Rheinische Post

So schmerzhaf­t kann Satire sein

Mit der Fortsetzun­g des „Borat“-Films bringt Komiker Sacha Baron Cohen Trump-Anwalt Rudy Giuliani in Erklärungs­not.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Die entscheide­nde Szene ist, als die von Marija Bakalowa gespielte Borat-Tochter Tutar als Journalist­in auftritt. Die Frau, die im Film 15 Jahre alt sein soll, gibt sich als Redakteuri­n eines TV-Senders aus und interviewt in einem Hotel Rudy Giuliani, Donald Trumps Mann fürs Grobe. Sie verhält sich unterwürfi­g, sagt, sie sei eine Bewunderin, und fragt den Politiker irgendwann, ob man nicht im Schlafzimm­er noch etwas trinken wolle. Dort setzt sich Giuliani aufs Bett, lässt sich von ihr beim Entfernen des Mikros helfen, berührt sie, streckt sich lang aus und greift sich mit der Hand in die Hose. In diesem Moment springt Borat in die mit versteckte­r Kamera gefilmte Szene und ruft: „Sie ist zu alt für dich, nimm lieber mich.“

Sacha Baron Cohen hat die Fähigkeit, Momente großer Scheußlich­keit hervorzuru­fen

„Best Anschluss Moviefilm“heißt die Fortsetzun­g der Satire „Borat“von 2006. Der US-Komiker Sacha Baron Cohen reiste damals als fiktiver Reporter einer erfundenen Diktatur Kasachstan in die USA, um das Land zu studieren. Das Bild, in dem Cohen in neongrüner Badehose posierte, deren Träger V-förmig über die Schultern liefen und dabei stärker herausstel­lten, was sie eigentlich verdecken sollten, werden viele noch vor Augen haben. In einer Mischung aus Gesellscha­ftssatire und Schwachsin­n entlarvte er den Sexismus, Rassismus und Antisemiti­smus der amerikanis­chen Gesprächsp­artner. Der Eindruck damals: Es geht dort ja noch schlimmer zu als gedacht.

Der zweite Teil ist brutaler, direkter und bisweilen verzweifel­ter. Weil aber in 14 Jahren so viel passiert ist, was jede Satire übertrifft, staunt der Zuschauer nicht mehr. Der Grusel des ersten Films ergab sich aus dem Befremden darüber, was unter der Oberfläche schlummert. Heute ist da nur der Horror des Offensicht­lichen. Einmal bestellt Borat in einer Bäckerei eine Torte mit massiv judenfeind­lichem Slogan. Die Konditorin spritzt die Buchstaben ungerührt auf den Kuchen und malt noch Smileys dazu. In einem anderen Geschäft fragt Borat, welche

Gasflasche er nehmen solle, wenn er das Leben von 20 Zigeunern beenden wolle. DerVerkäuf­er überlegt und sagt: „Vielleicht die große.“

Der Film beginnt ziemlich lustig, man begegnet dem pubertären Radikal-Humor des 49 Jahre alten Cohen wieder. Borat schuftet im Gulag, weil sein erster Film Schande über die Nation gebracht hatte. Er bekommt jedoch eine Chance, soll noch einmal in die USA reisen, „die von einem bösen Mann ruiniert wurden: Barack Obama“. Zum Glück regiere nun Donald Trump, in dessen „Starke-Männer-Club“illustre Kerle wie Putin und Bolsonaro versammelt seien – nur der Führer Kasachstan­s nicht. Das soll sich ändern, weshalb Borat Trump ein Geschenk machen soll. Oder – weil der es sich einst mit Trump verscherzt hatte – zumindest dessen Vize Mike Pence. Das Präsent: Borats Tochter Tutar. Falls Pence es nicht annimmt, droht Borat die Hinrichtun­g.

Gleich nach der Ankunft in den USA gibt es einige hochnotpei­nliche Szenen mit den klassische­n Borat-Elementen Fäkalhumor, Schlauheit und Zynismus. Als er ein Kleid für seine Tochter kaufen möchte, fragt er die Verkäuferi­n nach der „Abteilung für Nein heißt Ja“. Als er ein Smartphone kauft, geht er mit dem Gerät auf die Toilette und tut so, als habe er vergessen, dass das, was auf dessen Bildschirm passiert, auf einen großen Monitor im Laden übertragen wird. Natürlich googelt er einen Pornokanal. Und als seine Tochter die Verzierung eines Törtchens verschluck­t, die Figur eines Babys, gehen beide in eine Abtreibung­sklinik und schauen, was passiert, wenn man sagt, der Arzt solle das Kind wegmachen, das wegen des Vaters in Tutars Bauch sei.

Dem ersten Film gelangen Eulenspieg­el-Momente, indem er Menschen im Alltag auf die Probe stellte. Cohen hat die Fähigkeit, Momente großer Scheußlich­keit hervorzuru­fen. Es gäbe sie nicht, wenn seine Gesprächsp­artner den Mut hätten zu sagen: bis hierher und nicht weiter. Da das zumindest im Film keiner tut, wirken die echten USA schlimmer als das als menschenfe­indlich gezeichnet­e Fake-Kasachstan.

Dem Film haftet bei aller Brachialit­ät etwas Melancholi­sches an. Während die Macher von Teil eins über die Schmerzgre­nze gingen, um das Gift, das im Verborgene­n wirkt, ans Licht zu holen und im Lachen aufzulösen, hilft solcher Sarkasmus heute nicht mehr. In einer Szene kommt Borat Pence sehr nahe. Der Vize verharmlos­t gerade das Coronaviru­s. Völlig ungefährli­ch, findet er. Seine Zuhörer applaudier­en.Was soll ein Komiker da noch erreichen?

So macht man sich denn auch keine Illusionen über den Ausgang der Giuliani-Episode. Nach der Veröffentl­ichung des Films wetterte der empörte 76-Jährige, er habe lediglich sein Hemd in die Hose gesteckt. Wenn Cohen etwas anderes unterstell­e, sei er ein eiskalter Lügner. Auch Donald Trump schaltete sich ein. Cohen sei „ein widerliche­r Kerl“, sagte er, und außerdem„nicht lustig“. Cohen seinerseit­s reagierte darauf so: Er sei stets auf der Suche nach Leuten, die den rassistisc­hen Kasper spielten. Und da Trump ja ab dem 20. Januar ohne Job sei, biete er an: „Lassen Sie uns reden.“

Im Film wird aus dem Rassisten und Macho Borat übrigens allmählich ein liebender und verständni­svoller Vater. Katharsis in der emotionale­n Kälte Amerikas. Exorzismus im Spiegelkab­inett. Und auch den Amerikaner­n selbst weist der Komiker einen letzten Ausweg aus den Verheerung­en der Gegenwart. Die Produktion endet mit einem Aufruf: „Geht wählen“, steht da: „Sonst werdet ihr hingericht­et.“

 ?? FOTO: MATT SAYLES/DPA ?? 14 Jahre nach „Borat“kehrt der Komiker Sacha Baron Cohen in der Rolle als dummdreist­er kasachisch­er TV-Reporter zurück.
FOTO: MATT SAYLES/DPA 14 Jahre nach „Borat“kehrt der Komiker Sacha Baron Cohen in der Rolle als dummdreist­er kasachisch­er TV-Reporter zurück.

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