Hinter jedem Satz ein Abgrund
In „Extrawurst“im Theater an der Kö geht es um türkische und deutsche Befindlichkeiten.
DÜSSELDORF (go) Ein Fensterblick auf den Tennisplatz. Glänzende Pokale, penibel in Regalen aufgereiht. In dieser Kulisse spielt sich die Mitgliederversammlung eines feinen Clubs ab, verortet in Oberkassel. Wir, die Zuschauer im Theater an der Kö, wohnen ihr bei, werden raffiniert eingefangen und ins Geschehen einbezogen. Ein schlauer Schachzug der Autoren Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob, die mit „Extrawurst“einen Geniestreich auf dem Boulevard gelandet haben.
Vom ersten Moment an gluckst und kichert es bei der Premiere. Anfangs womöglich etwas befeuert durch die Anwesenheit einiger Zuschauer aus dem zitierten Tennisclub. Doch schnell wird jedem klar: Da stehen Typen auf der Bühne, die uns allen irgendwie vertraut sind, ob mit oder ohneVereinszugehörigkeit.
Es fängt ganz harmlos an. Der joviale Präsident Heribert Bräsemann (Martin Zuhr) ist nach seiner Wiederwahl bester Laune und hakt flugs noch die Reste der Tagesordnung ab: die einheitliche Kleidung, weiterhin ganz in Weiß, den Bau des neuen Vereinsheims, „ein Entwurf zum Zungeschnalzen“. Meldet sich sein übermotivierter Stellvertreter Matthias Scholz (Stephan Schleberger), schneidet er ihm barsch das Wort ab. Dessen große Stunde kommt erst, als er beharrlich den letzten Punkt anspricht – die Anschaffung eines schicken neuen Gasgrills. Sie könnte rasch beschlossen werden, wäre da nicht Melanie Pfaff (Madeleine Niesche), die sensibel auf ihren Doppelpartner Erol Oturan (Parbet Chugh) hinweist. Für ihn, den Muslim, ist der Grill Sperrzone. Er isst kein Schweinefleisch. Und auch nichts aus der Nähe zu Schweinefleisch. Ob es nicht eine nette Geste sei, für die Würstchen seiner Familie ein zweites Gerät bereitzustellen?
Damit ist das Match eröffnet und wird im Handumdrehen zum Kampf der Kulturen. Wie kann ein Grill politisch korrekt bestückt werden? In rasantem Galopp geht es durch türkische und deutsche Befindlichkeiten, um Toleranz und Religion. Melanies
Mann, Werbetexter Torsten (Stefan Bockelmann), entzündet mit sarkastischen Kommentaren gesellschaftliche Debatten. Wie vergiftete Pfeile fliegen Schmetterbälle hin und her. Sie treffen ins Mark auch des Publikums, das sich den Spiegel vorhalten muss, ob es nun will oder nicht.
Hinter jedem Satz lauert ein Abgrund. Hat man, was da bitterböse herausgeschleudert wird, so ähnlich nicht auch schon mal gedacht? Die Dialoge sind tückisch, aber blitzgescheit komponiert. Einmal ertappt, bleibt einem das Lachen im Hals stecken, obwohl das Stück als großer Spaß verkleidet ist. Nur der Tiebreak gegen Ende, um im Bild zu bleiben, zieht sich ein wenig hin, man wartet auf den Matchball. Der bleibt aus, was Absicht sein dürfte. „Extrawurst“serviert keine Lösung und schickt die Zuschauer ohne belehrenden Zeigefinger heim. Dafür aber mit viel Stoff zum Nachdenken und Überprüfen der eigenen Haltung. Das Ensemble trumpft unter Volker Schmalöers Regie grandios auf und wird stürmisch gefeiert. Lachen mit Tiefgang – ein rundum empfehlenswerter Abend.