„Wir wollen die Bürger nicht gängeln“
Der Ministerpräsident des Saarlands zur Wahl des CDU-Chefs und zur Frage, warum er von seinen Kollegen mehr Solidarität erwartet.
Wird es eine Wahl des CDU-Vorsitzenden im Dezember geben?
HANS Es wäre aus meiner Sicht die schlechtere Option, die Wahl des neuen Parteivorsitzenden ins Frühjahr hinauszuschieben. Ich bin dafür, dass wir den Parteitag Anfang Dezember als hybriden Parteitag mit virtuellen Elementen und Präsenzveranstaltungen im kleinen Stil dezentral durchführen. Die CDU führt derzeit in den Umfragen und stellt die erfolgreiche Bundeskanzlerin. Die Partei muss jetzt schnell sagen, wer ihre Führung sein soll. Die Menschen wollen das entschieden wissen, da bin ich sicher.
Könnte man im Frühjahr nicht noch einmal neu würfeln? Der derzeit in der CDU sehr beliebte Jens Spahn könnte dann noch mal eine neue Rolle bekommen...
HANS In der Demokratie kann man jederzeit die Weichen neu stellen, auch jetzt. Es gibt den Wunsch vieler in der Partei, dass der Dreikampf gar nicht erst ausgefochten wird und die drei Kandidaten sich einigen – entweder untereinander oder auf einen anderen Kandidaten.Wenn das nicht möglich ist, muss man das demokratische Verfahren vernünftig austragen. EinWarten auf das Frühjahr ändert daran nichts. Wir müssen die Führungsfrage jetzt klären.
Wann muss die Kanzlerkandidatur der Union bestimmt werden? Gleich danach oder im Frühjahr?
HANS Im Moment müssen wir uns darauf konzentrieren, Deutschland in dieser schwierigen Lage gut zu regieren. Wir sollten die Regierungsarbeit auf keinen Fall durch einen zu früh eingeleitetenWahlkampf gefährden. Das ist die oberste Prämisse. Ansonsten gebietet es die Fairness gegenüber dem Partner CSU, dass der CDU-Vorsitzende, sobald er gewählt ist, mit der CSU ins Gespräch kommt und dann gemeinsam ein Fahrplan festgelegt wird.
Befürchten Sie nach der Wahl eines neuen CDU-Vorsitzenden einen Riss in der CDU oder der Union?
HANS Die Union war immer dann stark, wenn sie geschlossen war. Im Unterschied zumWahlparteitag der CDU vor zwei Jahren stehen wir jetzt unmittelbar vor einer Bundestagswahl. Alle in der Union wollen die Wahl gewinnen, und das geht nur gemeinsam. In der CDU müssen alle – auch die unterlegenen Kandidaten – mit ins Team und den Gewinner unterstützen. Das ist meine klare Erwartung an denjenigen, der die Union führen möchte: Dass er auch im Falle der Niederlage zurVerfügung steht. Es braucht alle klugen Köpfe, um die CDU gut aufzustellen. Die aktuellen Umfragen spiegeln vor allem die gute Regierungsarbeit der Regierung Merkel wider. Die Karten werden im Wahlkampf aber komplett neu gemischt.
Schadet es dem neuen Vorsitzenden, dass das Kanzleramt weiter getrennt ist vom Parteivorsitz?
HANS Es ist nach wie vor eine schwierige Herausforderung, dass Kanzlerschaft und Parteivorsitz nicht in einer Hand liegen. Aber ich bin sicher, dass so kurz vor derWahl ein solcher Übergang handelbar ist. Das traue ich allen drei Kandidaten zu.
Wie zufrieden sind Sie mit der Corona-Bekämpfung mit Blick auf die Ministerpräsidentenkonferenz?
HANS Es war richtig, dass die Bundeskanzlerin die Ministerpräsidenten an einen Tisch geholt hat. Denn Verordnungen zu erlassen, um die Pandemie in den Griff zu bekommen, fällt in die Zuständigkeit der Länder. Gleichzeitig ist es die Aufgabe der Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass überall in Deutschland einigermaßen gleiche Maßstäbe gelten. Das ist zu Beginn der Pandemie gut gelungen, aber wir machen zunehmend eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners.
Was stört Sie daran?
HANS Wir brauchen einen einheitlichen Maßnahmenkatalog. Die Bürger wollen Transparenz, sie wollen wissen was passiert, wenn ihr Landkreis rot, gelb oder grün eingestuft ist. Natürlich muss ein Landkreis im Norden nicht in den Lockdown, wenn die Zahlen im Süden schlecht sind. Aber ich wünsche mir schon, dass es Solidarität unter den Bundesländern gibt, denn am Ende kann es jedes Bundesland treffen.
Hat die Kanzlerin noch die Autorität, das durchzusetzen?
HANS Sie hat eine sehr hohe Autorität, und es gibt eine große Anerkennung in der Runde der Ministerpräsidenten für ihre Person und ihre Arbeit. Aber Fakt ist auch, dass es ohne Solidarität nicht gelingen wird. Die Verantwortung eines einzelnen Ministerpräsidenten für ganz Deutschland war noch nie so groß.
Muss es erneut Kontaktbeschränkungen geben?
Hans ist seit seiner Jugend CDU-Mitglied
Tobias Hans Der Ministerpräsident des Saarlands wurde 1978 in Neunkirchen (Saarland) geboren.
Karriere Mit 14 Jahren trat er der Jungen Union bei, mit 16 der CDU. 2009 wurde er in den Landtag gewählt. 2015 übernahm er den CDU-Fraktionsvorsitz und trat damit in die Fußstapfen seines Vaters Peter, der von 1999 bis 2007 Fraktionschef war.
Landeschef Im März 2018 wurde er Nachfolger von Annegret-Kramp-Karrenbauer, als diese nach Berlin wechselte.
HANS Wenn die Zahlen jetzt höher steigen als zu Beginn der Pandemie, müssen wir das überdenken. Das hat nichts damit zu tun, dass wir die Bürger gängeln wollen, sondern einzig, dass wir dem Bedürfnis Rechnung tragen, sich selbst und Angehörige zu schützen. Das würde bedeuten, dass wir die Zahl der Menschen, die sich derzeit im öffentlichen Raum versammeln dürfen, weiter reduzieren müssen. Das hätte wieder Auswirkungen auf das Hotel- und Gaststättengewerbe. Ich möchte das alles gerne verhindern, Ich bitte die Menschen deswegen eindringlich, sich an die Regeln zu halten und vorsichtig zu sein.
Sie leben im Saarland mit offenen Grenzen. Kann das so bleiben?
HANS Ich möchte Grenzschließungen unbedingt vermeiden. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes Familie, die damaligen Schließungen waren ein Akt der Hilflosigkeit, weil die Systeme überfordert waren. Jetzt sprechen wir fast täglich mit unseren Partnern in Frankreich und Luxemburg. Ich denke, dass wir die Zusammenarbeit noch verstärken können. Ich kann mir beispielsweise vorstellen, dass es in Saarbrücken zu gemeinsamen Kontrollen der deutschen Polizei und der französischen Gendermarie kommt. Es gibt eben sinnvollere Konzepte als Grenzkontrollen.
Sie werden bald zum dritten Mal Vater. Fühlt es sich gerade gut an, ein Baby unter diesen Umständen zu bekommen?
HANS Wir freuen uns riesig, machen uns aber die gleichen Gedanken um die Zukunft wie alle Eltern. Wie viele Väter möchte ich gerne bei der Geburt dabei sein und weiß nicht, ob ich das aufgrund der Infektionslage kann. Ich wünsche mir, dass es gelingt, diese Pandemie in den Griff zu bekommen, damit diese kleinen Menschen nicht ihre gesamte Kindheit mit Masken verbringen müssen. Und es macht mir bewusst, dass wir nicht die anderen drängenden Probleme wie Klimaschutz und wirtschaftlichenWohlstand aus den Augen verlieren dürfen. Ich persönlich glaube, dass die Pandemie auch ein Ausdruck der Krise unseres Planeten ist. Natur- und Klimaschutz dürfen nicht in den Hintergrund treten.