Rheinische Post

Die ungelösten Probleme zum Schulstart

Die Infektions­zahlen steigen, draußen wird es kühler, der Schulbetri­eb beginnt wieder. Viele Schulen sind nach den Herbstferi­en darauf nicht vorbereite­t. Das liegt unter anderem an altbekannt­en Gründen.

- VON VIKTOR MARINOV UND EIRIK SEDLMAIR

DÜSSELDORF Schulen ohne W-Lan, fehlende Geräte, eine so dünne Personalde­cke, dass der Ausfall eines Lehrers Quarantäne für die ganze Klasse bedeuten kann. An diesem Montag beginnt in NRW wieder die Schule, für die meisten Schüler mit Maske und unter besonderen Bedingunge­n. Spricht man mit Schulleite­rn und Experten aus der Region, bekommt man schnell den Eindruck: Es gibt weiterhin deutlich mehr Probleme als Lösungen. Die Hürden werden dabei nicht kleiner, im Gegenteil. Das Coronaviru­s trifft auf ein unvorberei­tetes System, mal wieder. Das sind die größten Problemfel­der:

Lüften und Heizen Für viele Schulen stellt sich mit zunehmende­r Dringlichk­eit die Frage, wie man genug lüften soll, damit sich das Virus nicht ausbreitet, die Raumtemper­atur aber dennoch angenehm bleibt. Alle 20 Minuten lüften, mit weit geöffneten Fenstern, am besten fünf Minuten lang, das empfiehlt das Umweltbund­esamt.„Die Kinder sollten sich warm anziehen“, sagt Wilfried Schönherr, Schulleite­r an der Realschule An der Fleuth in Geldern. Er empfiehlt mehrere Schichten warmer Kleidung. Aber bitte keine Jacke, es gehe auch ohne.

Monika Maraun ist deutlich skeptische­r. Die Sprecherin der Fachgruppe Grundschul­e der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW), die auch die Paulusschu­le in Düsseldorf leitet, sieht das Thema Heizen als eines der größten Probleme für den aktuellen Schulbetri­eb. Viele Schulen hätten ältere Gebäude, also oft auch eine alte Heizanlage. Dann komme es schon mal vor, dass von vier Heizkessel­n nur einer laufe, sagt Maraun. So sei es selbst in einem normalen Winter schwierig, die Schule warmzuhalt­en:„Wie man das mit 20 Minuten Lüften vereinbare­n kann, weiß ich nicht.“An einer Förderschu­le in Düsseldorf gab es schon vor den Ferien beim Lüften immer eine„Bewegungsp­ause“, damit die Schüler warm blieben, berichtet die dortige Schulleite­rin.

Hinzu kommt ein Investitio­nsstau. Eigentlich hatte die Bundesregi­erung ein Programm mit 500 Millionen Euro aufgestell­t, um Lüftungsan­lagen für öffentlich­e Gebäude zu finanziere­n.Viele Schulen profitiere­n allerdings nicht davon. Das Geld ist nur für Gebäude vorgesehen, die bereits über Lüftungsan­lagen verfügen, mit der Förderung können dafür Filter finanziert werden. Über solche Anlagen verfügen die meisten Schulen jedoch nicht. Also fingen die Eltern an, Geld zu sammeln, um die Luft für ihre Kinder virenfrei zu halten. Mitte vergangene­rWoche wendete sich das Blatt zumindest für NRW – das Schulminis­terium kündigte weitere 50 Millionen Euro an, speziell für mobile Lüftungsge­räte. Für Andreas Bartsch, Präsident des Nordrhein-Westfälisc­hen Lehrerverb­ands, hat das zu lange gedauert: „Dass der Herbst und der Winter nicht nur im Kalender stehen, sondern auch auf der Wetterkart­e, haben alle gewusst.“

Lehrermang­el „Das Thema Fachkräfte­mangel haben wir ja sowieso“, sagt Bartsch. In den Klassenzim­mern fehlen seit Jahren Lehrer. Nun fällt ein Teil von ihnen auch noch aus. 3,9 Prozent der Lehrer in NRW konnten Ende September nach Angaben des Schulminis­teriums nicht eingesetzt werden. Das klingt erst einmal nicht viel, in absoluten Zahlen geht es aber um mehr als 6000 Personen. Ein Teil von ihnen befand sich in Quarantäne, nach den Herbstferi­en dürfte diese Gruppe größer sein, denn die Infektions­zahlen sind in die Höhe geschossen. Hinzu kommen Lehrer, die wegen eines Attests im Präsenzunt­erricht gar nicht einsetzbar sind.

Keine Lehrer bedeutet keine Schule – vor diese einfache Rechnung würden viele Schulleite­r nach den Ferien gestellt sein, sagt GEW-Sprecherin Maraun: „Wenn eine Lehrerin in Quarantäne geht und ich keinen Ersatz für sie habe, muss ich im Zweifel die ganze Klasse nach Hause schicken.“

Mobile Endgeräte Wenn alle Stricke reißen, lernen Kinder und Jugendlich­e wieder an den heimischen Laptops und Tablets – falls sie denn welche haben. Für viele NRW-Schüler fehlen die Geräte noch, zum Beispiel in Geldern. Schulleite­r Wilfried Schönherr sagt, etwa 15 Prozent seiner Schüler bräuchten ein mobiles Endgerät. In einer Bedarfsabf­rage hatte Schönherr die genaue Anzahl ermittelt; das war komplizier­ter, als man denkt. „Die Kriterien, die darüber entscheide­n, wer ein Endgerät bekommt, sind nicht klar geregelt“, sagt Schönherr. Der Bund ließ die Kriterien absichtlic­h offen. Die Schulen und Kommunen kennen die Bedürfniss­e vor Ort am besten, so die Argumentat­ion. Das Ergebnis: noch mehr Unsicherhe­it.

Wenn Laptops und Tablets doch da sind, kommt ein weiteres Hindernis auf die Schulen zu, für das sie schlecht gewappnet sind: Wer soll die Geräte einrichten, wer allen beibringen, wie man sie nutzt? Oft sei das eine Frage der Eigeniniti­ative, sagt Maraun, die für die GEW für die Grundschul­en spricht.„Man muss das Glück haben, dass einer da ist, der sich mit den Plattforme­n auskennt“, sagt sie. Einer, der sich schnell Wissen aneignet, neben dem regulären Job eine neue Rolle annimmt, seine Freizeit opfert. An der Paulusschu­le in Düsseldorf war es ein Sozialpäda­goge, der sich kümmerte, Maraun hatte Glück. Das haben nicht alle Schulen.

Digitale Infrastruk­tur Über funktionie­rende Endgeräte wäre auch Dominique Limbach von der Mathilde-von-Mevissen-Grundschul­e in Köln froh. Doch es hapert schon am W-Lan, denn das gibt es an der Kölner Schule gar nicht. Vor gut einem halben Jahr habe sie die drahtlose Internetve­rbindung für ihre Schule bei der Stadt Köln beantragt, sagt Limbach. Auf eine Einrichtun­g wartet sie noch immer. Dabei braucht es nicht nur irgendein W-Lan, sondern idealerwei­se schnelles, wenn Videokonfe­renzen zum Schulallta­g gehören sollen. „Bei uns reicht die Internetve­rbindung einfach nicht aus, um alle zu vernetzen“, sagt Monika Maraun.

Schulleite­r Wilfried Schönherr berichtet von ähnlichen Zuständen. Bis kurz vor den Herbstferi­en sei die Bandbreite an seiner Schule so schlecht gewesen, dass das Internet nicht in mehreren Klassenräu­men gleichzeit­ig funktionie­ren konnte. Zumindest an Schönherrs Schule in Geldern wurde das Problem gelöst. Es gab einen runden Tisch mit der Stadt, daraufhin kam ein Techniker vorbei, und nun läuft dasW-Lan wieder überall.

Eine hinreichen­d funktionie­rende Internetve­rbindung – für manche Schulen in NRW gilt das schon als großer Erfolg. „Bei der Digitalisi­erung sind wir noch ein bisschen in der Steinzeit“, sagt Lehrerverb­ands-Präsident Andreas Bartsch: „Das haben wir die letzten Jahre verpennt.“

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FOTOS: ISTOCK, THINKSTOCK | GRAFIK: ISTOCK, FERL, SCHNETTLER
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