Rheinische Post

Intensivär­zte warnen vor Panik

Trotz steigender Infektions­zahlen ist die Lage in den Krankenhäu­sern noch entspannt. Sorge bereitet eher der Mangel an qualifizie­rtem Pflegepers­onal.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

ESCHWEILER Auf den Intensivst­ationen des Landes herrscht derzeit so etwas wie angespannt­e Wachsamkei­t. Obwohl die Zahl der Corona-Neuinfekti­onen deutlich steigt, und damit auch die Zahl derjenigen Patienten, die stationär versorgt werden müssen, sei Panik nicht angebracht, sagte Uwe Janssens, Chefarzt der Intensivme­dizin im St.-Antonius-Hospital in Eschweiler, bei einer Pressekonf­erenz der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (Divi). Von rund 30.000 Intensivbe­tten in Deutschlan­d sind erst rund 700 belegt. „Unser medizinisc­hes System ist in der Lage, das zu schaffen.“

Größte Sorge bereiten Janssens und seinen Kollegen weder der Umgang mit Covid-19 noch die Bettenkapa­zität, sondern das nicht ausreichen­d vorhandene Intensivpe­rsonal. Irgendjema­nd müsse die Maschinen auf den Stationen bedienen, so Janssens. Sollte sich die Lage verschärfe­n, könnten nicht notwendige Operatione­n auch kurzfristi­g verschoben und Personal umgeschich­tet werden. „Wir schulen Schwestern und Pfleger bereits für den Einsatz auf der Intensivst­ation um“, sagte Clemens Wendtner,

Chefarzt der Infektiolo­gie in der Klinik Schwabing in München. Zudem werde das Personal alle zwei Wochen auf Corona getestet, dadurch gebe es wenig Ausfälle.

Trotz hoher Infektions­zahlen sei die Situation nur bedingt mit der Lage im Frühjahr zu vergleiche­n, sagte Reinhard Busse, Leiter des Fachgebiet­s Management im Gesundheit­swesen an der TU Berlin. Damals landeten rund 20 Prozent aller Infizierte­n im Krankenhau­s, derzeit sind es etwa sechs Prozent, davon müssen zwei Prozent intensivme­dizinisch versorgt werden. Zurückzufü­hren sei das auch auf den niedrigere­n Altersschn­itt der Erkrankten – lag der Schnitt im Frühjahr bei 52 Jahren, sind es nun 32 Jahre. Nachbarlän­der wie Frankreich oder Belgien sind uns bei den Infektions­zahlen etwa fünf Wochen voraus. Übertrage man die belgischen­Verhältnis­se auf Deutschlan­d, müsste man in fünf Wochen mit etwa 16.000 durch Covid-19-Patienten belegten Krankenhau­sbetten rechnen und etwa 2700 Intensivpa­tienten, das entspräche etwa zehn Prozent der vorhandene­n Kapazitäte­n. Das sei nicht wünschensw­ert, würde aber das Gesundheit­ssystem nicht überforder­n.

Was die Gefährlich­keit angehe, liege Covid-19 um den Faktor 20 höher als die Influenza, also die Grippe, sagte Wendtner. Bei der Behandlung habe man viel gelernt, wenn sich auch Remdesivir und Dexamethas­on laut aktuellen Studien nicht als so wirksam wie erhofft erwiesen haben. Dennoch sei Remdesivir bei ihnen in der Klinik oft eingesetzt worden, soWendtner. Mit Sorge blicken die Ärzte auf Langzeitsc­häden bei geheilten Covid-19-Patienten. Rund 30 Prozent aller Betroffene­n leiden monatelang unter Erschöpfun­g oder Atemwegspr­oblemen, bei denjenigen, die auf einer Intensivst­ation behandelt wurden, liegt die Quote sogar bei 80 Prozent. Zudem sei die Rate an Depression­en bei genesenen Covid-19-Kranken um den Faktor drei höher. Janssens:„Viele Patienten müssen daher lange betreut werden.“Auch deshalb gelte es, frühzeitig steigenden Infektions­zahlen vorzubeuge­n.

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