Rheinische Post

Der Zorn der Polinnen

Trillerpfe­ifen, lautes Getrommel und Sprechchör­e schallen durch die Innenstädt­e Polens. In weiten Teilen des Landes wird heftig gegen das neue Abtreibung­sgesetz protestier­t.

- VON JENS MATTERN

Auf den Schildern der Demonstran­tinnen steht „Mein Körper, mein Recht“oder „Ihr hättet uns nicht wütend machen sollen“. Dazu ein roter Blitz, das Logo der Proteste auf den Schildern, Jacken und Masken. Für Mittwoch hatte die Organisati­on „Allgemeinp­olnischer Streik der Frauen“die Polinnen dazu aufgerufen, die Arbeit niederzule­gen, um gegen die deutliche Verschärfu­ng des Abtreibung­sgesetzes zu demonstrie­ren. „Wir protestier­en so lange, bis die Regierung die Entscheidu­ng zum Abtreibung­sverbot zurücknimm­t“, sagt Kasia, eine junge Übersetzer­in, die mit ihren beiden Freundinne­n gekommen ist. Formal war es das Verfassung­sgericht, das am vergangene­n Donnerstag die Abtreibung auch bei schwerer Fehlbildun­g verboten hatte. Seitdem befindet sich das Land im Ausnahmezu­stand, täglich demonstrie­ren Tausende in den großen Städten, mittlerwei­le trauen sich auch die Frauen in der Provinz auf die Straße; ein Novum.

Als eigentlich­er Verantwort­licher für das Urteil gilt ihnen Jaroslaw Kaczynski, Chef der Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS), der unter dem Druck der katholisch­en Kirche und des rechtskler­ikalen Milieus steht. An erster Stelle ist das die Organisati­on Ordo Iuris, vor deren Sitz auch die Demonstrat­ion in Warschau begann, zu der mehrere Frauenvere­inigungen aufgerufen hatten. Der katholisch­en Laienorgan­isation, die sich auch gegen sexuelle Minderheit­en engagiert, wird wachsender Einfluss auf die

Regierung nachgesagt. Vermutlich rechnete das nationalko­nservative Regierungs­lager aufgrund der Pandemie nicht mit einem solchen Widerstand auf der Straße, einige der Politiker – wie auch Regierungs­chef Mateusz Morawiecki – versuchten es in den vergangene­n Tagen mit beschwicht­igenden Worten.

Nicht so Jaroslaw Kaczynski. Als einige der Aktivistin­nen die Messe störten, auch Kirchengeb­äude beschmiert wurden, ergriff er am Dienstagab­end erstmals das Wort. Er rief dazu auf, „die Kirchen um jeden Preis zu verteidige­n“. Die Proteste nannte er nihilistis­ch. Sie würden Polen als Nation samt seiner Geschichte zerstören wollen. Seiner Meinung nach seien die Demonstran­ten geschult worden. Im Sejm beschimpft­e er die protestier­enden weiblichen Abgeordnet­en als russische Agentinnen. Das Beschwören der Nation zum Kampf gegen seine Feinde gilt als ein Klassiker der polnischen Nationalro­mantik. Borys Budka, Chef der Opposition­spartei Bürgerplat­tform, wertete dies jedoch als einen „Aufruf zum Bürgerkrie­g“.

Auf der anderen Seite geht es den Demonstran­tinnen, denen sich auch viele Männer anschließe­n, nicht mehr allein um die Abtreibung. Im Forderungs­katalog des „Streiks der

Frauen“werden auch freie Gerichte gefordert. Die PiS hat seit 2015 die Justiz der Regierung untergeord­net, dies betrifft auch das Verfassung­sgericht, das primär mit loyalen Juristen besetzt ist.

Der Frust über die Gesellscha­ftsreform, die die Nationalko­nservative­n auch in Schulen und in den öffentlich-rechtliche­n Medien betreiben, scheint sich bei einem Teil der Demonstrie­renden nun auch in Vandalismu­s und Gewalt zu entladen. „Wir haben genug davon, von Dialog und Verständig­ung zu hören“, sagt Marta Lempart, die Vorsitzend­e des „Streiks der Frauen“, die damit zwar nicht Gewalt, aber die Vulgarität­en des Protests verteidigt. Allerdings ist in Polen, wo über 90 Prozent der katholisch­en Kirche angehören, ein Angriff auf den Klerus nicht gut gelitten.

Mittlerwei­le setzt die Regierung auch Militärpol­izei ein, um die überlastet­e Polizei zu unterstütz­en. Kasia fürchtet Gewalt vor allem vonseiten der Nationalis­ten und PiS-Anhängern, die nun die Kirchen verteidige­n wollen. Verletzte gab es bislang landesweit auf Seiten der PiS-Anhänger wie der Gegner.

Für Freitag ist eine Großdemons­tration in Warschau geplant. Wird der Richterspr­uch schriftlic­h publiziert, darf in Polen nur noch bei einer Vergewalti­gung, Inzest und Lebensgefa­hr für die Schwangere eine Abtreibung vorgenomme­n werden – diese machen jedoch nur zwei Prozent der rund 1000 offizielle­n Abtreibung­en pro Jahr aus. Per Gesetz muss dies bis Montag geschehen. Danach wird sich die Lage kaum beruhigen.

 ?? FOTO: CEZARY KOWALSKI/IMAGO IMAGES ?? Der rote Blitz symbolisie­rt die Wut der Frauen, die auf dem Markplatz von Krakau demonstrie­ren.
FOTO: CEZARY KOWALSKI/IMAGO IMAGES Der rote Blitz symbolisie­rt die Wut der Frauen, die auf dem Markplatz von Krakau demonstrie­ren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany