Kerstin Kaebel erklärt, warum sie die Arbeit niedergelegt hat.
OP-Krankenschwester Kerstin Kaebel erklärt, warum sie ausgerechnet jetzt die Arbeit niederlegt und Kliniken mit Fabriken vergleicht.
DÜSSELDORF Als der Applaus kam, war Kerstin Kaebel gleich skeptisch. Schön war es natürlich mal, dass ihr als Krankenschwester und all ihren Kollegen zu Beginn der Pandemie aus Fenstern und von Balkonen Beifall gespendet wurde. Aber würde das etwas ändern? Am Personalmangel, an der immer weiter steigenden Arbeitsbelastung, am psychischen Druck? Diese Fragen beantwortete die 52-Jährige für sich selbst schon früh recht eindeutig – und zwar mit nein.
Inzwischen fühlt sich Kerstin Kaebel von der Realität bestätigt. „Wir sind wieder in der Versenkung verschwunden.“Und deshalb sei es ausgerechnet nur wenige Monate nach dem Applaus Zeit zu streiken.
Kerstin Kaebel ist eine Fachschwester für Operationen. Seit 1994 arbeitet sie als solche in einem Düsseldorfer Krankenhaus. Seit mehr als 30 Jahren ist sie im Beruf. Und so hat sie im wahrsten Sinne des Wortes hautnah erlebt, wie sich die Anforderungen verändert haben. Ihr Alltag ist vor allem aufgrund des technischen Fortschritts enorm beschleunigt worden, was natürlich auch gut für Patienten ist, die weniger langen Eingriffen und Narkosen ausgesetzt sind. Aber:„Wir müssen heute ungefähr doppelt so viele Operationen am Tag bewältigen wie früher“, sagt sie. Vier bis fünf sind es laut Kerstin Kaebel pro Tag, in einem Saal, nur in der Regelarbeitszeit, ein Eingriff dauere im Durchschnitt anderthalb bis zwei Stunden.
Doch damit ist ihr Arbeitssoll nicht erfüllt. Sie muss dafür sorgen, dass das Material für die OPs vorhanden ist, etwa Prothesen bestellen, die Säle vorbereiten und sich auf eine Vielzahl unterschiedlicher Operationen einstellen. Diese haben eine Bandbreite von der Allgemeinchirurgie über Orthopädie, Unfallchirurgie, Hals-Nasen-Ohren-Medizin, Neurochirurgie bis zur Gynäkologie und Geburtshilfe. Und es sei keineswegs wie in so vielen Filmen dargestellt, dass der Arzt das Instrument ansagt, das er benötigt. „Er hält meistens nur die Hand auf.“Das heißt: Kerstin Kaebel muss wissen, welches Instrument jetzt genau an dieser Stelle dieser speziellen Operation benötigt wird. Dank ihrer Erfahrung schaffe sie das meist ohne Vorbereitung. „Doch es wird immer mehr und die Ordner mit den Anleitungen immer dicker.“Zum Teil nehme sie sich dann doch einen von ihnen abends mit nach Hause, um bei einem selteneren Eingriff gut vorbereitet zu sein.
Doch die Zeit dafür sei eigentlich gar nicht mehr vorhanden. „Das
Krankenhaus wird zur Fabrik“, sagt sie. Die Wechselzeiten zwischen den OPs seien sehr kurz. „Ich muss mich da oft entscheiden, ob ich einen Schluck trinke oder zur Toilette gehe“, sagt Kaebel. Dabei wäre es sicher gut, wenn sie ihren Job während der Operation möglichst ausgeruht angehen könnte. Sie ist zum Beispiel verantwortlich dafür, dass am Ende alle Instrumente da sind und nicht etwas im Patienten vergessen wurde. „Das muss oft sehr schnell gehen“, sagt sie. Deshalb gilt ein Vier-Augen-Prinzip. Doch häufig fehle der so genannte Springer, der ihr eigentlich assistieren und auch mitzählen sollte. „Ich muss da oft improvisieren, einen Arzt bitten. Auch weiß ich für den Fall eines Notfalls nicht, wie ohne Springer ein plötzlich benötigtes Instrument in den OP-Saal kommen soll.“
Wenn Kerstin Kaebel eher ruhig und zurückhaltend von ihrem Arbeitsalltag erzählt, klingt das alles wie selbstverständlich. Für sie habe schon als junges Mädchen festgestanden, dass sie Krankenschwester werden wollte. Den Patienten helfen zu können und ihre Dankbarkeit zu erfahren, das macht den Beruf für sie aus, den sie auch heute wieder so ergreifen würde, wie sie sagt. Das gelte trotz all der schweren Fälle, die sie heute noch gedanklich mit nach Hause nehme. Und diese grundsätzliche Einstellung zum Beruf habe über Jahre dazu geführt, dass sie und ihre Kollegen die Folgen vor allem des Personalmangels im
mer wieder mit persönlichem Einsatz aufgefangen hätten. Für Kerstin Kaebel ist es daher kein Zufall, dass sie ledig ist. Das Prinzip „Beruf als Berufung“gelte natürlich erst recht in einer Pandemie: So sei es eine Selbstverständlichkeit gewesen, sich auf den Umgang mit Corona-Patienten einzustellen, sich für die Intensivstation einarbeiten zu lassen, die eigene Gesundheit bei einer möglichen Ansteckung zu riskieren. „Da musste uns niemand darum bitten.“
Doch die Anerkennung fehlt aus Sicht von Kerstin Kaebel seit Jahren. Und als dann der Arbeitgeberverband gegen eine Einmalzahlung nicht bereit gewesen sei, die Verhandlungen nach dem ausgelaufenen Tarifvertrag auf nächstes Jahr zu verschieben, sei aus ihrer Sicht das Ende der Duldsamkeit gekommen. Zwar muss sich die 52-Jährige sogar in ihrem Freundeskreis für den Streik rechtfertigen, aber das ändere nichts an ihrer Haltung. „Gerade in der Pandemie brauchen wir motivierte und nicht frustrierte Krankenschwestern und Pfleger. Zudem machen die aktuellen Arbeitsbedingungen langfristig krank. Und wir brauchen gerade jetzt, aber auch langfristig mehr Personal. Dafür muss der Beruf attraktiver werden. Und da gehört auch eine bessere Bezahlung dazu.“Dafür setzt sich die Betriebsrätin übrigens selbst in ihrem Krankenhaus ein, wo man flexiblere Arbeitszeiten möglich mache, um Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen.
Ebenso sei eine finanzielle Anerkennung für das aktuell Geleistete wichtig. Sie gönne Altenpflegekräften ja ihren Bonus, verstehe aber nicht, warum er Krankenschwestern nicht zu Teil werde, auch wenn die Bezahlung etwas besser sei.
Kerstin Kaebel selbst ist mit ihren 52 Jahren als so genannte „Fachkrankenschwester für den Operationsdienst“, also nach einer fünfjährigen Ausbildung, längst in der höchsten Lohnstufe angekommen. Das heißt ohne Zulagen etwa für Wochenenddienste: 3850 Euro brutto und etwa 2300 Euro netto. Eine Krankenschwester ohne Zusatzausbildung liegt etwa 300 Euro brutto darunter. Als Berufseinsteiger verdient sie 2830 Euro brutto. „Ein Freund aus der Wirtschaft lacht mich da immer aus, wenn ich ihm erzähle, was wir verdienen.“Daran könnten sicher die geforderten 4,8 Prozent mehr Lohn nichts ändern, aber immerhin. „Letztlich geht es mir aber darum, dass der Patient wieder als Mensch in den Mittelpunkt rückt und nicht vor allem als Geldautomat gesehen wird, und die Pflegenden die Wertschätzung erfahren, die ihnen gebührt.“
„Der Patient sollte nicht in erster Linie als Geldautomat gesehen werden“
Kerstin Kaebel OP-Krankenschwester