So schmerzhaft kann Satire sein
Mit der Fortsetzung des „Borat“-Films bringt Komiker Sacha Baron Cohen Trump-Anwalt Rudy Giuliani in Erklärungsnot.
DÜSSELDORF Die entscheidende Szene ist, als die von Marija Bakalowa gespielte Borat-Tochter Tutar als Journalistin auftritt. Die Frau, die im Film 15 Jahre alt sein soll, gibt sich als Redakteurin eines TV-Senders aus und interviewt in einem Hotel Rudy Giuliani, Donald Trumps Mann fürs Grobe. Sie verhält sich unterwürfig, sagt, sie sei eine Bewunderin, und fragt den Politiker irgendwann, ob man nicht im Schlafzimmer noch etwas trinken wolle. Dort setzt sich Giuliani aufs Bett, lässt sich von ihr beim Entfernen des Mikros helfen, berührt sie, streckt sich lang aus und greift sich mit der Hand in die Hose. In diesem Moment springt Borat in die mit versteckter Kamera gefilmte Szene und ruft: „Sie ist zu alt für dich, nimm lieber mich.“
Sacha Baron Cohen hat die Fähigkeit, Momente großer Scheußlichkeit hervorzurufen
„Best Anschluss Moviefilm“heißt die Fortsetzung der Satire „Borat“von 2006. Der US-Komiker Sacha Baron Cohen reiste damals als fiktiver Reporter einer erfundenen Diktatur Kasachstan in die USA, um das Land zu studieren. Das Bild, in dem Cohen in neongrüner Badehose posierte, deren Träger V-förmig über die Schultern liefen und dabei stärker herausstellten, was sie eigentlich verdecken sollten, werden viele noch vor Augen haben. In einer Mischung aus Gesellschaftssatire und Schwachsinn entlarvte er den Sexismus, Rassismus und Antisemitismus der amerikanischen Gesprächspartner. Der Eindruck damals: Es geht dort ja noch schlimmer zu als gedacht.
Der zweite Teil ist brutaler, direkter und bisweilen verzweifelter. Weil aber in 14 Jahren so viel passiert ist, was jede Satire übertrifft, staunt der Zuschauer nicht mehr. Der Grusel des ersten Films ergab sich aus dem Befremden darüber, was unter der Oberfläche schlummert. Heute ist da nur der Horror des Offensichtlichen. Einmal bestellt Borat in einer Bäckerei eine Torte mit massiv judenfeindlichem Slogan. Die Konditorin spritzt die Buchstaben ungerührt auf den Kuchen und malt noch Smileys dazu. In einem anderen Geschäft fragt Borat, welche
Gasflasche er nehmen solle, wenn er das Leben von 20 Zigeunern beenden wolle. DerVerkäufer überlegt und sagt: „Vielleicht die große.“
Der Film beginnt ziemlich lustig, man begegnet dem pubertären Radikal-Humor des 49 Jahre alten Cohen wieder. Borat schuftet im Gulag, weil sein erster Film Schande über die Nation gebracht hatte. Er bekommt jedoch eine Chance, soll noch einmal in die USA reisen, „die von einem bösen Mann ruiniert wurden: Barack Obama“. Zum Glück regiere nun Donald Trump, in dessen „Starke-Männer-Club“illustre Kerle wie Putin und Bolsonaro versammelt seien – nur der Führer Kasachstans nicht. Das soll sich ändern, weshalb Borat Trump ein Geschenk machen soll. Oder – weil der es sich einst mit Trump verscherzt hatte – zumindest dessen Vize Mike Pence. Das Präsent: Borats Tochter Tutar. Falls Pence es nicht annimmt, droht Borat die Hinrichtung.
Gleich nach der Ankunft in den USA gibt es einige hochnotpeinliche Szenen mit den klassischen Borat-Elementen Fäkalhumor, Schlauheit und Zynismus. Als er ein Kleid für seine Tochter kaufen möchte, fragt er die Verkäuferin nach der „Abteilung für Nein heißt Ja“. Als er ein Smartphone kauft, geht er mit dem Gerät auf die Toilette und tut so, als habe er vergessen, dass das, was auf dessen Bildschirm passiert, auf einen großen Monitor im Laden übertragen wird. Natürlich googelt er einen Pornokanal. Und als seine Tochter die Verzierung eines Törtchens verschluckt, die Figur eines Babys, gehen beide in eine Abtreibungsklinik und schauen, was passiert, wenn man sagt, der Arzt solle das Kind wegmachen, das wegen des Vaters in Tutars Bauch sei.
Dem ersten Film gelangen Eulenspiegel-Momente, indem er Menschen im Alltag auf die Probe stellte. Cohen hat die Fähigkeit, Momente großer Scheußlichkeit hervorzurufen. Es gäbe sie nicht, wenn seine Gesprächspartner den Mut hätten zu sagen: bis hierher und nicht weiter. Da das zumindest im Film keiner tut, wirken die echten USA schlimmer als das als menschenfeindlich gezeichnete Fake-Kasachstan.
Dem Film haftet bei aller Brachialität etwas Melancholisches an. Während die Macher von Teil eins über die Schmerzgrenze gingen, um das Gift, das im Verborgenen wirkt, ans Licht zu holen und im Lachen aufzulösen, hilft solcher Sarkasmus heute nicht mehr. In einer Szene kommt Borat Pence sehr nahe. Der Vize verharmlost gerade das Coronavirus. Völlig ungefährlich, findet er. Seine Zuhörer applaudieren.Was soll ein Komiker da noch erreichen?
So macht man sich denn auch keine Illusionen über den Ausgang der Giuliani-Episode. Nach der Veröffentlichung des Films wetterte der empörte 76-Jährige, er habe lediglich sein Hemd in die Hose gesteckt. Wenn Cohen etwas anderes unterstelle, sei er ein eiskalter Lügner. Auch Donald Trump schaltete sich ein. Cohen sei „ein widerlicher Kerl“, sagte er, und außerdem„nicht lustig“. Cohen seinerseits reagierte darauf so: Er sei stets auf der Suche nach Leuten, die den rassistischen Kasper spielten. Und da Trump ja ab dem 20. Januar ohne Job sei, biete er an: „Lassen Sie uns reden.“
Im Film wird aus dem Rassisten und Macho Borat übrigens allmählich ein liebender und verständnisvoller Vater. Katharsis in der emotionalen Kälte Amerikas. Exorzismus im Spiegelkabinett. Und auch den Amerikanern selbst weist der Komiker einen letzten Ausweg aus den Verheerungen der Gegenwart. Die Produktion endet mit einem Aufruf: „Geht wählen“, steht da: „Sonst werdet ihr hingerichtet.“