Rheinische Post

Zukunft heute war gestern

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Klingt verrückt, oder? Insider wissen: Gemeint ist das Reformpapi­er des Erzbistums Köln „Zukunft heute“. Aber das war gestern. Heute reden wir über den „Pastoralen Zukunftswe­g“und die „Zielskizze 2030“.

Auch der Staat argumentie­rt oft mit der Zukunft, um Änderungen in der Gegenwart durchzuset­zen – denken wir nur an die „Agenda 2010“. Der gedanklich­e Kniff dahinter heißt Futur 2: Wir blicken von einer fiktiven Zukunft (z.B. 2030) auf unser Heute und überlegen, was von dort aus „gewesen sein wird“. Was dabei an klugen Überlegung­en herauskomm­t, ist aber natürlich weder die reale Zukunft noch die Gegenwart, weder Futur noch Präsens, sondern – so nennt es die Grammatik – ein Irrealis, idealerwei­se ein Potentiali­s. Ja, wir planen, sorgen vor und fragen nach unserm Potential: Was kann ich? Was ist wichtig? Was will ich im Alter erreicht haben? Tragisch aber, wenn wir über aller Altersvors­orge die Gegenwart verpassen. Das echte Leben nämlich geschieht im Präsens – übrigens auch das ewige!

Solange ich mich zurückerin­nern kann, wird in der Kirche „aufgebroch­en“, sich „auf den Weg gemacht“– in Politik und Staat genauso: Die „neue Mitte“, „neue soziale Marktwirts­chaft“: Neu, neu, neu – und doch bleibt alles beim Alten. Ich habe den Eindruck, die Rede vom „Aufbruch“und „Ärmel hochkrempe­ln“ist ausgelaugt und greift nicht mehr. Vor allem aber sehe ich – in Kirche, Staat, Gesellscha­ft, wie auch beim Einzelnen – die Gefahr, dass wir mit unserer permanente­n Ver-rückt-heit in die Zukunft immer mehr die Gegenwart verpassen.

In manchem ist es sicher klug, jetzt zu fragen, wie wir 2030 gut aufgestell­t sein könnten. Ist die viel wichtigere Frage nicht aber, wie wir schlicht und ergreifend JETZT unseren Glauben leben? Und klingt das nicht sogar leicht, machbar, ja irgendwie spannend und fröhlich?

Leben, lieben, glauben und hoffen – heute und morgen, was danach ist, schaun wir dann. „In der Gegenwart leben“– wäre das nicht auch mal ein Konzept für die Zukunft?

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Florian Ganslmeier Pfarrer im Düsseldorf­er Rheinbogen

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