„Me Too“-Vorwürfe beschäftigen Dänemark aufs Neue
Hunderte Frauen prangern Sexismus und Übergriffe an. Es gibt Rücktritte und Entlassungen von Männern, auch Außenminister Jeppe Kofod muss bangen.
Die zweite Welle erfasst gerade Dänemark mit Wucht – doch nicht von einer Krankheit ist die Rede, sondern von „Me Too“: Frauen aller gesellschaftlichen Schichten prangern derzeit Sexismus und Übergriffe an, es gibt Rücktritte und Entlassungen von Männern, Stühle wackeln, auch der Außenminister Joppe Kofod muss bangen.
Begonnen hat alles auf einer TV-Gala Ende August – die beliebte Moderatorin Sofie Linde erzählte unerwartet vor den Größen der Medienbranche, wie sie als 18-Jährige im öffentlich-rechtlichen Sender DR aufgefordert wurde, einer „wichtigen TV-Persönlichkeit“Oralsex zu geben, sonst wäre ihre Karriere vorbei.
Dies löste eine Welle von Berichten und Vorwürfen von Frauen aus, die in Dänemark mit Sexismus konfrontiert wurden. Unmittelbar nach Lindes Auftritt unterschrieben 1600 Frauen aus der Medienbranche einen öffentlichen Solidaritätsbrief. In einem von 322 Politikerinnen und politisch aktiven Frauen quer durch die Parteien unterzeichneten Protestschreiben wird das Parlament als Hort der sexuellen Übergriffe beschrieben, woraufhin die sozialdemokratische Regierungschefin Mette Frederiksen eine Anwaltskanzlei mit der Untersuchung der Fälle beauftragte.
Es folgten offene Briefe aus der Wissenschaft, der Musikbranche, unterzeichnet von Hunderten Betroffenen. Auch im Radio gibt es Fälle: So soll der bekannte DR-Moderator Mads Aagaard Danielsen mehrfach übergriffig geworden sein, unter anderem eine Praktikantin in die Toilette gedrängt und Personen mit Nacktfotos erpresst haben.
Im Gegensatz zu Schweden blieb es in Dänemark bei der „Me Too“-Welle, die 2017 durch die Enthüllungen um den amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein ausgelöst wurde, recht ruhig. Denn Feminismus gilt in Dänemark eher verpönt, da viele Däninnen und Dänen überzeugt sind, dass die Gleichberechtigung in Dänemark mittlerweile Fakt ist. Dies gibt es sogar „amtlich“– nach der Vereinigung Equal Measures 2030 schnitt Dänemark im „SDG Gender Index 2019“von 129 Ländern mit 89,3 von 100 Punkten am besten ab.
Ausgerechnet eine Partei, die nach eigener Aussage„im Kampf gegen den Sexismus die Flagge hochhält“, betreffen „Me Too“und die Folgen der aufgedeckten Skandale am stärksten. Morten Østergaard, der Vorsitzende der Linkspartei Radikale Venstre, trat in der vergangenen Woche zurück, da er einen sexuellen Übergriff vor zwölf Jahren zu vertuschen versucht hatte. Die Partei gilt als wichtiger Partner der Sozialdemokraten, die als Minderheit regieren und auf die Kooperation mit drei Linksparteien angewiesen sind. Østergaard soll noch weitere Frauen belästigt haben. Radikale Venstre unter der neuen Vorsitzenden Sofie Carsten Nielsen will nun eine entsprechende Untersuchung veranlassen.
Aber auch die Regierung bleibt nicht verschont – Mette Ferderiksen wird von der stützenden Linkspartei Alternative kritisiert, Jeppe Kofod zum Außenminister gemacht zu haben, da er vor zwölf Jahren ein Verhältnis mit einem 15-jährigen Mädchen hatte.
Gleichzeitig gibt es Gegenwind – Lotte Rod, der Østergaard vor zwölf Jahren die Hand auf den Oberschenkel legte, erfährt nun für ihre Aussagen Kritik und Beschimpfungen, der populäre Østergaard wird als Märtyrer gesehen.
Inger Støjberg, die stellvertretende Vorsitzende der rechtsliberalen Partei Venstre, warnt davor, dass alle „Männer als sexhungrige und missbrauchende Monster“diffamiert würden, und sprach von einem Generalverdacht.
Nach aktuellen Umfragen haben 22 Prozent der Däninnen im vergangenen Jahr Sexismus erlebt, 73 Prozent der Dänen sind der Meinung, dass es Frauen ermöglicht werden müsste, bei Übergriffen und Anzüglichkeiten leichter Nein zu sagen.