) Ansatz folgen, auf Deutsch würde man sagen: den Gürtel enger schnallen. Sie versuchen, alle Prozesse möglichst schlank zu gestalten und den „Runway“zu verlängern, also die Zeit, für die das vorhandene Geld reicht. Damit können sie ihren Investoren zeigen, dass sie wirtschaftlich verantwortlich und sehr sorgfältig agieren.
Und wie können sie Punkt zwei angehen und die Erlösprognose verbessern?
GAIDA: Es geht darum, sich optimal aufzustellen und weiterzuentwickeln, die Produkte zu optimieren und das Geschäftsmodell anzupassen. Außerdem können die Unternehmer den Wettbewerb intensiver beobachten und analysieren. Alles Dinge, die im Normalbetrieb oft zu kurz kommen. Jetzt können sie die Pause nutzen, um einen Entwicklungssprung nach vorne zu machen. Vor dem Markteintritt können sie sich fragen: Worauf kann man verzichten? Kann man die Produktentwicklung verkürzen, kann man auf Prozesse wie automatisierte Rechnungsstellung zunächst verzichten und sie persönlich übernehmen? Das Start-up beschleunigt damit seinen Markteintritt.Wenn es ohnehin zunächst nur wenige Kunden hat, kann es auch an seinem Prototypen noch im Hintergrund quasi in Handarbeit und unsichtbar für den Kunden nachjustieren, ist dafür aber schneller am Markt.
Welche weiteren praktischen Maßnahmen würden Sie empfehlen?
GAIDA: Es geht darum, Chancen zu nutzen, die sich durch die Krise ergeben. So sind zum Beispiel gerade die Online-Werbepreise drastisch gesunken, weil viele Konzerne ihre Werbeschaltungen zurückgefahren haben. Diese Lücke können Start-ups nutzen und bei niedrigeren Preisen ihren Marktauftritt befeuern. Derzeit sind auch Plakatwände und Litfaßsäulen oft leer, das ist möglicherweise für lokale Produkte und Dienste interessant. Es gibt Start-ups, die gerade spezielle Deals mit solchen Anbietern aushandeln, ähnlich wie für billige Werbeslots von Privatsendern.
Haben Sie mal ein Beispiel für so ein kreatives Unternehmen?
GAIDA: Das Unternehmen Schnupperkurs GmbH bei uns im DigiHub hat eine Plattform entwickelt zurVermittlung von Probestunden für Sportkurse. Es hat jetzt sein Produkt angepasst und fokussiert sich auf Outdoor-Sportkurse, die jetzt ja nach aktuellen Regelungen wieder möglich sind. Sie unterstützen das Produkt mit einer kleinen Marketing-Kampagne, für die sie die günstigenWerbepreise nutzen.
Kommen wir zum Punkt vier, den Sie erwähnten: Digitalisierung.
GAIDA: Wir erleben ja gerade in der Krise einen Digitalisierungsschub in Unternehmen, Behörden und Schulen. Das eröffnet Gründern und Start-ups eine besondere Chance, die sie nutzen können für ihre eigenen neuen oder gegebenenfalls angepassten Produkte oder für Kooperationen mit Partnern. Sie können so die positive Dynamik fördern und ausbauen.
Start-ups und Jungunternehmer müssen die Krise also nicht unbedingt nur fürchten.
GAIDA: Eben. Sie können nun auch ihr unternehmerisches Talent unter Beweis stellen. Sie sollten natürlich auch alle staatlichen Hilfspakete und Fördermaßnahmen nutzen, die für sie in Frage kommen. Das erwarten ihre Investoren. Wenn man als Start-up ein gutes Bündel von Maßnahmen entwickelt, deren Effekte sich gegenseitig verstärken, findet sich oft ein guter Weg aus der Krise. Man muss hier aber viel Arbeit reinstecken, das ist kreative Denk- und Konzeptarbeit. Mit dem Ergebnis kann man die Investoren im Idealfall überraschen und davon überzeugen, das Projekt weiter zu unterstützen. Das Gespräch führte Jürgen Grosche.