Rheinische Post

Der Klavierleh­rer der Kaiserin

An den ungarische­n Pianisten Andor Foldes erinnert eine 19-CD-Box der Deutschen Grammophon.

- VON WOLFRAM GOERTZ

BUDAPEST Irgendwann vor einiger Zeit sagte ein Verantwort­licher in den unendliche­n Weiten des Konzerns Deutsche Grammophon Gesellscha­ft: „Kinder, wollen wir nicht mal in unser Archiv steigen und alle Aufnahmen von Andor Foldes veröffentl­ichen?“Nur wenige begriffen sofort; vor allem den jüngeren Mitarbeite­rn sagte der Name nichts. Sogleich nahmen sie ihre Smartphone­s zur Hand und begannen zu googeln. Dann war die Sache klar: Der Mann galt als eine Koryphäe des Klavierspi­els. Die Box wurde geplant.

Der gebürtige Ungar Foldes (1913 bis 1992) war schon früh ein Phänomen, berühmte Lehrer hatte er nicht, doch spielte er mit acht Jahren bereits ein Klavierkon­zert Mozarts. Und mit 19 Jahren gewann er den Franz-Liszt-Klavierwet­tbewerb in seiner Heimatstad­t Budapest. Da standen ihm alle Türen offen, der Komponist Béla Bartók wurde ihm persönlich vertraut, und Emil von Sauer, der letzte lebende Schüler Franz Liszts, drückte ihm beim Abschied nach einem Besuch einen Kuss auf die Stirn – mit der Erklärung, einst habe er diesen Kuss von Liszt persönlich empfangen mit der Verpflicht­ung, ihn einmal an einen würdigen Schüler weiterzuge­ben.

In den 30er Jahren begann eine weltweite Konzertkar­riere, die sich durch das unselige Treiben der Nazis und durch den Weltkriegs­beginn in die USA verlagerte. Erst nach dem Krieg kehrte Foldes nach Europa zurück. Und sogleich war sie da, die Sympathie des Publikums und der gebildeten Stände, denn Foldes war sehr belesen, sehr interessie­rt und alles andere als ein Fachidiot. Er parlierte brillant und suggestiv, und zwar in mehreren Sprachen. Albert Einstein war mit ihm befreundet, ebenso das japanische Kaiserehep­aar (die Kaiserin war sogar seine Klaviersch­ülerin). Mit Willy Brandt und Helmut Schmidt sah man ihn häufig in vertrautem Gespräch; zeitweilig hatte Foldes die legendäre Klavierpro­fessur in Saarbrücke­n innegehabt. Er starb 1992 in der Nähe von Zürich.

Die neue Box mit 19 CDs bietet einen hinreißend­en Überblick über die Kunst eines wahrhaft überlegene­n Klavierspi­els. Foldes war kein Blender, kein Schaumschl­äger, kein Parfümeur; sein Schumann („Carnaval“, Fantasie C-Dur) ist hell, schnell, leicht, geschmeidi­g, trotzdem hellhörig für das Melancholi­sche und Verhangene. Die berüchtigt­e C-Dur-Toccata hört man selten so transparen­t und durchschei­nend. Irgendein Lehrer muss ihm vom üppigen Gebrauch des Hallpedals so nachdrückl­ich abgeraten haben, dass Foldes es zeitlebens äußerst vorsichtig bediente. Davon profitiert auch sein Beethoven (Sonaten, Klavierkon­zerte), den Foldes herrlich ritterlich, dabei erstaunlic­h unpathetis­ch und erlebnisof­fen angeht.

Brahms und Liszt, Grieg, Strawinsky und Mozart waren – wie die CDs zeigen – ebenfalls seine Hausgötter, doch zum Ereignis wird die Box durch die Aufnahme der allermeist­en Komponiste­n seines Landsmanns Bartók. Foldes erzählt uns von einem glühenden Mikrokosmo­s, in dem Volksmusik, grimmige Ausdrucksl­ust, kindliches Staunen und rhythmisch­e Wucht eine grandiose Verbindung eingehen.

Eine imponieren­de Edition!

 ?? FOTO: KURT JULIUS ?? Der ungarische Pianist Andor Foldes.
FOTO: KURT JULIUS Der ungarische Pianist Andor Foldes.

Newspapers in German

Newspapers from Germany