Wie man den Impfstoff gerecht verteilt
Obwohl es noch keinen Corona-Impfstoff gibt, ist der Verteilungskampf um das Mittel bereits voll entbrannt. Die Amerikaner, die Alten, die Reichen – wer darf zuerst? Und dann ist da noch die Frage der Impfpf licht.
NochisternichtaufdemMarkt – der Corona-Impfstoff, an dem die Hoffnungen von Milliarden Menschen hängen. Und doch hat der Verteilungskampf bereits begonnen. US-Präsident Donald Trump möchte, dass als erstes Amerikaner geimpft werden. Die Berliner Gesundheitssenatorin will zuerst alte Menschen schützen. Afrikanische Länder mahnen, ihren Kontinent nicht zu vergessen. Und Paris zeigt dem französischen Pharmakonzern Sanofi schon mal die Daumenschrauben: Dessen Chef Paul Hudson musste im Elysée antreten, nachdem er angekündigt hatte, die USA würden vorrangig beliefert, weil sie Sanofi bei der Forschung unterstützt hätten. Nach dem Gespräch hieß es, der Sanofi-Chef teile die Forderung von Staatspräsident Emmanuel Macron, dass der Impfstoff ein globales öffentliches Gut sein müsse.
„Die Gefahr besteht, dass reiche Staaten wie die USA, Japan undWesteuropa von Pharmaunternehmen zuerst beliefert werden, weil sie höhere Preise zahlen können als Entwicklungsländer“, warnt JürgenWasem, Gesundheitsökonom der Uni Duisburg-Essen. Eigentlich müsste sich die Welt auf Regeln zur Verteilung des knappen Guts verständigen. Doch das ist nicht trivial; auch Pharmafirmen haben berechtigte Interessen. „Es muss dabei bleiben, dass die Unternehmen Eigentümer ihrer Entwicklungen sind. Schließlich haben sie Ideen, Arbeitskraft und Millionen Euro dafür investiert. Und nur mit ihrer Hilfe kann schnell eine weltweite Großproduktion von Impfstoff gesicherter Qualität gelingen“, sagt Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Die Entwicklung kostet, manchmal scheitern Hoffnungsträger kurz vor dem Ziel, weil sie schwere Nebenwirkungen haben.
Was also tun? „Auf der einen Seite müssen Pharmaunternehmen für ihre
Anstrengungen belohnt werden. Das ist unter Anreizgesichtspunkten wichtig, damit sie auch künftig Innovationen entwickeln“, sagtWasem. Das gelte erst recht, wenn die Firmen nur eigenes Geld eingesetzt hätten. „Auf der anderen Seite müssen die Staaten Regeln für die internationale Verteilung verabreden – schließlich kann man eine Pandemie nur bekämpfen, wenn der Impfstoff allen Ländern zur Verfügung steht.“Das könnte heißen: Der Impfstoff hat überall denselben Preis, aber die reichen Länder unterstützen die armen. Oder die Hersteller nehmen in armen Ländern geringere Preise, und die reichen akzeptieren höhere Preise.
Das kann sich auch die Industrie vorstellen: „Einige Hersteller haben bereits einen an den Produktionskosten orientierten Preis für ihren Impfstoff angekündigt. Das kommt dem Ziel des allgemeinen Zugangs zugute, vor allem wenn Regierungen eine Umverteilung zugunsten der Länder organisieren, die auch einen Selbstkostenpreis nicht zahlen können“, sagt VFA-Chef Steutel.
In die multilaterale Richtung denken europäische Staaten und die Weltgesundheitsorganisation WHO. Auf einer Geberkonferenz haben die EU-Staaten gerade 7,5 Milliarden Euro zusammengetragen, um Entwicklung und Herstellung des Impfstoffs zu unterstützen – und einen Fuß in die Tür bei der Verteilung zu bekommen. Kanzlerin Angela Merkel ruft die Welt zum gemeinsamen Kampf gegen die Pandemie auf, ein Impfstoff müsse für alle zugänglich und bezahlbar sein. Donald Trump dagegen will mit der WHO nichts zu tun haben und setzt auf die Macht des US-Marktes. Dann könnte es so laufen wie bei dem Medikament Remdesivir: Der Hersteller bekam eine Schnellzulassung für die USA – und spendete Millionen Dosen an die US-Regierung.
So schwierig wie die Verteilung zwischen Staaten ist die innerhalb eines Staates. Da sollte sich auch Deutschland keine Illusionen machen. Selbst wenn der Impfstoff im Frühjahr 2021 kommt, wird es nicht gleich genug für alle geben. „Die Dosen, die Deutschland bekommt, werden nicht reichen, um kurzfristig die gesamte Bevölkerung zu impfen“, soWasem. Über die nationaleVerteilung müsse die Gesellschaft entscheiden, sagt der Gesundheitsökonom und verweist auf drei Möglichkeiten. Erstens: Der Impfstoff wird verlost – wie es der Schweizer Pharmakonzern Novartis gerade mit Zolgensma, dem teuersten Medikament derWelt, macht. Zweitens: Der Impfstoff wird nach ökonomischen Kriterien vergeben – an den, der am meisten zahlt. Drittens: Die Gesellschaft stellt eine Hierarchie der Bedürftigkeit auf und legt fest, wer den Impfstoff am nötigsten braucht. Medizinisches Personal, Alte, Junge – da ist vieles denkbar.
Bislang spricht in Deutschland die Ständige Impfkommission beim Robert-Koch-Institut Empfehlungen aus. Sie gibt den Impfkalender für Babys und Kleinkinder ebenso vor wie Empfehlungen für Senioren, sich gegen Influenza und Pneumokokken impfen zu lassen. Sie könnte auch bestimmen, dass zuerst medizinisches Personal (was unstrittig ist) und Risikogruppen geimpft werden und erst dann der Rest der Bevölkerung. Doch bei der genauen Definition der Risikogruppen wird es es schon schwierig. Die Verteilung des Mittels sollte man den Experten nicht aufbürden. Das muss die Politik nach gesellschaftlicher Debatte entscheiden, wie sie auch die Verantwortung für Shutdown und Lockerungen übernehmen muss.
Wenn es genug Impfstoff gibt, fordern Experten wie Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery eine Impfpflicht: Wer sich weigere, stelle ein hohes Risiko für Mitbürger dar, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden könnten, so Montgomery. Die Impfung ist in der Sprache der Ökonomen ein meritorisches Gut – ein Gut wie die Schulpflicht, an dessen verpflichtender Nutzung die Gesellschaft ein Interesse hat.„Wenn wir die Masernimpfung verpflichtend gemacht haben, sollten wir es bei der Corona-Impfung erst recht tun“, sagt Wasem. Doch dazu muss der Impfstoff erst mal da sein.
„Die Dosen reichen nicht, um die gesamte Bevölkerung zu impfen“Jürgen Wasem Gesundheitsökonom