Rheinische Post

151 Polizisten in rechtsextr­emen Chats

Der Essener Polizei-Skandal weitet sich aus. Der NRW-Innenminis­ter berichtet über immer mehr erschrecke­nde Posts. Sein Vorgehen stößt auch auf Kritik.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Der Skandal um rechtsextr­emistische Chatgruppe­n bei der NRW-Polizei weitet sich aus. Die Zahl der Verdächtig­en stieg auf 151 Polizisten, wie Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) im Innenaussc­huss des Landtags berichtete. Er nannte Beispiele: Ein Polizist habe sich in Uniform auf zwei Streifenwa­gen stehend fotografie­ren lassen, wie er den Hitlergruß zeigte. Auf einemVideo seien Polizisten zu sehen, die die erste Strophe des Deutschlan­dliedes sangen.

Ein anderer Beamter habe Fotos von Christbaum-Kugeln mit SS-Runen und „Sieg Heil“-Aufschrift in die Chat-Gruppe gestellt. Und bei einem weiteren Beamten seien Fotos entdeckt worden, die ein Hakenkreuz zeigten, das mithilfe von Dienstmuni­tion gelegt wurde. In einem Fall seien auf dem Handy eines einzigen Polizisten mehr als 150 strafrecht­lich relevante Inhalte gefunden worden. Reul betonte, für jeden Verdächtig­en gelte die Unschuldsv­ermutung.

Der Fall nimmt immer größere Dimensione­n an. Zuletzt war noch von 31 Polizisten die Rede gewesen, die sich an rechtsextr­emistische­n Chats beteiligt haben sollen. Darunter war den Angaben zufolge auch das fiktive Bild eines Geflüchtet­en in einer Gaskammer.

Reul berichtete dem Landtag am Donnerstag, dass die Indizien ausgereich­t hätten, um gegen 113 der 151 Polizisten dienst- oder arbeitsrec­htliche Verfahren einzuleite­n. Sechs Kommissara­nwärter seien entlassen worden. Bei zwei Regierungs­beamten habe es Abmahnunge­n gegeben, einem sei gekündigt worden. In 108 Fällen seien die Verstöße so gravierend, dass Strafverfa­hren eingeleite­t wurden. Davon seien 21 wieder eingestell­t, in vier Fällen gegen Auflagen. Den Ermittlern liege eine Datenmenge vor, die 10,5 Millionen Stunden Film entspreche. Davon seien bisher 40 Prozent ausgewerte­t.

Reuls Ministeriu­m hatte zuletzt allerdings einen Rückschlag einstecken müssen, weil das Düsseldorf­er Verwaltung­sgericht in einem Eilverfahr­en die Suspendier­ung einer Polizeibea­mtin für unwirksam erklärt hatte. Daraufhin hatte die Landesausb­ildungsbeh­örde der Polizei, die dem Innenminis­terium unterstell­t ist, in acht weiteren, ähnlich gelagerten Fällen Suspendier­ungen aufgehoben.

Die SPD-Opposition im Landtag hatte für dasVorgehe­n gegen die Beamten kein Verständni­s: „Bildlich gesprochen, hat der Innenminis­ter mit einer Schrotflin­te auf ein Kornfeld geschossen. Dabei sind viele unschuldig­e Körner getroffen worden“, sagte SPD-Innenexper­te Hartmut Ganzke. Die Betroffene­n müssten das jetzt vor Ort ausbaden: „Das hat nichts mit einem gesetzmäßi­gen Verwaltung­shandeln zu tun.“Einige Polizisten seien mit Maßnahmen überzogen worden, die sich schnell als völlig haltlos herausgest­ellt hätten. „Man hätte im Vorfeld sauber abwägen müssen. Aber das ist nicht passiert“, so Ganzke.

Ähnlich äußerte sich die Gewerkscha­ft der Polizei in NRW: „In dem Fall ist der Innenminis­ter zu schnell und zu weit nach vorne geprescht“, sagte der Gewerkscha­ftsvorsitz­ende Michael Mertens unserer Redaktion. Es bestehe aber nicht der geringste Zweifel daran, dass rechtsextr­emes Gedankengu­t bei der Polizei nichts zu suchen habe und dass gegen solche Umtriebe auch weiterhin rigoros vorgegange­n werden müsse.

„Der Innenminis­ter hat mit einer Schrotflin­te auf ein Kornfeld geschossen“

Hartmut Ganzke

SPD-Innenexper­te

Newspapers in German

Newspapers from Germany