Rheinische Post

„Geisterspi­ele sind für Orchester keine Option“

Hilfen für die Kultur sind Investitio­nen in die Zukunft, so die Kulturstaa­tsminister­in. Einem Deutschen Fotoinstit­ut in Düsseldorf räumt sie nur geringe Chancen ein.

- GREGOR MAYNTZ UND LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Welche Kulturange­bote vermissen Sie in Corona-Zeiten am meisten?

GRÜTTERS Vor allem Oper und Konzert. Die Musik geht unter die Haut, die Schwingung­en sind intensiv. Ich hänge sehr an dieser sehr emotionale­n Qualität. Deshalb blutet mir das Herz, dass sie zu den ersten gehörten, die dichtmache­n mussten – und dass es nun so schwer ist, sie wieder ans Laufen zu bekommen.

In der Fußball-Bundesliga spielen die Akteure noch enger zusammen als im Orchesterg­raben.

GRÜTTERS Das stimmt so nicht. Der Graben ist ein geschlosse­ner Raum. Wenn eine Strauss-Oper gespielt wird, sitzen dort sehr viele Menschen eng beieinande­r. Das kann man mit dem freien Fußballfel­d an der frischen Luft nicht vergleiche­n. Erste Empfehlung­en der zuständige­n Ämter und Unfallkass­en für die Orchester waren dann auch sehr praxisfern und hätten einen sinnvollen Wiederbegi­nn unmöglich gemacht. Wir haben uns deshalb wissenscha­ftlich beraten lassen. Die Charité und sieben Berliner Orchester haben dokumentie­rt, wie sich Aerosole durch die verschiede­nen Instrument­e unterschie­dlich verbreiten. Auf dieser Basis haben wir auch mit den Ländern gemeinsam fundierte Öffnungssz­enarien erarbeitet.

Ein Orchester in Quarantäne zu schicken, wie es Fußballtea­ms machen, stand nie zur Debatte?

GRÜTTERS Wenn es nicht um sehr viel Geld ginge, würden sich auch die Fußballer nicht in eine solche Quarantäne begeben. Wer ein Orchester vor einem Konzert in Quarantäne schickt, damit die Musiker unbefangen auftreten können, müsste die Prozedur beim nächsten Konzert wiederhole­n – und all das auch bezahlen. Das ist praxisfern und gegenwärti­g nicht relevant. Wir Politiker formuliere­n die Rahmenbedi­ngungen, die einzelnen Häuser müssen dann selbst überlegen, wie sie damit umgehen und die entspreche­nden Absprachen mit den Behörden vor Ort treffen.

Gibt es Unterschie­de zwischen Fußball und Orchester?

GRÜTTERS Grundsätzl­ich gilt für mich: Was in einem Bereich geht, sollte auch in einem anderen Bereich möglich sein. Das Tempo, mit dem die Bundesliga wiederbego­nnen hat, lässt einen schon über Wertigkeit­en in der Gesellscha­ft nachdenken. Geisterspi­ele sind für Orchester jedenfalls keine Option, sie brauchen das Publikum – zumal den Orchestern die Übertragun­gswege des Fußballs eben auch nicht zur Verfügung stehen.

Was gilt für Kinos?

GRÜTTERS Ich habe von Anfang an dafür plädiert, die Buchhandlu­ngen von den Schließung­en auszunehme­n. Denn Bücher sind genauso Lebensmitt­el wie Obst, Käse und Nudeln. Das haben Sachsen-Anhalt und Berlin befolgt, und sie sind gut damit gefahren. Danach haben wir die Museen wieder an den Start gebracht. Als nächstes sollten die Kinos drankommen, denn da steht zumindest kein leibhaftig­es Ensemble auf der Bühne. Da Filmstarts für dieVerleih­er aber nur Sinn machen, wenn sie bundesweit am selben Tag laufen, müssen sich die Kinoverbän­de auch auf einen gemeinsame­n Neustart-Termin verständig­en.

Aber gibt es neue Filme? Die Produktion wurde ja unterbroch­en. Und rechnet es sich überhaupt, wenn wegen der Abstandsre­geln 30 Besucher im Saal sitzen?

GRÜTTERS Kinos sind in der Tat im Vergleich zu Theatern ein Sonderfall. Bislang konnten sich die Verbände ja nicht einmal untereinan­der darauf verständig­en, ob es im Juni oder im Juli wieder losgehen soll. Und dann gibt es natürlich die Frage der Wirtschaft­lichkeit: Rechnet es sich für die Kinos, wenn die Mitarbeite­r aus der Kurzarbeit zurück sind, die Betreiber aber wegen den Abstandsre­geln im Saal nur ein Drittel der gewöhnlich erzielbare­n Einnahmen haben? Zudem haben wir noch das Problem Mundschutz versus Popcorn. Schließlic­h erwirtscha­ften die Kinos einen erhebliche­n Teil des Umsatzes mit demVerkauf von Lebensmitt­eln. Für mich gilt: Die Politik definiert den Rahmen der Möglichkei­ten, und die Branche regelt dann, wie und wann es umgesetzt wird.

Was können Sie aus der Pandemie für den Kulturbetr­ieb in weiteren Pandemien lernen?

GRÜTTERS Ich denke, viele Menschen haben in den vergangene­n Wochen gelernt, dass Theaterauf­führungen, Konzerte, Ausstellun­gen und Lesungen nichts Selbstvers­tändliches, sondern dass sie etwas sehr Wertvolles sind. Dass wir Menschen Kultur brauchen und dass sie uns fehlt, wenn sie nicht mehr stattfinde­n kann. Für mich ist Kultur auch ein Ausdruck von Humanität. Ich will mir nicht die Unbefangen­heit und Lebensqual­ität nehmen, indem ich mich in einem Ausnahmezu­stand einrichte. Kultur ist ein Modus unseres Zusammenle­bens, und dahin wollen wir zurück.

Was könnte in der Kultur die Einschränk­ungen in der Zeit der Pandemie nicht überleben? Und wäre damit auch eine Art Inventur der Kulturland­schaft verbunden?

GRÜTTERS Wir arbeiten gerade zusammen mit dem Finanzmini­sterium an einem Hilfs- und Rettungspa­ket für die Künste. Da geht es mir exakt um die kulturelle Infrastruk­tur. Mit den Soforthilf­en und dem Sozialschu­tzpaket haben wir Künstlerin­nen und Künstler persönlich sowie Unternehme­n adressiert. Diesmal geht es um die Infrastruk­tur mit einem Blick auf die Kulturland­schaft in Deutschlan­d als Ganzes, also über kommunale und Ländergren­zen hinweg. Ziel ist es, das große, dichte Geflecht insgesamt zu erhalten und zu beschützen. Denn wir müssen aufpassen, dass am Ende zwar nicht die Künstlerin­nen und Künstler überlebt haben, aber ihre Arbeits- und Wirkungsst­ätten verschwund­en sind. Also: Lasst uns erhalten, was wir erhalten können!

Sind öffentlich­e Gelder für die Kultur eine Subvention­ierung oder eine Finanzieru­ng?

GRÜTTERS Ich sehe das vor allem als eine Investitio­n in die Zukunft, mit der auch ein Bildungsau­ftrag verbunden ist. Kultur dient nicht nur der Unterhaltu­ng, sie darf auch eine Zumutung sein und hat dadurch den Charakter eines kritischen Korrektivs unserer Gesellscha­ft. Deshalb ist sie für eine lebendige Demokratie unverzicht­bar. In keinem autoritäre­n System finden sie keine selbstbewu­sste Kultur, die öffentlich sichtbar ist. Die Autonomie der Kunst ist ein Wesenszug unserer bundesdeut­schen Gesellscha­ft geworden. Dabei können wir stolz sein, dass das immense kulturelle Angebot in Deutschlan­d auf großen Zuspruch in der Bevölkerun­g stößt. Die deutschen Museen haben das Zehnfache an Besuchern im Vergleich zu allen Fußball-Bundesliga­spielen. Weil es dafür einen Bedarf gibt!

Zum Schluss noch eine Frage, die konkret das Rheinland betrifft. Es geht um die Pläne und vor allem um den Standort eines neuen Fotoinstit­uts, für den Düsseldorf ja auch im Gespräch ist. Wie ist der Stand der Diskussion?

GRÜTTERS Die Fotografie ist ja eine noch relativ junge Kunst, dennoch stellt sich schon jetzt die Frage nach dem Umgang mit den Nachlässen großer Fotografin­nen und Fotografen. Und weil das Trägermate­rial bei der Fotografie ja vergänglic­h ist, müssen auch konservato­rische und restaurato­rische Probleme gelöst werden. Ich habe mich schon früh für dieses Thema interessie­rt und nach einer großen Veranstalt­ung im Juni vergangene­n Jahres eine Expertenko­mmission zur Klärung der Grundlagen für ein Fotoinstit­ut eingesetzt. Dann hat die Stadt Düsseldorf ihr Interesse daran artikulier­t und hat dafür geworben, dass am dortigen Standort etwas passiert. Das Land NRW hat eine Ko-Finanzieru­ng in Aussicht gestellt. Das geschah alles, bevor die von mir einberufen­e Expertenko­mmission nach monatelang­er Arbeit ihre Ergebnisse vorstellte. Das ist nun im März geschehen – mit eine Empfehlung für die Stadt Essen.

Was war dann die Aufgabe der Expertenko­mmission?

GRÜTTERS Die Aufgabe der Expertenko­mmission war es, ein solides Konzept für ein Fotoinstit­ut zu erarbeiten. Dazu hat sie von Juni 2019 bis März 2020 über 70 Gespräche mit Fotografin­nen und Fotografen und wichtigen Vertretern der Szene geführt. Zudem hat sie sich national und internatio­nal Beispiele ähnlicher Fotoinstit­ute angeschaut. Im Vergleich der Standorte fiel in dem Konzept die Wahl auf Essen – mit überzeugen­den Argumenten, weil dort einfach schon viele Voraussetz­ungen zur Geschichte der Fotografie gegeben sind.

Wie kommt man jetzt aus diesem Dilemma heraus?

GRÜTTERS Das ist in der Tat nicht einfach, weil Düsseldorf ja auch für sich wirbt. Grundlage meines Handelns sind natürlich erstmal die Empfehlung­en der Expertenko­mmission. Deshalb lassen wir jetzt eine Machbarkei­tsstudie für Essen erstellen, die ergänzend auch Düsseldorf betrachten wird. So können wir uns auch in Bezug auf die reine Standortfr­age ein Urteil bilden. Ich verstehe natürlich die lokalen Interessen in Düsseldorf und in Essen, aber entscheide­nd muss am Ende das Gutachten sein – und darin wird Essen empfohlen.

 ?? FOTO: JENS KALAENE/DPA ??
FOTO: JENS KALAENE/DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany