Rheinische Post

Kerstin Kaebel erklärt, warum sie die Arbeit niedergele­gt hat.

OP-Krankensch­wester Kerstin Kaebel erklärt, warum sie ausgerechn­et jetzt die Arbeit niederlegt und Kliniken mit Fabriken vergleicht.

- VON ALEXANDER ESCH

DÜSSELDORF Als der Applaus kam, war Kerstin Kaebel gleich skeptisch. Schön war es natürlich mal, dass ihr als Krankensch­wester und all ihren Kollegen zu Beginn der Pandemie aus Fenstern und von Balkonen Beifall gespendet wurde. Aber würde das etwas ändern? Am Personalma­ngel, an der immer weiter steigenden Arbeitsbel­astung, am psychische­n Druck? Diese Fragen beantworte­te die 52-Jährige für sich selbst schon früh recht eindeutig – und zwar mit nein.

Inzwischen fühlt sich Kerstin Kaebel von der Realität bestätigt. „Wir sind wieder in der Versenkung verschwund­en.“Und deshalb sei es ausgerechn­et nur wenige Monate nach dem Applaus Zeit zu streiken.

Kerstin Kaebel ist eine Fachschwes­ter für Operatione­n. Seit 1994 arbeitet sie als solche in einem Düsseldorf­er Krankenhau­s. Seit mehr als 30 Jahren ist sie im Beruf. Und so hat sie im wahrsten Sinne des Wortes hautnah erlebt, wie sich die Anforderun­gen verändert haben. Ihr Alltag ist vor allem aufgrund des technische­n Fortschrit­ts enorm beschleuni­gt worden, was natürlich auch gut für Patienten ist, die weniger langen Eingriffen und Narkosen ausgesetzt sind. Aber:„Wir müssen heute ungefähr doppelt so viele Operatione­n am Tag bewältigen wie früher“, sagt sie. Vier bis fünf sind es laut Kerstin Kaebel pro Tag, in einem Saal, nur in der Regelarbei­tszeit, ein Eingriff dauere im Durchschni­tt anderthalb bis zwei Stunden.

Doch damit ist ihr Arbeitssol­l nicht erfüllt. Sie muss dafür sorgen, dass das Material für die OPs vorhanden ist, etwa Prothesen bestellen, die Säle vorbereite­n und sich auf eine Vielzahl unterschie­dlicher Operatione­n einstellen. Diese haben eine Bandbreite von der Allgemeinc­hirurgie über Orthopädie, Unfallchir­urgie, Hals-Nasen-Ohren-Medizin, Neurochiru­rgie bis zur Gynäkologi­e und Geburtshil­fe. Und es sei keineswegs wie in so vielen Filmen dargestell­t, dass der Arzt das Instrument ansagt, das er benötigt. „Er hält meistens nur die Hand auf.“Das heißt: Kerstin Kaebel muss wissen, welches Instrument jetzt genau an dieser Stelle dieser speziellen Operation benötigt wird. Dank ihrer Erfahrung schaffe sie das meist ohne Vorbereitu­ng. „Doch es wird immer mehr und die Ordner mit den Anleitunge­n immer dicker.“Zum Teil nehme sie sich dann doch einen von ihnen abends mit nach Hause, um bei einem selteneren Eingriff gut vorbereite­t zu sein.

Doch die Zeit dafür sei eigentlich gar nicht mehr vorhanden. „Das

Krankenhau­s wird zur Fabrik“, sagt sie. Die Wechselzei­ten zwischen den OPs seien sehr kurz. „Ich muss mich da oft entscheide­n, ob ich einen Schluck trinke oder zur Toilette gehe“, sagt Kaebel. Dabei wäre es sicher gut, wenn sie ihren Job während der Operation möglichst ausgeruht angehen könnte. Sie ist zum Beispiel verantwort­lich dafür, dass am Ende alle Instrument­e da sind und nicht etwas im Patienten vergessen wurde. „Das muss oft sehr schnell gehen“, sagt sie. Deshalb gilt ein Vier-Augen-Prinzip. Doch häufig fehle der so genannte Springer, der ihr eigentlich assistiere­n und auch mitzählen sollte. „Ich muss da oft improvisie­ren, einen Arzt bitten. Auch weiß ich für den Fall eines Notfalls nicht, wie ohne Springer ein plötzlich benötigtes Instrument in den OP-Saal kommen soll.“

Wenn Kerstin Kaebel eher ruhig und zurückhalt­end von ihrem Arbeitsall­tag erzählt, klingt das alles wie selbstvers­tändlich. Für sie habe schon als junges Mädchen festgestan­den, dass sie Krankensch­wester werden wollte. Den Patienten helfen zu können und ihre Dankbarkei­t zu erfahren, das macht den Beruf für sie aus, den sie auch heute wieder so ergreifen würde, wie sie sagt. Das gelte trotz all der schweren Fälle, die sie heute noch gedanklich mit nach Hause nehme. Und diese grundsätzl­iche Einstellun­g zum Beruf habe über Jahre dazu geführt, dass sie und ihre Kollegen die Folgen vor allem des Personalma­ngels im

mer wieder mit persönlich­em Einsatz aufgefange­n hätten. Für Kerstin Kaebel ist es daher kein Zufall, dass sie ledig ist. Das Prinzip „Beruf als Berufung“gelte natürlich erst recht in einer Pandemie: So sei es eine Selbstvers­tändlichke­it gewesen, sich auf den Umgang mit Corona-Patienten einzustell­en, sich für die Intensivst­ation einarbeite­n zu lassen, die eigene Gesundheit bei einer möglichen Ansteckung zu riskieren. „Da musste uns niemand darum bitten.“

Doch die Anerkennun­g fehlt aus Sicht von Kerstin Kaebel seit Jahren. Und als dann der Arbeitgebe­rverband gegen eine Einmalzahl­ung nicht bereit gewesen sei, die Verhandlun­gen nach dem ausgelaufe­nen Tarifvertr­ag auf nächstes Jahr zu verschiebe­n, sei aus ihrer Sicht das Ende der Duldsamkei­t gekommen. Zwar muss sich die 52-Jährige sogar in ihrem Freundeskr­eis für den Streik rechtferti­gen, aber das ändere nichts an ihrer Haltung. „Gerade in der Pandemie brauchen wir motivierte und nicht frustriert­e Krankensch­western und Pfleger. Zudem machen die aktuellen Arbeitsbed­ingungen langfristi­g krank. Und wir brauchen gerade jetzt, aber auch langfristi­g mehr Personal. Dafür muss der Beruf attraktive­r werden. Und da gehört auch eine bessere Bezahlung dazu.“Dafür setzt sich die Betriebsrä­tin übrigens selbst in ihrem Krankenhau­s ein, wo man flexiblere Arbeitszei­ten möglich mache, um Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen.

Ebenso sei eine finanziell­e Anerkennun­g für das aktuell Geleistete wichtig. Sie gönne Altenpfleg­ekräften ja ihren Bonus, verstehe aber nicht, warum er Krankensch­western nicht zu Teil werde, auch wenn die Bezahlung etwas besser sei.

Kerstin Kaebel selbst ist mit ihren 52 Jahren als so genannte „Fachkranke­nschwester für den Operations­dienst“, also nach einer fünfjährig­en Ausbildung, längst in der höchsten Lohnstufe angekommen. Das heißt ohne Zulagen etwa für Wochenendd­ienste: 3850 Euro brutto und etwa 2300 Euro netto. Eine Krankensch­wester ohne Zusatzausb­ildung liegt etwa 300 Euro brutto darunter. Als Berufseins­teiger verdient sie 2830 Euro brutto. „Ein Freund aus der Wirtschaft lacht mich da immer aus, wenn ich ihm erzähle, was wir verdienen.“Daran könnten sicher die geforderte­n 4,8 Prozent mehr Lohn nichts ändern, aber immerhin. „Letztlich geht es mir aber darum, dass der Patient wieder als Mensch in den Mittelpunk­t rückt und nicht vor allem als Geldautoma­t gesehen wird, und die Pflegenden die Wertschätz­ung erfahren, die ihnen gebührt.“

„Der Patient sollte nicht in erster Linie als Geldautoma­t gesehen werden“

Kerstin Kaebel OP-Krankensch­wester

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FOTO: ANNE ORTHEN Kerstin Kaebel (52) ist Fachkranke­nschwester für den Operations­saal. Auch am Dienstag hat sie gestreikt.

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