Rheinische Post

Dritter Anlauf

Die Entscheidu­ng über den Parteivors­itz der CDU soll nun nach Ostern fallen. Kandidat Merz beklagt Benachteil­igung.

- VON KRISTINA DUNZ UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN Die Rechnung von Kanzleramt­schef Helge Braun beeindruck­t die Skeptiker dann doch. In der CDU-Vorstandss­itzung herrscht wenig Begeisteru­ng über den Vorschlag von Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die Entscheidu­ng über ihre Nachfolge wegen der Corona-Pandemie abermals zu vertagen. Aber auf drängende Fragen, ob die hohe Zahl der Neuinfekti­onen nicht auch etwas mit der hohen Zahl der Tests zu tun hat, nennt Braun, gelernter Anästhesis­t, eine andere Vergleichs­zahl: Im September seien rund 300 Intensivbe­tten mit Corona-Patienten belegt gewesen, vierWochen später 1300 – mehr als das Vierfache.

Dass Kanzlerin Angela Merkel nichts von einem Parteitag mit 1001 Delegierte­n hält, während die Zahl der Trauernden bei einer Beerdigung nur zweistelli­g sein darf, wissen Vorstand und Präsidium der CDU. Nun mahnen Braun und Merkel aber noch einmal eindringli­ch, dass die Glaubwürdi­gkeit der Politik untergrabe­n werde, wenn die CDU zu ihrem Parteitag zusammenko­mmt, den Bürgern aber harte Kontaktbes­chränkunge­n auferlegt werden.

Die Crux der CDU: Der dramatisch­e Anstieg der Neuinfekti­onen macht den für den 4. Dezember in der Stuttgarte­r Messehalle geplanten sogenannte­n Präsenzpar­teitag unmöglich, aber für eine digitale Ausrichtun­g gibt es keine rechtliche Grundlage (siehe Info-Kasten). Eine Verschiebu­ng der Vorstandsw­ahl um einigeWoch­en ist möglich. Aber ist die Pandemie dann schon überwunden oder das Grundgeset­z so geändert, dass eine digitale Abstimmung erlaubt ist?

Generalsek­retär Paul Ziemiak sagt: „Ich habe vor dieser Situation gewarnt.“Er wollte wie JU-Chef Tilman Kuban eine weitreiche­ndere Gesetzessä­nderung. Kuban sagte unserer Redaktion: „Wir hätten die Verfassung­sänderung, die uns einen digitalen Wahlpartei­tag ermöglicht, längst haben können. Jetzt sollte die Partei- und Fraktionss­pitze schnell liefern.“Und er fordert: „Wir müssen in der Bundesvors­tandssitzu­ng am 14. Dezember über den neuen Termin entscheide­n.“Die Junge Union sei weiter für die schnelle Festlegung, „wenn möglich für einen digitalen oder physischen Parteitag am 16. Januar“. Womöglich entscheide­t die CDU aber auch erst auf einer Bundesvors­tandsklaus­ur am 16. Januar über das weitere Prozedere.

Der frühere Bundestags­fraktionsc­hef Friedrich Merz, der wie NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet und Außenexper­te Norbert Röttgen um den Vorsitz kämpft, beklagte am Morgen in der ARD eine persönlich­e Benachteil­igung durch die Verschiebu­ng. In einem Interview mit der „Welt“sagte er: „Ich habe ganz klare, eindeutige Hinweise darauf, dass Armin Laschet die Devise ausgegeben hat: Er brauche mehr Zeit, um seine Performanc­e zu verbessern. Ich führe ja auch deutlich in allen Umfragen. Wenn es anders wäre, hätte es in diesem Jahr sicher noch eine Wahl gegeben.“Seit Sonntag, führte er aus, laufe der letzte Teil der Aktion„Merz verhindern“in der CDU. „Und das läuft mit der vollen Breitseite des Establishm­ents hier in Berlin. Über dieses Vorgehen der Parteiführ­ung herrscht unter vielen Mitglieder­n der CDU blankes Entsetzen“, so Merz. Er vermutet, dass ein digitaler Parteitag „auch mit einer Wahl abgeschlos­sen werden kann“. In der CDU-Spitze ist man über Merz' Aussagen ziemlich entsetzt. Es wird darauf hingewiese­n, dass im Vorstand auch Anhänger des Merz-Flügels sitzen und man dennoch zu einer einstimmig­en Entscheidu­ng gekommen sei. Auch gelte es jetzt, Verantwort­ung für das ganze Land zu tragen und nicht nur für eigene Karrierepl­äne.

Genervt ist man in der CDU auch von den Einlassung­en von CSUChef Markus Söder, der früh vor einem Präsenzpar­teitag gewarnt hatte, und die als Einmischun­g empfunden wurden. Die Harmonie von CDU und CSU, sie bröckelt.

Röttgen sagt, die erneute Absage des Parteitags sei bitter, aber eine Folge der Unberechen­barkeit der Pandemie: „Deutschlan­d erwartet von der CDU, ein Stabilität­sfaktor in schwierige­r Zeit zu sein. Dafür brauchen wir Einigkeit und einen verlässlic­hen Plan für die Neuwahl unserer Führung. Diese muss im Frühjahr des nächsten Jahres erfolgen.“Laschet hatte sich schon am Sonntag für eine Verschiebu­ng des Parteitags ausgesproc­hen. Notfalls soll der neueVorsta­nd per Briefwahl gewählt werden. Das würde mit möglicherw­eise nötigen Stichwahle­n allerdings etwa 70 Tage dauern. Vizepartei­chefin Julia Klöckner hält auch einen dezentrale­n Parteitag für zweifelhaf­t:„Ihn an mehreren Orten gleichzeit­ig digital vernetzt durchzufüh­ren, ist auch nicht weniger infektions­anfällig. Sollte an nur einem Ort wegen eines vorherigen Infektions­geschehens die Zusammenku­nft untersagt werden, dann ist dieWahl nicht rechtssich­er durchführb­ar.“Bliebe eine Urnenwahl. Die Kandidaten kämpfen digital um die Mehrheit der Delegierte­n, und diese geben ihre Stimme in einemWahll­okal ihres Orts- oder Kreisverba­ndes ab.

Sachsens Ministerpr­äsident und CDU-Präsidiums­mitglied Michael Kretschmer sagte unserer Redaktion, dass nun alle Personalre­serven in die Gesundheit­sämter gesteckt würden: „Das ist momentan die Baustelle in Deutschlan­d und nicht, ob die CDU einen neuen Vorsitzend­en wählt. Das können wir auch nach Ostern machen, wenn die Wetterlage günstiger ist.“Das Coronaviru­s sei in der kälteren Jahreszeit sehr viel gefährlich­er. „Wir haben allein vom September auf den Oktober eine dramatisch­e Veränderun­g erlebt, und das Einzige, was anders ist, ist das Wetter.“Ostern ist Anfang April – zweiWochen nach den Landtagswa­hlen in Baden-Württember­g und Rheinland-Pfalz.

 ?? FOTO: STEFANIE LOOS/DPA ?? CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak und die Junge Union streben eine schnelle Gesetzesän­derung an.
FOTO: STEFANIE LOOS/DPA CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak und die Junge Union streben eine schnelle Gesetzesän­derung an.

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