Rheinische Post

Ungewisse Zukunft des Mitmachzir­kus

Im Sommer sind fast alle Termine ausgefalle­n. Betreiber Olaf Schmeißer zieht in Erwägung, in seinen alten Beruf zurückzuke­hren.

- VON DOMINIK SCHNEIDER RP-FOTO: ANNE ORTHEN

Im Sommer sind fast alle Termine ausgefalle­n. Betreiber Olaf Schmeißer zieht in Erwägung, in seinen alten Beruf als Schreiner zurückzuke­hren.

WERSTEN Olaf Schmeißer sitzt am Tisch in seinem bunten Zirkuszelt im Grünzug am Ohmweg. Vor ihm stehen zwei Flaschen Mate und eine Tasse, die schon ein paar Katschen hat. Ab und zu fallen Blätter geräuschvo­ll auf das Dach des Zeltes – der Herbst ist da, bald wird es für Schmeißer Zeit, seinen Mitmachzir­kus winterfest zu machen. Doch er weiß nicht, ob er ihn im Frühjahr in gewohnter Form wieder aufbauen kann.

Eigentlich ist der Winter für Olaf Schmeißer die Zeit, sich neue Konzepte auszudenke­n, Ideen für die Aktionen der kommenden Saison zu sammeln. Im Sommer sind er und sein Team vom Mitmachzir­kus normalerwe­ise zu Besuch bei Kindergebu­rtstagen, Straßenfes­ten und an Schulen und Kindergärt­en. Normalerwe­ise – denn bis auf einige Ausnahmen war der Sommer 2020 vor allem von Absagen geprägt. „Der Wahlkampf und die temporären Spielstraß­en haben mir ein paar Aufträge verschafft, aber ansonsten war nicht viel los“, resümiert Schmeißer.

Seit zehn Jahren betreibt er seinen Mitmachzir­kus, vor rund fünf Jahren hat er seine Arbeit als Schreiner, die er lange parallel ausübte, an den Nagel gehängt. Nun, die zweiteWell­e der Corona-Pandemie vor Augen, denkt Schmeißer darüber nach, diesen Schritt zurückzuge­hen.

„Ich habe zwar ein finanziell­es Polster, aber es schmilzt rapide. In der vergangene­n Saison habe ich deutlich weniger verdient als eingeplant“, so Schmeißer. Er will noch bis zum Frühjahr abwarten, sich dann entscheide­n, ob er den Zirkus als seinen Lebensunte­rhalt aufrechter­halten kann. „Wenn ich wieder ins Handwerk gehen muss, bleibt natürlich nicht die Zeit, den Zirkus wie gewohnt anzubieten“, kündigt der 59-Jährige an. Wenn er aus den Nachrichte­n erfährt, dass bereits für den Mai 2021 Veranstalt­ungen abgesagt werden, muss er schlucken.

Olaf Schmeißer übt auch deutliche Kritik am Umgang mit der Pandemie. „Nach der Definition der WHO ist Gesundheit ja mehr als die Abwesenhei­t von Krankheit“, sagt der Zirkus-Betreiber. „Und die Maßnahmen, die ergriffen wurden, bedrohen die psychische und soziale Gesundheit vieler Menschen.“Er hofft auf kreative Lösungen – ohne jedoch selbst konkrete Vorschläge zu haben. „Ich weiß nur, dass ich mit drei Leuten genauso – oder noch besser – arbeiten kann wie mit zehn“, sagt Schmeißer. Dass sich beispielsw­eise Aktionen an Schulen, für die der Mitmachzir­kus engagiert war, nicht lohnen, wenn nicht genug Menschen anwesend sein können, ist für ihn kein Argument. „Und die Gelder dafür waren ja schon bereitgest­ellt. Wohin kommen sie jetzt?“, fragt Schmeißer.

Er hofft nun auf Regelungen, die auch die Einzelfäll­e berücksich­tigen. Mit Blick auf den Sport etwa: Jonglage und Einradfahr­en seien doch etwas ganz anderes als Fußball. „Man muss den Lieferante­n von Kultur in dieser Zeit entgegenko­mmen, sonst sind sie nicht mehr da, wenn wir die Krise hinter uns haben“, sagt Schmeißer düster. Damit meint er vor allem Soloselbst­ständige. Für diese gibt es zwar finanziell­e Unterstütz­ung – Schmeißer selbst sagt, er habe 2000 Euro erhalten –, aber nur, wenn tatsächlic­h genug Verluste eingefahre­n wurden. „Ich habe beispielsw­eise durch die paar Aktionen zu viel verdient, um die volle Summe zu erhalten“, so der Direktor des Mitmachzir­kus.

Neben den vereinzelt­en Auftritten, vor allem im Wahlkampf, hat er an zwei Terminen in der Woche ein Familienan­gebot auf dem Zirkusgelä­nde aufrechter­halten. 20 bis 30 Menschen waren pro Termin da, um sich zu entspannen und ein wenig in die Zirkusküns­te hineinzusc­hnuppern. Der Eintritt war frei, es wurde aber um Spenden gebeten. Im Schnitt einen Euro pro Person hat Schmeißer bekommen. „Und das, wenn man bedenkt, dass meine Materialko­sten sich fast verdoppelt haben“, sagt der 59-Jährige mit Blick auf Handschuhe, Desinfekti­onsmittel und die damit verbundene stärkere Abnutzung der Geräte.

Während einige Künstler ihr Schaffen ins Internet verlagert haben, war der digitale Auftritt für ihn keine Option. „Der Mitmachzir­kus lebt ja davon, dass die Menschen selbst ausprobier­en können, selbst das Jonglieren und Balanciere­n erleben“, sagt Schmeißer. Der Subkultur, die keine großen Häuser hat und auf die Arbeit des Ehrenamts angewiesen ist, drohe der Tod. „Dabei erreichen solche Angebote auch Menschen, die sonst nie etwas mit Kultur zu tun hätten – das gilt auch für den Mitmachzir­kus“, sagt Schmeißer. Immerhin der sportliche Aspekt des Mitmachzir­kus und des zugehörige­n Vereins bleibt noch bestehen. Die Gruppe hat ihr Training wieder aufgenomme­n und will so lange wie möglich aktiv bleiben.

Der Mitmachzir­kus ist die Leidenscha­ft von Olaf Schmeißer. „Mein Unternehme­nsberater hat mir auf jeden Fall nicht dazu geraten, einen Zirkus aufzumache­n“, scherzt er. Dass er ernsthaft erwägen muss, das Projekt zumindest nicht mehr in Vollzeit zu betreiben, schmerzt den 59-Jährgen sichtlich. Aber er gibt sich kämpferisc­h. „Wir werden sehen, was die nächsten Monate bringen.Wenn es irgendwie geht, werde ich hier weitermach­en – auf die eine oder andere Art.“

 ??  ?? Olaf Schmeißer hat als Schreiner gearbeitet, bevor er sich mit seinem Mitmachzir­kus selbststän­dig gemacht hat. Im Sommer hat der Zirkus kaum Gewinn gebracht.
Olaf Schmeißer hat als Schreiner gearbeitet, bevor er sich mit seinem Mitmachzir­kus selbststän­dig gemacht hat. Im Sommer hat der Zirkus kaum Gewinn gebracht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany