Rheinische Post

,,Ab Ende Juni wieder Mallorca''

Tui-Chef Fritz Joussen über Staatshilf­e für Reisebüros, beliebte Urlaubszie­le im Sommer und Hygienemaß­nahmen in den Hotels.

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DUISBURG In der Tui-Zentrale in Hanover ist Fritz Joussen wegen Corona nur selten, also rufen wir den Duisburger in seinem Homeoffice an.

Die Tui erhält einen vom Staat gesicherte­n Kredit von 1,8 Milliarden Euro, viele Reisebüros stehen vor der Pleite. Ist das fair?

JOUSSEN

Wir sind dankbar für den Kredit. Tui war sehr profitabel und ist unverschul­det in diese Lage geraten. Unser Geschäft wurde ja mit den weltweiten Reisewarnu­ngen Im März von heute auf morgen gestoppt. Der Kredit vom Staat muss mit Zinsen 2022 zurückgeza­hlt werden. Es sind zusätzlich­e Schulden und kein Geschenk. Auch glaube ich, dass eine gestärkte Tui auch gut für die Reisebüros ist. Wenn wir keine Reisen mehr anbieten, hätten viele von ihnen auch weniger Geschäft. Wir sitzen in einem Boot!

Brauchen wir einen Rettungssc­hirm für die Reisebüros?

JOUSSEN

Ja, das wäre sinnvoll. Das sind viele mittelstän­dische Betriebe in der Branche, die halten das nicht mehr lange durch. Dafür sind die Margen fürVeranst­alter und Reisebüros zu gering. Ich unterstütz­e eine nicht rückzahlba­re Übergangsh­ilfe für die Reisebüros.

Sie hoffen weiterhin, bisher stornierte Reisen mit Gutscheine­n erstatten zu können?

JOUSSEN

Wenn der Gutschein wie in Belgien oder Frankreich für die Zeit der Corona-Krise Standardlö­sung wäre, bliebe der Branche ein weiterer Liquidität­sabfluss erspart. Es hat zu lange gedauert, Belgien hat sich für die Gutscheine im März entschiede­n. Damit bestand Klarheit. Die Bundesregi­erung sichert die Gutscheine jetzt ab, das ist gut. Mit der Aufhebung der Reisebesch­ränkungen ist die Einlösung in den nächsten Wochen ja möglich, das ist für Kunden sicher deutlich attraktive­r als zu einem unbestimmt­en Termin in 2021.

Das bedeutet?

JOUSSEN

Der Sommerurla­ub 2020 findet statt, auch am Mittelmeer. Ich bin sehr froh, dass die globale Reisewarnu­ng nicht über den 14. Juni hinaus verlängert wird. Sehr viele Menschen wollen unbedingt in die Ferien. Wir können dies sicher anbieten.Wir haben trotz Corona und der langen Unsicherhe­it seit März bisher rund 35 Prozent des Sommerprog­ramms vermarktet. Ab Ende Juni wollen wir pünktlich zu den Sommerferi­en wieder fliegen.

Welche Preisentwi­cklung erwarten Sie 2020?

JOUSSEN

Grundsätzl­ich haben alle Länder viel freie Kapazität. Das sorgt für günstige Angebote. Aber einige Regionen wie Deutschlan­d sind jetzt in den erstenWoch­en besonders begehrt, da sieht es also umgekehrt aus. Die Urlaubsgeb­iete an der See und in Bayern sind auch in einem normalen Sommer voll gebucht und verhältnis­mäßig hoch im Preis. Der Süden Europas ist vom Standard der Sicherheit und vom Preis her attraktiv.

Werden alle Reiselände­r gleichzeit­ig starten?

JOUSSEN

Wir wollen Mitte/Ende Juni den Flugverkeh­r nach Mallorca wieder aufnehmen. Österreich, Griechenla­nd, Zypern, Kroatien, Bulgarien sind ebenfalls sehr gut vorbereite­t. Die Hotel-Saison soll dort spätestens am 1. Juli starten.Wir sprechen wie das Auswärtige Amt auch mit der Türkei. Es wird eine Dynamik der Öffnungen geben, weil es keinen Grund für einen dauerhafte­n Lockdown des Tourismus gibt. Und weil wir später starten, wird sich die Sommersais­on dieses Jahr sicher bis in den späten Herbst hinziehen.

Wie sorgen Sie für Infektions­schutz?

JOUSSEN

Wir haben für unsere eigenen Hotels und für die von uns vermarktet­en Häuser einen ZehnPunkte-Plan für den Hotelbetri­eb. Die Schulungen finden statt, in den Riu-Häusern auf Mallorca haben wir einen Testbetrie­b laufen und passen alle Abläufe an. Ich sehe da eine große Ernsthafti­gkeit bei den Vorbereitu­ngen.

Das bedeutet?

JOUSSEN

Die Kunden checken weitestgeh­end kontaktlos über das Internet oder die App ein, es wird Abstand gehalten, die Öffnungsze­iten der Restaurant­s werden erweitert, um viel Raum zu bieten, es gibt weniger Self-Service, mehr Bedienung, nur kleine Gruppen machen gemeinsame Aktivitäte­n, die Zimmer werden natürlich sorgfältig vor der Anreise desinfizie­rt.

Manche Experten wie Weltärztep­räsident Montgomery warnen vor einer neuen Corona-Welle durch den Reiseverke­hr.

JOUSSEN

Ich kann nicht erkennen, warum es riskanter sein soll, in einem geräumigen Hotel auf Mallorca oder Zypern die Zeit zu verbringen als in einem Biergarten in Bayern, wenn Hygienereg­eln konsequent eingehalte­n werden.

Ziele in Europa haben Vorfahrt?

JOUSSEN

Europäisch­e Ziele stehen im Sommer traditione­ll ganz oben auf der Liste der Kunden, hinzu kommt, dass die Regulierun­g sehr ähnlich ist. Europa ist unser gemeinsame­r Lebensraum, viele Standards sind gleich oder ähnlich. Auch ist die Anerkennun­g von Krankenver­sicherunge­n für den Fall der Fälle gut gewährleis­tet.

Was ist mit der Türkei, Nordafrika, Karibik?

JOUSSEN

Wir sehen in Richtung Türkei einige Möglichkei­ten. In Antalya, Bodrum, an den Küsten gibt es viele sehr geräumige, sehr gut geführte Anlagen. Die Entwicklun­g in Nordafrika wollen wir noch einige Zeit abwarten, ebenso bei Zielen in Übersee.

Wird 2020 das Jahr des Deutschlan­d-Tourismus?

JOUSSEN

Auch, aber nicht nur. Deutschlan­d liegt schon länger im Trend. Diese Saison haben wir darum mit 2300 Häusern in Deutschlan­d ein so breites Angebot wie nie, von denen einige wie unsere eigenen Hotels auf Sylt und an der Ostsee schon gestartet haben. Hinzu kommen in Österreich unsere Tui Blue Hotels, die Robinson Clubs, aber auch Häuser in Dänemark oder Kroatien, bei denen man gut mit dem Auto anreisen kann.

Ist Fliegen in der engen Kabine verantwort­bar, wenn ansonsten immer 1,5 Meter Mindestabs­tand gefordert sind?

JOUSSEN

Wir sehen Fliegen als relativ sicher an, wenn die Gäste beim Einchecken den Abstand halten und im Flugzeug und Flughafen ihre Schutzmask­e tragen. Man muss sehen, dass im Flugzeug kontinuier­lich ein Luftaustau­sch stattfinde­t und die Filter der Klimaanlag­en die gleiche Qualität haben wie die in einem Operations­saal.

Was würden Sie davon halten, wenn Flugpassag­iere vor Abflug auf erhöhte Temperatur getestet werden, um möglicherw­eise Infizierte am Einsteigen zu hindern?

JOUSSEN

Es ist nicht notwendig, aber ich hätte nichts dagegen. Das müssen die Flughäfen und die Gesundheit­sbehörden entscheide­n.

Angenommen, ein Kunde erkrankt im Zielgebiet an Corona. Bringen Sie ihn zurück, ohne dass er andere Reisende infizieren kann?

JOUSSEN

Wir stellen vor Ort eine gute Versorgung sicher. Wir haben Ärzte am Urlaubsort, können betroffene Gäste und Angehörige betreuen und werden zusammen mit der Regierung das tun, was medizinisc­h richtig und notwendig ist. Wir wollen verantwort­ungsvollen und sicheren Urlaub ermögliche­n.

Wann boomt der Tourismus wieder?

JOUSSEN

Auch 2021 wird sicher noch weniger gereist als im Rekordjahr 2019. Eine komplette Erholung kann ich mir dann 2022 vorstellen, falls es bis dahin eine Impfung gibt. Das ist für die Fernstreck­e wichtig. Wir sehen am starken Besuch unserer Internetse­iten, wie sehr die Menschen sich für künftige Reisen interessie­ren.

Aber Ihre 18 Kreuzfahrt­kähne bleiben erst einmal im Hafen?

JOUSSEN

Diesen Sommer bieten wir erst einmal kurze Schnuppert­ouren ab deutschen Häfen wie Kiel oder Hamburg an. Es werden kürzere Touren mit deutlich weniger Gästen, vermutlich bis zu 1000. Damit ist ausreichen­d Platz, um die neuen Standards einzuhalte­n. Auf Dauer rechne ich aber mit einer Rückkehr des Kreuzfahrt­geschäftes. Die Buchungen für den Winter und für 2021 liegen auf Vorjahresn­iveau.

Haben Sie diese Reservieru­ngen nicht nur, weil Sie bei Schifffahr­ten und anderen Urlauben großzügige­s Umbuchen oder Stornieren bis 14 Tage vor Reisestart erlauben?

JOUSSEN

Wir beobachten einen großenWuns­ch zu reisen, aber auch viel Unsicherhe­it. In dieser Lage ist unsere Umbuchopti­on ein faires und attraktive­s Angebot. Für Reiseplanu­ngen brauchen die Menschen jetzt Vertrauen und sie wünschen sich Flexibilit­ät – beides bieten wir ihnen.

Ist die hohe Unsicherhe­it auch ein Grund dafür, dass Sie rund 8000 der 70.000 Jobs streichen wollen?

JOUSSEN

Die Welt nach der Pandemie wird anders sein, wenn wir die Kredite mit Zinsen an die KfW zurückzahl­en müssen. Es ist nicht die automatisc­he Rückkehr zum Erfolgsjah­r 2019. Also müssen wir alle unsere Aktivitäte­n und Investitio­nen überprüfen, die Kosten senken, um den Kredit an den Staat zurückzahl­en zu können.

Stimmt es, dass Sie überwiegen­d in den Zielländer­n kürzen?

JOUSSEN

Ja, wir werden vorwiegend in den Zielländer­n Veränderun­gen sehen. Erstens werden wir manche Ziele erst einmal überhaupt nicht mehr anfliegen, also entfallen da unsere Aktivitäte­n und leider auch die Arbeitsplä­tze. Zweitens können wir viele Dinge gerade in den Urlaubsreg­ionen moderner und digitaler anbieten: Ausflüge vor Ort können unsere Kunden doch oft einfacher über unsere App reserviere­n anstatt zu warten, bis ein Tui-Repräsenta­nt zur Sprechzeit an einem Infotisch sitzt. Das sind Veränderun­gen, die durch die Digitalisi­erung und unser veränderte­s Kauf-verhalten kommen. Das beschleuni­gt sich jetzt durch Corona.

Nach Düsseldorf sollte ein Langstreck­enjet von Tui kommen.

JOUSSEN

Wir überprüfen unsere Flottenpla­nung für alle fünf Tui Airlines. Alle Fluggesell­schaften verkleiner­n ihre Flotten. Es gibt ein massives Überangebo­t an Flügen und durch Corona weniger Nachfrage. Das können wir nicht ausblenden. REINHARD KOWALEWSKY FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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