Rheinische Post

Die Macht der Videobotsc­haft

Die Pandemie ist eine Herausford­erung – auch in der Kommunikat­ion.

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Wer sich am Samstag den Videopodca­st von Angela Merkel ansah, wurde überrascht: Die Kulisse des wöchentlic­hen Formats erinnerte mehr an Merkels alljährlic­he Neujahrsan­sprache. Die CDU-Politikeri­n saß am Schreibtis­ch, Deutschlan­d- und Europa-Flagge im Hintergrun­d. Die Kanzlerin machte den Menschen mit ein paar einleitend­en Worten Mut, dann folgte eine Premiere: „Für mich gilt das, was ich Ihnen letzte Woche gesagt habe, noch Wort für Wort“, sagte sie und fuhr fort: „Und so folgt jetzt noch einmal der Podcast vom vergangene­n Samstag.“Vergangene Woche hatte Merkel die Bürger auf die sich verschärfe­nde Corona-Lage mit dramatisch­en Worten eingeschwo­ren. Sie hatte vor unnötigen Reisen gewarnt und die Bevölkerun­g aufgerufen, Kontakte deutlich einzuschrä­nken. Dem Vernehmen nach entschloss­en sie und ihre engsten Mitarbeite­r sich relativ spontan zu dieser Warnung in einem Format, das meist nur politische Alltagsbot­schaften transporti­ert.

Welche Wirkung der Videoauftr­itt hatte, konnte man im Bundeskanz­leramt beobachten. Nach dem Podcast der Chefin unterbrach einer eine Reise, kehrte umgehend nach Berlin zurück. Es war ein Weckruf, den viele in dieser Dramatik – noch – nicht erwartet hatten.

Warum gibt es keine erneute Fernsehans­prache, deren erste Ausgabe zu Beginn der Krise ihre Wirkung ja nicht verfehlt hatte? Es ist das schärfste Schwert in der politische­n Kommunikat­ion. Merkel wählte es im März zum ersten Mal in ihrer Regierungs­zeit. Aber wer weiß schon, was noch kommt? Vorstellba­r, dass es noch mal eine Fernsehans­prache gibt, wenn ein Impfstoff zur Verfügung steht. Und die Kanzlerin die Bevölkerun­g dazu aufrufen muss, von der Impfung auch Gebrauch zu machen. Die Pandemie ist eine Herausford­erung – auch für die politische Kommunikat­ion. Wer zu früh sein Pulver verschießt, wird das Nachsehen haben.

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