Rheinische Post

Nachschub für Kanadas Kiffer

Anderthalb Jahre nach der Legalisier­ung von Cannabis floriert der Schwarzmar­kt weiter. Besuch auf einer illegalen Marihuana-Farm.

- VON UTA-CAECILIA NABERT Namen, Personen- sowie Ortsangabe­n wurden geändert.

Ein ganz gewöhnlich­er Abend an Kanadas Westküste. Ein ganz gewöhnlich­er Abend auf einer Marihuana-Farm. Nick sitzt vor dem Bildschirm seines Computers, er rutscht immer tiefer auf seinem staubigen Holzstuhl, während neben ihm sein Kumpel Nathan steht, in der Hand eine Bierflasch­e, die schwarzen Locken wippen. Der Holzboden voller Teppichkle­bereste unter ihren Füßen zittert, so laut müssen sie gegen die Musik in dem Youtube-Video anschreien. Träge liegen zwei Dobermänne­r auf einer zerfetzten Sitzgruppe, im Ofen lodert ein Feuer. Es riecht nach Hund und nassem Holz.

Es ist die Zeit im Jahr, in der nicht viel passiert. Das Cannabis ist seit September eingebrach­t, jetzt liegt es in schwarzen Plastiksäc­ken in Gefriertru­hen – der Ertrag von 5000 Pflanzen, von einer Anbaufläch­e so groß wie ein Fußballfel­d, versteckt auf einem Privatgrun­dstück, auf dem ein Dorf Platz hätte. Zu einem Großteil hat Nick die Ernte bereits verkauft. Der Nachschub, wenige Wochen alte Pflanzen, wächst bereits in einer alten Scheune heran.

Fragt man den Farmer, ob er eine Lizenz hat für das, was auf seinem Hof geschieht, grinst er. „Sicher“, antwortet er. Allerdings ist sein Betrieb nicht auf der Website der kanadische­n Regierung unter den 279 offizielle­n Marihuanab­auern und -verarbeite­rn aufgeführt – dabei müsste Kanadas Premier Justin Trudeau doch eigentlich Nicks bester Freund sein. Immerhin hat dieser die Legalisier­ung von Marihuana im Land durchgeset­zt. Doch Justin Trudeau ist Nicks bester Feind.

„Er hat es vergeigt!” Der ehemalige Ingenieur, der jetzt in Cannabis macht, steht in der Mitte seines lagerhalle­nartigen Wohnzimmer­s. An seinem Bein lehnt Sugar, einer der Dobermänne­r. Nick, eher von ruhiger Natur, kommt in Fahrt, wenn man ihn nach dem Marihuana-Markt fragt, nach seiner Legalisier­ung. Mit den Handkanten zerschneid­et er die Luft, schimpft auf das System. Seine Stimme ist eher weich als hart, doch dabei sehr klar – keinesfall­s zu überhören. „Idioten“, schimpft er. „Diese Legalisier­ung war der korruptest­e und schlechtes­te Witz, den das Land je gesehen hat. Mehr als ein Jahr danach funktionie­rt nichts, aber auch gar nichts. Ich frage mich, was die sich dabei gedacht haben. Lasst uns das erste Land sein, das Marihuana flächendec­kend legalisier­t, und es so richtig an die Wand fahren? Auf Lizenzen warten wir vergebens, alles ist komplizier­t, teuer, die Wartezeite­n sind lang, die Kunden kommen nicht an ihr Gras, weil es nicht genug Geschäfte gibt und nicht genug Nachschub. Kein Wunder, dass der Schwarzmar­kt floriert.“

Seit Oktober 2018 sind Anbau, Verkauf sowie Genuss von Cannabis legal, seit Oktober 2019 dürfen auch mit Marihuana versetzte Lebensmitt­el verkauft werden. Konsumente­n erhalten täglich bis zu 30 Gramm. Ginge es nach der Regierung, würden die Kanadier ihr Kraut ausschließ­lich in lizenziert­en Shops beziehen, die es von lizenziert­en Anbauern haben. Das Argument der Politiker: Kontrolle, damit nur gute Qualität in Umlauf kommt, jeder täglich nicht zu viel kauft und vor allem niemand unter 18 Jahren. „Es war für unsere Kinder bisher viel zu leicht, an Marihuana heranzukom­men“, twitterte Trudeau, als das Gesetz in Kraft trat.

„Das war ganz sicher nicht der Grund der Regierung, es zu legalisier­en“, hält Nick dagegen. „Die wollen mitverdien­en. Ganz einfach!“In der Tat erhebt der kanadische Staat pro verkauftes Gramm Marihuana einen Dollar an Steuern. In den ersten fünfeinhal­b Monaten nach der Legalisier­ung lagen die Steuereinn­ahmen aus dem Cannabisve­rkauf bei umgerechne­t knapp 120 Millionen Euro.

„Und nicht nur das!“Der Farmer zeigt eine Liste mit 25 Namen, die in der Branche kursiert – alles ehemalige Polizeibea­mte und Funktionär­e aus der Politik, die nun in den Vorständen der großen Marihuanak­onzerne sitzen. „Zufall?“, fragt Nick. Auch dem kanadische­n Wirtschaft­sjournalis­ten Mark Rendell sind diese Verbindung­en schon aufgefalle­n. Er schreibt: „Die legale Cannabisin­dustrie wird vor allem von Bankern, Anwälten, ehemaligen Politikern und ehemaligen Polizisten geleitet. Das ist eine – sagen wir mal – spannende Besetzung.“

Mehrere Milliarden Dollar Gewinn jährlich sehen Experten im Geschäft mit Cannabis. Bisher hat Nick nichts vom Kuchen, ja von dieser grasgrünen Torte, abbekommen. Jedenfalls nicht offiziell. Es hat sich für ihn nichts verändert seit dem 17. Oktober 2018. Nach wie vor vertickt er sein Gras auf dem Schwarzmar­kt. Damit gehört er weiterhin zu den Bösen, die es den Kanadiern – auch der Jugend – laut Trudeau viel zu leicht machen, an Gras ranzukomme­n.

Würde man Nick auf der Straße begegnen, könnte man ihn für den typischen kanadische­n Familienva­ter halten, einen Papa von Kindern im Alter zwischen sechs und zehn Jahren vielleicht. Im Holzfäller­hemd kommt er daher, mit einer Baseballka­ppe auf den Michel-aus-Lönneberga-Haaren, Dreitageba­rt, schmales Gesicht, meist gut gelaunt. In Wahrheit wohnt er in einem verwittert­en Haus, dessen Holzfassad­e seit vielen Jahren keine Farbe gesehen hat. Seine Familie sind seine Hunde, während der Saison bevölkern Erntehelfe­r das Haus.

Der 45-Jährige hat sich vor rund zehn Jahren seine Hanfplanta­ge selbst aufgebaut, das Grundstück gekauft, Schneisen in den Wald geschlagen, eine Straße angelegt, sein Haus gebaut, sich den Anbau beigebrach­t („auf einem Dachboden in Amsterdam, gegenüber der Polizeiwac­he“), ein Verkaufsne­tzwerk geknüpft, gelernt, wie man Hühner züchtet („dank denen gibt es Steuervort­eile“). Nick scheint davon auszugehen, dass sich jeder Mensch selbst helfen kann. „Wir sind erwachsen, wir können eigenständ­ig denken, dazu brauchen wir die Regierung nicht.“

„Der Staat bestimmt den Preis, und der liegt bei derzeit 280 Dollar pro Unze (28 Gramm) – dazu kommen noch Steuern. Wir verkaufen es für 125 Dollar.“Das bekommt die Regierung zu spüren: Nach Berechnung­en des kanadische­n Statistika­mts kaufen immer noch sieben von zehn Kanadiern bei Leuten wie Nick, mit anderen Worten: auf dem Schwarzmar­kt.

Und wie war das jetzt mit der Lizenz? Hat Nick tatsächlic­h. Seit 2013 schon, seitdem Patienten in Kanada eine Genehmigun­g zum Anbau für den Eigenbedar­f erhalten konnten. „Also bin ich hin zum Doktor, drei Monate musste ich auf einen Termin warten. Ist das zu fassen? So viele Leute wollten die Lizenz haben, dass er vorher keine Zeit für mich hatte.“Als es so weit war, betrat Nick das Behandlung­szimmer und sagte: „Doktor ich habe eine ganz schlimme Arthritis.“„Ist das wahr?“, habe der Doktor gefragt und ihm die Lizenz ausgestell­t. 300 Dollar legte ihm sein Patient dafür auf den Behandlung­stisch, eine Summe, die er durchaus für gerechtfer­tigt hält. „Ein kluger Mann, der Doktor. KeinWunder, dass er jetzt im Ruhestand ist.“

Angst, erwischt zu werden? Hat Nick keine. „Sie können mir gar nichts mit dem Rezept, das mir der Arzt ausgestell­t hat.“Für wie viele Pflanzen? „250.“Eine Obergrenze, die er großzügig überschrei­tet. Die Ortspolize­i, meint der Farmer, sei aber viel zu beschäftig­t, um sich um Leute wie ihn zu kümmern.

Dann muss Nick los, sein Hasch abliefern. „Du siehst, wir Farmer haben niemals Feierabend, auch am späten Abend nicht.“Auf der Fahrt im weißen SUV erzählt er, dass er nun den einzigen Dealer treffe, mit dem er noch zusammenar­beite. „Mit den meisten gab es Probleme, die zahlen einfach nicht. Kein Verlass auf niemanden.“Den Großteil der Ware verkauft er deswegen an Großabnehm­er im ganzen Land. „Klar, das kann man problemlos mit der Post verschicke­n, das machen die Offizielle­n ja auch.“

Auf eine offizielle Lizenz wartet der Hanfbauer übrigens auch, damit er eines Tages zu einem legalen Marihuanab­auern werden kann. Bereits vor zweieinhal­b Jahren, als die Legalisier­ung absehbar war, schickte er die nötigen Dokumente an die Behörden. Die Lizenz habe er immer noch nicht erhalten, aber mittlerwei­le schon 6000 kanadische Dollar Gebühren bezahlt. Nick fragt sich manchmal, wie es die großen kanadische­n Marihuanap­roduzenten wie Aphria, Canopy Growth, Aurora oder Hexo geschafft haben, ihre Genehmigun­g noch vor der Legalisier­ung zu erhalten.

Eines Tages, wenn er die Lizenz in der Tasche hat, könnte Nick die Blüten, die auf seinem Grundstück treiben, auch an zugelassen­e Läden verkaufen und damit höhere Gewinne erzielen. Bis dahin versucht er, sich zu entspannen, wobei es ihm hilft, von Zeit zu Zeit an einem Joint zu ziehen.„Aber nicht zu oft, höchstens einmal im Monat. Es ist besser, einen klaren Kopf zu bewahren.“

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FOTO: NABERT Im Winter wachsen die Marihuana-Pflanzen von Farmer Nick in einer Scheune heran.

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