Rheinische Post

„Manche wollen hören, dass sie okay aussehen“

Der Düsseldorf­er Mediziner über Standards der ästhetisch­en Chirurgie und Patienten, die eher einen Therapeute­n brauchen.

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DÜSSELDORF Murat Dagdelen empfängt zum Interview in seinem Sprechzimm­er. Neben einer großen weißen Lederliege fallen dort als erstes eine Kamera mit Ringblitz und die prominent platzierte­n Spiegel ins Auge. Einer steht so auf seinem Schreibtis­ch, dass man sich als Besucher direkt davor setzt.

Dr. Dagdelen, wie reagieren Ihre Patienten, wenn sie hier vor dem Spiegel Platz nehmen?

Murat Dagdelen Manche finden das gut, aber es gibt auch einige Patienten, die sofort aktiv den Spiegel wegdrehen.

Landläufig würde man Sie als “Schönheits­chirurgen” bezeichnen. Mögen Sie diesen Begriff?

Dagdelen Leider ist diese Bezeichnun­g in Deutschlan­d nicht geschützt. Jeder, der ein Medizinstu­dium beendet hat, darf sich Schönheits­chirurg nennen. Und viele tun es auch, denn das verspricht ein lukratives Geschäft.

Nennen Sie selbst sich so?

Dagdelen Ich mag den Begriff gar nicht. Keiner meiner Kollegen würde„Schönheits­chirurg“auf sein Praxis-Schild schreiben. Ich bin Facharzt für plastische und ästhetisch­e Chirurgie.

Vermutlich haben Sie aber als Kind nicht gesagt: Ich will mal Facharzt werden – oder?

Dagdelen Auf keinen Fall. Aber ich hatte immer ein Faible für den menschlich­en Körper. Wenn wir in der Schule Bücher vorstellen mussten, habe ich mir direkt ein Anatomiebu­ch geschnappt. Das hat auch etwas mit meiner Herkunft zu tun. Meine Eltern kommen aus Anatolien. Dort habe ich mitbekomme­n, dass gebärende Frauen oder kranke Menschen umkommen, weil kein

Arzt in der Nähe ist. Irgendwann dachte ich dann: Okay, ich werde Arzt und reise durch die ärmlichen Gegenden auf der Welt. Später lernt man natürlich, dass das so einfach nicht geht.

Wie kam es zu der Spezialisi­erung?

Dadelen Man durchläuft ja in der Ausbildung viele Stationen. In der Kardiologi­e musst du gesund aussehende­n Menschen sagen: Sie haben eine Herzinsuff­izienz, an der Sie sterben werden. Oder die Onkologie, wo Krebspatie­nten häufig sterben. Da habe ich mir gesagt: Dann lieber plastische und ästhetisch­e Chirurgie. Da hat man es mit gesunden Menschen zu tun, die man glückliche­r macht. Psychisch glückliche­r, weil man die Physis verändert.

Die Berufskran­kheit des plastisch-ästhetisch­en Chirurgen ist vermutlich, dass Sie sofort sehen, was man an einem Gesicht verbessern könnte. (lacht)

Dagdelen

Ja. Aber das sollte man für sich behalten. Wenn man Schuhmache­r ist, schaut man nur auf Schuhe.Wenn man plastisch-ästhetisch­er Chirurg ist, schaut man auf die Physis.

Wo ziehen Sie die Grenze dessen, was Sie umsetzen?

Dagdelen Naja, erst einmal beim Alter. Unter 18 wird nichts gemacht. Wenn es gefährlich ist, auch nicht. Und dann machen wir keine Mode-Eingriffe. Jetzt ist der Popo von Kim Kardashian vielleicht in Mode, aber in zehn Jahren nicht mehr. Das Ganze muss ja auch ins Körperbild passen. Bei einer schlanken Frau würde das nicht gut aussehen.

Ist das nicht etwa schwammig als Kriterium? Vielleicht möchte jemand ja wirklich so einen Hintern.

Dagdelen Das wäre schwammig, wenn man sich nur zehn Minuten Zeit nähme. Meine Beratungsg­espräche dauern bis zu 60 Minuten. Vorher beantworte­n die Patienten schriftlic­h Fragen. Ich muss wissen: Ist dieser Wunsch fremdbesti­mmt? Seit wann besteht er? Was will der Patient wirklich? Neulich kam ein Theologies­tudent zu mir, 1,90 Meter groß, über 100 Kilo schwer. Er wollte eine schmale Nase haben. Er hatte auch ein Foto mitgebrach­t, das er bearbeitet hatte. Er hatte sich selbst eine richtige Barbie-Nase gegeben, ganz klein und schmal und mit Schwung. Das kann ich nicht vertreten – weil es für den Patienten nicht gut wäre, aber auch, weil es meine Visitenkar­te nach außen ist. Dieser Patient hat kein Problem mit seiner Nase, der hat eine ganz andere Störung.

Was tun Sie dann?

Dagdelen Ich versuche diesen Patienten zu erklären, wie Schönheits­ideale funktionie­ren und inwiefern eine Nase eben auch in ein Gesicht passen muss. In manchen Fällen, das sind etwa zwei von hundert, lege ich ihnen dann auch nahe, einen Therapeute­n aufzusuche­n.

Die Grundlage Ihrer Arbeit ist, dass Menschen ihr Äußeres korrigiere­n wollen. Wäre es nicht besser, sie würden damit klarkommen?

Dagdelen Wäre es. Früher haben es die Leute ja auch getan. Heute ist das aber anders. Ich bin dafür bekannt, dass ich auf Natürlichk­eit stehe. Und ich habe auch Patienten, die einfach nur kommen, um von mir zu hören, dass sie okay aussehen. Dazu kommen Fälle, in denen eine Operation hilft, körperlich­e Beschwerde­n zu lindern. Manche Menschen können nicht gut durch die Nase atmen. Manche Frauen mit großen Brüsten haben Kopfschmer­zen. Manche haben nach einer Schwangers­chaft eine hängende Bauchschür­ze und Schwierigk­eiten, die Falte sauber zu halten.

Wie viel hat das, was Sie heute tun, mit dem Wunsch des kleinen Jungen zu tun, der in Anatolien als Arzt umherreise­n wollte?

Dagdelen Ich helfe Menschen. Aber natürlich gibt es da einen Unterschie­d. Zumindest in der täglichen Arbeit. Einer meiner ersten Eingriffe in der plastisch-ästhetisch­en Chirurgie war eine Operation, bei der wir eine Nase rekonstrui­ert haben. In meiner Praxis ist das so nicht möglich. Deswegen freue ich mich besonders auf meine Einsätze in Indien. In Plastic-Surgery-Camps operieren wir 15 Tage lang Menschen mit Verbrennun­gen, Narben, Fehlbildun­gen. Das erdet mich. DIE FRAGEN STELLTE HELENE PAWLITZKI. Eine Langfassun­g dieses Interviews erschien als Folge 96 unseres Düsseldorf Podcasts Rheinpegel

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FOTO: DIAMOND AESTHETICS Der Düsseldorf­er Schönheits­spezialist Murat Dagdelen wollte schon als Kind Arzt werden.

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