Schatzkiste eines Lebens
Der in Köln lebende Österreicher Josef Strau hat im Kunstverein einen biografischen Parcours aufgebaut, der voller Symbole steckt.
DÜSSELDORF Josef Strau erzählt: Wenn er früher zufällig jemandem begegnete, der ihn fragte, woher er komme und was er mache, und ihm dann klargeworden sei, dass es sich um eine Person mit echtem Beruf handelte, die hart arbeitete, dann habe er meistens das Gefühl gehabt, über sich gar nichts erzählen zu können. So habe er sich vielfach gewunden, gestottert, bis man ihn auf diese eine Weise ansah, und dann sei plötzlich alles vorbei gewesen. Türen geschlossen, Chance vertan.
Heute steht Strau da als ein sehr besonderer, sich notorisch selbstbefragender Künstler. Er kultiviert das automatische Schreiben, schmiedet ungesteuert, intuitiv und assoziativ ausWörtern Girlanden. Aus solchen Girlanden formen sich Gedankengebäude. Es sind Texte, die die Welt für ihn bedeuten. Seismografische Beweise seines Selbst, seiner Existenz. Sodann verleiht er den Buchstabendiagrammen Umrisse.
Es ergibt sich ein rundes Bild mit Rhythmus und Tausenden Zeichen. Fast sind es gedachte Skulpturen – auf die Fläche gepresst. Rund 60 Kostproben dieser Textposter und weitere Beispiele von Straus kraus-knisternden Gedanken gibt es unter dem Leitmotiv „Spirits and Objects – and How Non-Productive Love is Sometimes Contained in Them“(„Geister und Objekte – und wie sie manchmal nicht-produktive Liebe enthalten“) bis Mitte November im Kunstverein am Grabbeplatz.
In chronischer Selbstbefragung ist dieser Künstler durch sein Leben gezogen, das ihn immer wieder herausgefordert hat, seine künstlerische Position zu bestimmen. Im Dialog mit seinem Werk der vergangenen 30 Jahre will er den Worten Nachdruck verleihen. Er ordnet zusätzlich Objekte in Installationen ein, dichtet Fremdes hinzu oder leiht Bildikonen aus wie das Sternenschwarz von Thomas Ruff, das er zerschneidet und gevierteilt in die Ausstellung hängt. DieVerknüpfungen von alldem, was im Kopf des Künstlers rauscht, finden in einer Dramaturgie statt, die trotz zwingender Einbahnstraßenregelung im Kunstverein ein weites Feld eröffnet.
Von dieser überbordenden, mitunter wahnhaften Fantasie geleitet, hat der Österreicher mit unendlicher Zeit, mit Erfindungsreichtum undWut eine Quintessenz im Kunstverein gezogen. Ordnung und Klarheit verstecken sich hinter Bergen von Verpackungsmaterial. Kleine und große gestapelte Kartons, Fundstücke – so wie hier im Kunstverein sieht es bei den meisten Menschen im Keller aus. Gerümpel – aber wohlgeordnet. Subversives Magazin, Schatzkiste des Lebens. Den Textpostern sind auffallend viele angeknipste Lampen an die Seite gestellt, die das Objekthafte betonen, am Ende der Erhellung dienen.
Corona und die Folgen der Epidemie haben dabei die Stimmung des Künstlers getrübt. Als er Anfang des Jahres in seiner Wahlheimat New York aufbrach, um im Düsseldorfer Kunstverein seine erste große Retrospektive zu organisieren, wurde er gleichsam aus dem Land herauskomplimentiert und lebt jetzt wieder im Rheinland, wo er einst seine ersten künstlerischen Gehversuche unternahm.
Die anstrengende Pandemie hat auch und besonders die Kunstszene im Jahr 2020 im Griff. Ein Denkmal hat er ihr wie zum Trotz errichtet, das er „Spinnenuhr“nennt und das in dem Vielerlei nur aufspürt, wer sehr genau hinschaut: „The 13 Hour Cymbal Spiderclock That Exhales The Dreams“(„Die 13-Stunden-Zimbel-Spinnenuhr, die die Träume ausatmet“) heißt die Sammlung von Fundstücken, die vielleicht am Rheinufer oder hinter einer abgerissenen Häuserecke aufgefunden wurden. Strau gibt das Gefühl weiter, dass der Menschheit derzeit vieles entgleitet. Vielleicht schlägt ihr die 13, eine leere Zusatzzeit ohne Träume. Als symbolischer Taktstock ist ein kleines Metallbecken unter den verrätselten Fundstücken drapiert.
Erhöhte Aufmerksamkeit und Sensibilität muss der Betrachter schon aufbringen, damit die abstrakte Ausstellung Herz und Verstand erreicht. Silbrig glänzen im Hinterzimmer die Engelsbilder aus jüngerer Zeit. Strau hat Zinn auf Leinwand aufgebracht, feine Motive eingezogen. Fast wie ein ganz normaler Maler. Auch hier Leuchten, an einer Bodenlampe hängt ein Bügel mit bedrucktem T-Shirt. Faszinierend sind die Videos dreier eingeladener Künstlerfreunde, die Straus Texte als Drehbuch verwenden. Alle drei sind erbaulich, und sie verweisen auf die Tiefe in Straus Texten. „Bohemian in a Mirror“(„Bohémien im Spiegel“) nimmt etwa Keren Cytter als Anlass für ihr SchwarzWeiß-Stück „Life Number Three“. Eine süße Katze spielt die Hauptrolle, eine eher unaufgeräumte Großstadtwohnung ist die Kulisse, ein junger Mann kostet vom Katzenfutter, am Boden desWCs sitzend… immer wieder laufen Buchstaben des Alphabets durchs Bild, anhand derer Leben realistisch definiert wird.
Dieser Künstler ist nicht schick. Wenn er während der Ausstellungsdauer auftritt, beherzigt er das automatische Erzählen. Mitunter länger als drei Stunden. Aus seinem Leben, diesem Perpetuum mobile, in dem er sich endlich eingerichtet hat. Und wenn ihn heute wieder zufällig jemand fragt, was er mache, sagt er, dass er ein Künstler ist und dass er von seiner Kunst lebt.