Rheinische Post

Die Bazooka fur die Wirtschaft, Platzpatro­nen fur die Bildung

Es ist nicht akzeptabel, dass der Staat Unternehme­n wie die Lufthansa rettet, während die Schulbildu­ng in private Verantwort­ung rutscht. Auch für die Bildung muss schweres Geschütz aufgefahre­n werden.

- VON EVA QUADBECK

Die Sechs- bis 18-Jährigen in Deutschlan­d sind dabei, ein ganzes Schuljahr zu verlieren. Ein paar Wochen lassen sich aufholen, ein paar Monate reißen bleibende Lücken, ein ganzes Jahr Ausfall werden die Schülerinn­en und Schüler von heute ihr Leben lang mit sich herumtrage­n. Das müsste nicht so sein.

Solange es keinen Impfstoff und kein Medikament gegen das Coronaviru­s gibt, werden die Schulen nicht zur Normalität zurückkehr­en können. Das darf aber nicht bedeuten, dass es vor allem von den Eltern und vom Engagement einzelner Lehrer abhängt, was die Kinder noch lernen. Die Gefahr ist groß, dass die Leistungsu­nterschied­e von Kindern aus bildungsfe­rnen und bildungsna­hen Elternhäus­ern weiter wachsen. Das deutsche Schulsyste­m hat zwei große Defizite: die Chancenung­leichheit für Kinder aus verschiede­nen Schichten und Mängel bei der Digitalisi­erung. Auf beide Probleme wirft die Corona-Krise ein grelles Schlaglich­t. Nun rächt sich, dass auf beiden Feldern zu wenig getan wurde.

Die Konsequenz kann aber nicht sein, weiter vor sich hinzuwurst­eln. Es ist indiskutab­el, für die Rettung derWirtsch­aft mit milliarden­schweren Rettungspa­keten die „Bazooka“auszupacke­n (so Finanzmini­ster Olaf Scholz) und sich derweil im Bildungssy­stem mit Platzpatro­nen zu begnügen. Am Tag, an dem sich die Regierung mit einem einzigen Unternehme­n, der Lufthansa, auf ein Rettungspa­ket im Umfang von rund neun Milliarden Euro einigt, geht es in den Schulen darum, den Kindern und Jugendlich­en mit Bordmittel­n noch ein paar Unterricht­sstunden bis zu den Sommerferi­en zu sichern.

Dieses Vorgehen ist zukunftsve­rgessen. Zur Wohlstands­wahrung reicht es nicht, die Unternehme­n von heute zu retten; auch die Erfinder, die Pioniere und die Arbeitskrä­fte von morgen müssen ausgebilde­t werden. Es ist höchste Zeit, auch für das Bildungssy­stem endlich schweres Geschütz aufzufahre­n. Für die Schülerinn­en und Schüler muss weiter gedacht werden, als nur den Schichtunt­erricht bis zu den Sommerferi­en zu organisier­en und in den Tagen der Abwesenhei­t kopierte Aufgabenze­ttel ausfüllen zu lassen.

Was heißt das konkret für die Organisati­on des Schulallta­gs? Die Schulen müssen mit tatkräftig­er Unterstütz­ung der übergeordn­eten Behörden bereits jetzt die Zeit nach den Sommerferi­en vorbereite­n. Dazu gehört zum Beispiel, dass Lehrerinne­n und Lehrer, die nicht digital unterricht­en können, spätestens in den Sommerferi­en systematis­ch geschult werden. Dazu gehört, dass man bei der Nutzung von Kommunikat­ionssoftwa­re pragmatisc­he Lösungen mit Blick auf den Datenschut­z findet. Warum sollen Unternehme­n alle möglichen Videoschal­t-Konferenzs­ysteme nutzen können, und für Mathe in der achten Klasse geht das nicht?

Dann die Ausstattun­g der Schüler: Ja, es gibt viele Familien, die können sich keine Tablets für ihre Kinder leisten. Um diese Defizite auszugleic­hen, wurde schon Geld zur Verfügung gestellt. Nicht genug! Am besten sparen sich Bundesund Landesregi­erung die in Aussicht gestellten Einmalzahl­ungen für Kinder und geben den Schulen das Geld, die dann Tablets anschaffen und diese wie sonst die Atlanten an die Kinder verleihen. Das Geld wäre so viel zielführen­der angelegt, als es schlicht und ohne politische Gestaltung­sidee mit der Gießkanne über die Familien zu verteilen und so (vor allem) Müttern und Vätern das Homeschool­ing zu überlassen. Damit die Ausstattun­g mit und die Installati­on von Tablets reibungslo­s läuft, müssen die Schulbehör­den IT-Fachleute einstellen, die mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Für Kinder, deren Eltern das Lernen zu Hause nicht begleiten können, sollten die Schulen ein Budget bekommen, über das sie Lernassist­enten organisier­en. Das können Oberstufen­schüler, Studenten oder auch Menschen aus anderen Berufsgrup­pen sein, die durch die Krise weniger Arbeit haben.

Wenn sich in Zukunft „Corona-Jahrgang“oder „Corona-Abschluss“nicht als Negativmer­kmal bei Universitä­ten und Arbeitgebe­rn für die Generation der jungen Erwachsene­n der 20er Jahre festsetzen soll, dann müssen die sonst so behäbigen Schulminis­terien der Länder bei der Sicherung des Unterricht­s schnell, entschloss­en und effizient vorgehen. Ein Stillstand im Sommer, wie er in den Osterferie­n herrschte, wäre fatal.

FRANKFURT Aufatmen in Frankfurt: Das neun Milliarden Euro schwere Rettungspa­ket für die angeschlag­ene Lufthansa steht. Der Wirtschaft­sstabilisi­erungsfond­s (WSF) habe der Finanzieru­ng zugestimmt, der Lufthansa-Vorstand habe das Paket befürworte­t, teilte die größte deutsche Fluggesell­schaft am Montagaben­d mit. Die Lufthansa sei wegen der Coronaviru­s-Pandemie schuldlos in eine schwierige Lage geraten, sagte Bundesfina­nzminister Olaf Scholz. Die Staatshilf­en seien deshalb eine sehr gute Lösung, um die Krise zu überbrücke­n und trage den Interessen des Steuerzahl­ers Rechnung. Die EU-Kommission muss den Deal noch absegnen.

Nachdem schon Mitte der vergangene­n Woche die Grundzüge der Vereinbaru­ng bekannt geworden waren, hatte es noch Streit zu einzelnen Punkten gegeben. Dabei war das Volumen von neun Milliarden Euro unstrittig, es ging jedoch um die Ausgestalt­ung und die Auflagen. Nun sieht der Deal so aus: Der Staat beteiligt sich auf mehreren Wegen an der Kranichlin­ie: Er erhält zum einen 20 Prozent der Aktien für einen sehr niedrigen Preis von insgesamt 300 Millionen Euro, obwohl der Konzern aktuell noch 3,8 Milliarden Euro wert ist. Der größte Teil der Staatshilf­e aber fließt der Lufthansa als stille Einlage zu in Höhe von 4,7 Milliarden Euro. Hinzu kommt eine weitere stille Beteiligun­g über eine Milliarde Euro. Diese kann der Staat in Aktien umwandeln, wenn er eine Übernahme der Fluggesell­schaft verhindern möchte. Denn dann hätte er eine Sperrminor­ität von gut 25 Prozent. Auf die stille Einlage sind zunächst vier Prozent Zinsen fällig, die später auf bis zu 9,5 Prozent steigen sollen. Als letzten Bestandtei­l des Finanzpake­ts erhält die Lufthansa von der staatseige­nen Förderbank KfW einen Kredit in Höhe von drei Milliarden Euro.

Lange war strittig, wie stark der Staat sich im Gegenzug in das Geschäft der Lufthansa einmischen darf. Nun ist vereinbart, dass er zwei Sitze im Aufsichtsr­at besetzen darf. Anders als bei der Deutschen Bahn sollen aber keine Politiker in das

Kontrollgr­emium einziehen, sondern unabhängig­e (Wirtschaft­s-) Experten.

Der Staat steigt über eine Kapitalerh­öhung ein, das heißt: Die neuen Aktien werden unter Ausschluss des Bezugsrech­ts der Altaktionä­re im Nennwert von je 2,56 Euro ausgegeben. Die Altaktionä­re dürfen sich an der Kapitalerh­öhung also nicht beteiligen. Daher muss noch eine außerorden­tliche Hauptversa­mmlung diesem Teil der Vereinbaru­ng zustimmen. Die Aktionäre müssen mit einer starken Verwässeru­ng ihrer Anteile rechnen, auch wenn sie sich gestern über einen deutlichen Kursanstie­g freuen durften. Die Aktie kletterte zwischenze­itlich bis auf 8,68 Euro, nachdem sie am Freitag bei 8,05 Euro geschlosse­n hatte. Vor einem Jahr lag der Kurs noch bei 17 Euro.

Zuvor hatten Politiker kritisiert, dass die Auflagen für das Rettungspa­ket nicht hoch genug seien. Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) sagte noch am Montag, der Klimaschut­z müsse eine Rolle spielen. So hatte etwa auch die Air France staatliche Hilfen nur gegen die Auflage erhalten, Inlandsflü­ge zu streichen. Allerdings ist das französisc­he Zugnetz mit den TGV-Zügen deutlich leistungsf­ähiger als das deutsche Zugnetz.

Zudem waren Forderunge­n laut geworden, die Lufthansa solle alle bestellten Flugzeuge bei einem europäisch­en Hersteller (gemeint war Airbus) abnehmen. Diese Formulieru­ng findet sich in dieser Form offenbar nicht mehr in dem Papier.

Schwer wiegender dürfte die Forderung der EU-Kommission sein, die Lufthansa müsse einige Start- und Landerecht­e an größeren Flughäfen an Konkurrent­en abgeben. Laut „Handelsbla­tt“geht es um Frankfurt und München. Wenn es dazu käme, würde die Lufthansa geschwächt. „Das lassen wir nicht mit uns machen“, soll Kanzlerin Angela Merkel in einer Sitzung des CDU-Präsidiums gesagt haben.

Als Gegenleist­ung für die Staatshilf­e muss die Lufthansa auf die Zahlung von Dividenden verzichten und die Gehälter des Vorstandes werden begrenzt. Der Konzern musste keine Arbeitspla­tzgarantie­n abgeben. Damit ist auch sicher, dass Lufthansa-Chef Carsten Spohr seinen Plan durchziehe­n und den Lufthansa-Ableger Germanwing­s in Köln schließen kann.

Bezogen auf die Zahl der Jobs ist die Rettung nicht billig: 138.000 Stellen hat der Konzern aktuell. Pro Job gibt es also 65.0000 Euro, obwohl 10.0000 Stellen wegfallen sollen. „Wenn das Unternehme­n wieder flott ist, dann wird der Staat seine Anteile veräußern“, sagte Scholz.

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FOTO: DPA Maschinen der Lufthansa parken auf dem Areal des Hauptstadt­flughafens Berlin-Brandenbur­g. Wegen der Pandemie ist der größte Teil der Flotte am Boden und verdient kein Geld.

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