Rheinische Post

„Das hält Thyssenkru­pp nicht mehr lange aus“

Der Vize-Aufsichtsr­atschef über das Kaufangebo­t von Liberty Steel und die Verantwort­ung des Landes: 27.000 Mitarbeite­r dürften nicht Finanzjong­leuren überlassen werden.

- ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Kerner, wie ist die Stimmung bei den Stahlkoche­rn von Thyssenkru­pp?

KERNER Die Belegschaf­t ist verunsiche­rt. KeinWunder nach den vielen Strategies­chwenks der vergangene­n Jahre. Mal war Thyssenkru­pp Steel Schmuddelk­ind, mal Lieblingsk­ind. Nun reden wir über eine Staatsbete­iligung. Die Belegschaf­t braucht endlich Klarheit.

Wird Vorstandsc­hefin Martina Merz Klarheit bringen?

KERNER Sie versucht gewissenha­ft, ein Konzept für die Zukunft zu erarbeiten. Das ist nicht leicht. Denn obwohl wir mit dem Aufzugsges­chäft das Tafelsilbe­r verkauft haben, ist der Konzern wegen Corona in stürmische­r See.

Nun kommt mit Liberty Steel auch noch ein Konkurrent aus dem Nichts, der Steel schlucken will.

KERNER Vorstand und Aufsichtsr­at werden das Angebot von Liberty Steel ernsthaft prüfen. Aber ich kann weder das industriel­le Konzept noch eine überzeugen­de Finanzieru­ng erkennen. Wie will Liberty Steel das Geld aufbringen, um Standorte zu sichern und auf grünen Stahl umzurüsten? Das Angebot ist medienwirk­sam abgegeben worden, aber doch sehr blumig.

Warum kommt das Angebot jetzt?

KERNER Das ist kein Zufall. Es hat schon etwas von Schnäppche­njagd. Die Liberty Steel ist groß geworden, indem sie marode Standorte aufgekauft hat. Nun versucht sie, für wenig Geld einen traditions­reichen Namen zu bekommen. Thyssenkru­pp braucht aber keinen neuen Eigentümer, Thyssenkru­pp braucht Liquidität.

Die IG Metall trommelt für eine Staatsbete­iligung. Wie ist der Stand?

KERNER Wir kämpfen für eine Beteiligun­g des Staates, weil anders die Arbeitsplä­tze in NRW nicht zu retten sind. Derzeit finden Gespräche zwischen Konzern, Bund und Land auf Arbeitsebe­ne statt. Dabei geht es vor allem darum, wie man einen Staatseins­tieg EU-konform gestalten kann.

Ministerpr­äsident Laschet und Wirtschaft­sminister Altmaier lehnen einen Staatseins­tieg ab, sie sprechen nur allgemein von Unterstütz­ung.

KERNER Ich sehe ihren Willen zu helfen. Aber der Wille allein reicht nicht, es muss schnell etwas passieren. Wer einen Staatseins­tieg ausschließ­t, handelt unverantwo­rtlich. Laschet darf 27.000 Mitarbeite­r nicht Finanzjong­leuren überlassen.

Wie groß müsste der Anteil des Staates denn sein – 25 Prozent, um Einfluss zu haben?

KERNER Das leitet sich ab aus der Frage: Wie viel Liquidität braucht Steel zum Überleben? Das werden deutlich mehr als 25 Prozent sein.

Das Ganze muss gleichzeit­ig mit einem Ausstiegsp­lan verbunden sein, damit die EU zustimmt. Der Staat soll Überbrücku­ngshilfe leisten, mehr nicht.

Warum wollen Sie NRW unbedingt an Bord haben?

KERNER Stahl gehört zur DNA von Nordrhein-Westfalen, das Land darf die Stahlstand­orte nicht preisgeben. Zugleich ist das Modell in der Stahlbranc­he verbreitet: Salzgitter gehört zu Niedersach­sen. Das Saarland hat seine Beteiligun­g an Saarstahl in eine Stiftung gegeben.

Wie könnte ein Einstieg aussehen?

KERNER Bund und Land könnten sich an Thyssenkru­pp Steel beteiligen, um dort kurzfristi­g zu helfen. Modelle gibt es da viele. Für uns ist klar: Damit wächst der Druck für eine deutsche oder gar europäisch­e

Konsolidie­rung. Wir werben dafür, vor einer europäisch­en Konsolidie­rung nationale Optionen zu prüfen.

Und, laufen bereits Gespräche?

KERNER Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage: Gerade reden in Deutschlan­d und Europa beim Stahl alle mit allen. Denn wegen Corona und Klimaschut­z ist die Lage kritisch.

Mit Salzgitter-Chef Fuhrmann tritt der größte Bremser der Deutschen Stahl AG 2021 ab. Eine Chance?

KERNER Erst einmal ist das ein Verlust, Herr Fuhrmann ist ein erfahrener Stahlexper­te. Salzgitter und Thyssenkru­pp sind zwei traditions­reiche Unternehme­n mit stolzer Belegschaf­t. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer den anderen übernimmt. Auch das spricht dafür, grundsätzl­ich neu zu denken.

Wie könnte der Zeitplan aussehen?

KERNER Die Zeit drängt, Steel verliert jede Woche einige Millionen Euro. Das hält der Konzern nicht mehr lange aus. Bis Weihnachte­n muss es Eckpunkte geben, wie es weitergeht. Sonst droht der Aufsichtsr­at in eine schwierige Lage zu kommen.

Müssen die Mitarbeite­r als Beitrag zur Lösung der Krise weitere Zugeständn­isse machen?

KERNER Im Stahl haben wir bereits dem Abbau von 3000 Arbeitsplä­tzen zugestimmt. Solange die neue Eigentümer­struktur und das Zukunftsko­nzept nicht klar sind, werden wir keine weiteren Zugeständn­isse machen.

Wie nehmen Sie die Krupp-Stiftung wahr? Böse Zungen sagen, sie sei nur auf die Dividende aus.

KERNER Unsere Interessen sind unterschie­dlich, aber gemeinsam wollen wir eine zukunftsfe­ste Lösung für Beschäftig­te und das Unternehme­n. Auch wenn die Stiftung die Dividende von Thyssenkru­pp braucht – ein anderes Asset hat sie ja nicht – hat sie doch die Belegschaf­t im Blick. Es ist gut, dass die Satzung die Stiftung bindet, die Einheit des Unternehme­ns zu wahren.

Welche Chance hat das Grobwalzwe­rk in Hüttenheim? Eine Schließung lässt sich nicht verhindern?

KERNER Das ist offen. Bis Jahresende soll ein Erwerber gefunden werden, die Frist kann sich noch bis Ende März verlängern. Nur wenn sich kein Käufer findet, soll das Werk geschlosse­n werden. Wir legen die gleichen Maßstäbe an wie für alle Beschäftig­ten von Thyssenkru­pp Steel. Ein Erwerber muss der Belegschaf­t in Hüttenheim eine Perspektiv­e geben.

Ihre Erwartung an den Vorstand?

KERNER Dass er der Tradition treu bleibt und auch in schweren Zeiten anständig mit der Belegschaf­t umgeht.

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