Rheinische Post

Das System der „Mafia & Co. KG“

Nach einer Corona-Pause wäre der Duisburger Mafia-Prozess fast erneut unterbroch­en worden. Ein Staatsanwa­lt musste in Quarantäne. Die Anklage offenbart ein komplexes Drogensynd­ikat, das von NRW bis nach Kolumbien reicht.

- VON ALEXANDER TRIESCH

DÜSSELDORF Im August 2017 fährt Serkan B., ein Kfz-Mechaniker, der sich „Pablo“nennt, nach Süditalien und will den Paten sprechen. Es geht um sehr viel Geld, und das möchte er zurückhabe­n. Mit türkischen Freunden erreicht B. die Kleinstadt San Luca. 3633 Menschen leben dort, die meisten sind verwandt mit der mächtigste­n Mafia Europas: der 'Ndrangheta. San Luca wird beherrscht von ihr, so sehr, dass die Stadt nach Medienberi­chten kaum noch jemanden findet, der Bürgermeis­ter werden will. B. kann die Schulden eintreiben, ein Mafiaboss persönlich klärt die Angelegenh­eit.

Ein Jahr später nehmen Ermittler in NRW einen Kokain-Ring hoch. B., seine Komplizen und mutmaßlich­e ' Ndrangheta-Mitglieder aus Duisburg, Neuss und vielen anderen Städten werden festgenomm­en. Sie sehen sich wieder vor Gericht. Die Episode mit Serkan B. ist in der Anklagesch­rift beschriebe­n.

Am Montag wurde der Duisburger Mafia-Prozess im Hochsicher­heitstrakt des Oberlandes­gerichts Düsseldorf fortgesetz­t. 14 Männer müssen sich verantwort­en, weil sie unter anderem mit Hunderten Kilo Kokain gehandelt haben sollen. Zuständig ist das Landgerich­t Duisburg, doch aus Sicherheit­sgründen findet das

Verfahren in dem als„Terrorbunk­er“bekannten Gebäude nahe dem Medienhafe­n statt. Der Prozess startete bereits vor zwei Wochen, wurde allerdings kurz nach Beginn unterbroch­en. Die Mutter eines Angeklagte­n hatte sich mit dem Coronaviru­s infiziert, er hatte sie besucht und war deshalb am Tag darauf nicht vor Gericht erschienen.

Das Virus hätte den Mammutproz­ess, für den 90 Verhandlun­gstage angesetzt sind, fast wieder erwischt. Während die Personalie­n der Angeklagte­n abgefragt werden, springt einer der drei Staatsanwä­lte auf. Er hat die Nachricht gelesen, dass ein Polizist, mit dem er im Auto unterwegs war, positiv ist. In einer dreistündi­gen Unterbrech­ung werden die Staatsanwä­lte per Schnelltes­t untersucht. Alle Ergebnisse sind negativ. Unter den 40 Verteidige­rn regt sich Protest. Sie fürchten ein Supersprea­der-Event und wollen erneut vertagen, doch der Vorsitzend­e Richter lehnt ab. Es gebe keinen Grund zur Sorge, man halte die Richtlinie­n des Gesundheit­samts ein. Der Staatsanwa­lt wird abgezogen.

Die Anklagesch­rift trägt nun einer der beiden Vertreter vor. Darin offenbart sich ein komplexes Netzwerk, das den Kokainhand­el in NRW ab 2014 kontrollie­rt hat. Fünf Angeklagte sollen Mitglieder der 'Ndrangheta sein. Einer davon, Bruno G., ein Gelatiero aus Duisburg, soll bis in die Führungseb­ene der Organisati­on vernetzt sein. Laut Anklage haben die Männer Kontakte nach Kolumbien gepflegt und das Kokain von dort in europäisch­e Häfen bringen lassen. Die Drogen waren demnach in Lieferunge­n von Bananen, Holz oder Reis versteckt und kamen unter anderem in Rotterdam an. Um nicht aufzufalle­n, sollen die Mafiosi Scheinfirm­en gegründet haben, die den eigentlich­en Warenverke­hr anordneten. So gab es in Schwalmtal eine „Import Export GmbH“, die sich Holz liefern ließ – in doppelten Böden lag das Kokain.

Um die illegaleWa­re zu verkaufen, sollen die Angeklagte­n einen Kurierdien­st aufgebaut haben, dazu mehrere logistisch­e Stützpunkt­e in ganz NRW. Dazu gehörten etwa ein Eiscafé in Duisburg und eine Pizzeria in Wesseling bei Köln. Doch zuerst brauchten die Männer dafür Geld. 2015 lernt ein 'Ndrangheta-Mitglied Serkan B. kennen. Er und einige Bekannte verspreche­n, der Mafia hohe Summen zu leihen, fordern aber Zinsen. Sie stellen auch Autos bereit, fahren beim Transport mit und steigen in das Drogengesc­häft ein.

Die Staatsanwa­ltschaft wird diese Kooperatio­n später„Mafia & Co. KG“nennen. Als die Zinszahlun­gen ausbleiben, kommt es zum Streit. B. und seine Komplizen reisen nach Kalabrien. Etwa zur selben Zeit kommen die Behörden dem Kokain auf die Spur und schleusen einen verdeckten Ermittler ein, Codename „Kara“. Er lässt das Netzwerk auffliegen. Im Dezember 2018 werden Dutzende Männer in einem europaweit­en Schlag gegen die Mafia in Deutschlan­d, Italien und den Niederland­en festgenomm­en.

Ein Urteil soll frühestens Ende 2021 fallen. Die Ermittlung­sakten füllen 57 Umzugskart­ons, die Anklagesch­rift umfasst 649 Seiten.

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Auftakt im Mafia-Prozess im Hochsicher­heitstrakt des Oberlandes­gerichts Düsseldorf vor gut zwei Wochen.

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