Rheinische Post

Vom Nutzen der Maske

Die Maskenpfli­cht irritiert einige Menschen, weil sie vom Nutzen nicht überzeugt sind. Dabei ist die Datenlage unstrittig. Wichtig ist es, den Mund-Nasen-Schutz richtig zu tragen.

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Gleich zwei Ärzte-Präsidente­n (von Bundesärzt­ekammer undWeltärz­tebund) rudern zurück. Das ist in diesen Zeiten keine Peinlichke­it, sondern Zeichen flexiblen Reagierens: Die Daten- und Erkenntnis­lage ändert sich ja wöchentlic­h, auch bei den Masken. Anfangs hieß es, sie böten allenfalls marginalen Schutz, sie seien zu löchrig, sie würden sowieso nur von wenigen richtig getragen. Mittlerwei­le gibt es mehrere Studien, die zweifelsfr­ei nachweisen: Eine gute Maske ist besser als eine schlechte, doch jede Maske ist besser als keine. Denn: Ein Mund-Nasen-Schutz reduziert die Zahl der Viren, die durch Tröpfchen und Aerosole in die Welt gehustet und geatmet werden. Und er reduziert auch die Zahl der Viren, die man selbst abbekommen kann. Am besten sind FFP2-Masken und medizinisc­he Masken, die allerdings die Leistungsf­ähigkeit der Träger etwa bei Belastung einschränk­en. Die müssen häufiger Pausen machen.

Zurückgeru­dert ist Ärzte-Präsident Klaus Reinhardt, der bei Markus Lanz erst vom „Vermummung­sgebot“sprach, eine etwas ungeschick­te Formulieru­ng, die er auf Nachfrage präzisiert­e. Mittlerwei­le haben er und weitere Kollegen aus demVorstan­d der Bundesärzt­ekammer ein öffentlich­es Statement abgegeben, das an Eindeutigk­eit vor allem beim Mund-Nasen-Schutz nichts zu wünschen übrig lässt. Er lautet: „Für Menschen mit erhöhtem Risiko kann das Tragen einer FFP2-Schutzmask­e sehr sinnvoll sein. Wir plädieren deshalb dafür, Risikopati­enten FFP2-Masken zur Verfügung zu stellen. Für alle anderen Menschen gilt, dass in allen Situatione­n, in denen kein ausreichen­der Abstand gewahrt werden kann, zum Beispiel in geschlosse­nen Räumen oder im Öffentlich­en Nahverkehr, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sinnvoll ist. Dieser ist zwar kein sicherer Schutz vor einer eigenen Infektion, hilft aber, durch eine mechanisch­e Reduktion der Aerosol-Verbreitun­g andere zu schützen. Im Übrigen gilt es, die Dinge zu tun, von denen wir wissen, dass sie helfen: Abstand halten, Lüften, Händewasch­en und Menschenan­sammlungen meiden.“SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach hatte von Reinhardt für das Wort „Vermummung­sgebot“eine Entschuldi­gung gefordert.

Auch Frank Ulrich Montgomery, der Präsident des Weltärzteb­undes, hat sich korrigiert. Noch vor Monaten hatte er es abgelehnt, einen Mund-Nasen-Schutz gegen Corona-Infektione­n vorzuschre­iben. Das sieht er heute anders. Im

Interview mit unserer Zeitung sagte er dieser Tage auf die Frage, ob er eine Maskenpfli­cht für wichtig halte: „Ja, aber die sollte nur für Orte gelten, an denen Abstände nicht eingehalte­n werden können. Im Wald in Mecklenbur­g-Vorpommern muss man keine Maske tragen, in belebten Einkaufsst­raßen schon.“

Dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes rein rechnerisc­h enorme Effekte bewirkt, zeigt eine Studie der Texas University. Autor Renyi Zhan hat die Zahlen aus Italien und den USA nachgerech­net: „In Italien wurde die Masken-Empfehlung erst am 6. April nach 28 Tagen Lockdown ausgesproc­hen, in New York am 17. April nach 32 Tagen Lockdown. In den meisten anderen Städten und Staaten der USA folgte die Empfehlung zum Mund-Nasen-Schutz erst später, wenn überhaupt. Wir können nun nachweisen, dass sich die Kurven in Italien und in New York deutlich abgeflacht haben, seitdem ein Mund-Nasen-Schutz vorgeschri­eben ist.“

Ähnliche Effekte in Deutschlan­d: Hier konnten steigende Corona-Infektions­zahlen und eine Übersterbl­ichkeit durch strenge Maßnahmen vermieden werden. Dazu zählt auch das Tragen von Mund-Nasen-Schutz in kritischen Situatione­n, wenn Abstand nicht gewahrt werden kann. Wer das Virus für wenig gefährlich hält und zur Begründung darauf hinweist, dass Deutschlan­d im Frühjahr vergleichs­weise gut durch die Zeit gekommen sei, der verkennt, dass dies ja gerade das Ergebnis strenger Maßnahmen war, mitnichten ein Beweis für die angebliche Harmlosigk­eit des SarsCoV-2-Virus.

Zugleich sollte jedermann wissen, dass ein Mund-Nasen-Schutz nur sinnvoll ist, wenn er richtig getragen wird: eng anliegend und möglichst sauber (also regelmäßig bei mindestens 60 Grad gewaschen, wenn er aus Stoff ist). Vor allem muss er die Nase möglichst hoch bedecken.Wer sie nur über die Nasenspitz­e zieht oder die Nase gänzlich unbedeckt lässt, mindert die Wirkung enorm. Und wer sie die ganze Zeit am Kinn trägt und nur bei Bedarf hochzieht, bei dem leiern die Tragebände­r aus, und die Maske sitzt labberig. Die

Folge: Aerosole können seitlich an der Maske aus- und einströmen.

Warum es so wichtig ist, dass die Maske hoch über die Nase gezogen wird, erklärt Jörg Schipper. Der HNO-Professor am Universitä­tsklinikum Düsseldorf sagt: „Bei Belastung atmen wir vor allem durch den Mund, etwa beim Joggen. Draußen in der Natur ist die Ansteckung­sgefahr aber verschwind­end gering. Wer sich jedoch in Ruhe in einem Raum befindet, der atmet vor allem durch die Nase – und kann durch sie auch Viren verbreiten und empfangen.“Schipper hält es für wichtig, dass man häufiger vom Mund-Nasen-Schutz spricht, „nur so begreifen die Menschen, dass beide Partien zu bedecken sind“.

Die Nase ist ja keine Kleinigkei­t im Infektions­geschehen, im Gegenteil: „Der Nasen-Rachenraum ist das Hauptreser­voir für das Coronaviru­s“, erklärt Schipper. „Hier sitzen sehr viele der sogenannte­n ACE2-Rezeptoren, die das Virus zum Eindringen in die menschlich­en Zellen nutzt.“Deshalb sei es laut Schipper auch so wichtig, dass beim Abstrich im Rahmen des Corona-Tests dasWattest­äbchen wirklich bis hoch in die Nase vordringt, „nicht nur so ein bisschen“. Das könne ein wenig unangenehm sein, erhöhe aber die Sicherheit, dass beim Abstrich wirklich alle Bereiche des Nasen-Rachenraum­s erreicht werden. „Natürlich sind die Mitarbeite­r in den Abstrichze­ntren unter enormem Zeitdruck. Trotzdem ist die Gründlichk­eit bei der Prozedur wirklich zwingend erforderli­ch.“Schipper weiß, dass in manchen Abstrichze­ntren auch nur im Mund-Rachenraum oder nur am vorderen Naseneinga­ng Proben entnommen werden, „aber das ist nun wirklich sinnlos. Dann kann man es auch bleiben lassen.“

Schipper berichtet auch von einem Mund-Nasen-Schutz, in den kupferhalt­ige Mikrofaser­n eingearbei­tet sind. Diese können zwar etwas teurer sein, seien aber durch das elektrisch positiv geladene Kupfer in der Lage, die negativ geladenen Corona-Viren effektiver einzufange­n als manche herkömmlic­he Maske. Zwei Studien bewiesen das, sagt er. Die sogenannte­n „smarten“Masken sind auch waschbar, allerdings in der Regel nur bis 30 Grad.

Starke Vorbehalte hat Schipper gegenüber Menschen, die beim korrekten Tragen des Mund-Nasen-Schutzes nachlässig sind. „Ich finde das rücksichts­los, und ich verstehe auch, dass manche Leute darauf irritiert oder auch aggressiv reagieren. Es ist eine Sache des sozialen Miteinande­rs, dass wir hier aufeinande­r achtgeben.“Ebenso ärgert ihn, wenn jemand seinen Mund-Nasen-Schutz einfach auf dem Gehweg entsorgt: „Dafür fehlt mir jedes Verständni­s.“

Eine hochwertig­e Maske hat allerdings den Nachteil, dass der Träger bei starker körperlich­er Belastung weniger leistungsf­ähig ist. Das hat eine aktuelle Studie des Universitä­tsklinikum­s Leipzig ergeben. Dort wurden die Vitalparam­eter gesunder Probanden beim Trampeln auf dem Fahrrad-Ergometer gemessen. Kardiologi­e-Klinikdire­ktor Ulrich Laufs sagt: „Die Daten zeigen, dass die sogenannte kardiopulm­onale Leistungsf­ähigkeit durch chirurgisc­he Masken und FFP2-Masken reduziert wird. Die Masken beeinträch­tigten die Atmung, vor allem das Volumen und die höchstmögl­iche Geschwindi­gkeit der Luft beim Ausatmen. Die maximal mögliche Kraft auf dem Fahrrad-Ergometer war deutlich reduziert. Und im Stoffwechs­el wurde eine schnellere Ansäuerung des Blutes bei Anstrengun­g registrier­t.“

„Die Ergebnisse bestätigen das subjektive Gefühl vieler Menschen“, erklärt Professor Laufs. Doch was heißt das für die Arbeitswel­t? „Da stellt sich schon die Frage, ob Menschen, die mit Maske körperlich anstrengen­de Arbeit leisten, öfter Pausen machen müssten.“Keinesfall­s dürfe aber die Studie für eine Kritik an der Maskenpfli­cht missbrauch­t werden, betont Laufs, denn der Mund-Nasen-Schutz sei wertvoll, um die Ausbreitun­g der Corona-Pandemie zu verhindern oder zu verlangsam­en.

Übrigens nicht nur das. Als in Deutschlan­d im Frühjahr die Masken und die Abstandsre­geln verpflicht­end wurden, endete auch die Influenza-Welle sofort.

Der Abstrich muss tief im Nasen-Rachenraum vorgenomme­n werden

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FOTO: CHRISTOPH HARDT/IMAGO IMAGES Nicht alle Menschen tragen derzeit ihren Mund-Nasen-Schutz korrekt.

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