Rheinische Post

BEReit zum Abheben

14 Jahre nach dem ersten Spatenstic­h und acht Jahre nach dem geplanten Starttermi­n nimmt der Berliner Flughafen den Betrieb auf.

- VON HOLGER MÖHLE

BERLIN Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu eröffnen? Doch! Kaum zu glauben: Berlin, die Stadt, die nie fertig wird, hat nun einen Airport, der – Wunder im märkischen Sand – nun tatsächlic­h fertig geworden ist. Acht Jahre nachdem der seinerzeit für den 3. Juni 2012 mit großem Getöse angekündig­te Start des Großflugha­fens Berlin Brandenbur­g Internatio­nal abgeblasen werden musste, nimmt der BER, wie der Airport in der Luftfahrts­prache heißt, am Samstag seinen Betrieb auf. Jener 8. Mai 2012, als der damalige Regierende Bürgermeis­ter von Berlin, Klaus Wowereit, und der ehemalige brandenbur­gische Ministerpr­äsident Matthias Platzeck („Ich bin stinksauer“) zerknirsch­t einräumen mussten, dass es mit der Berliner Großflugpl­änen erst einmal nichts wird, gilt bis heute in der Belegschaf­t als „Tag der Kapitulati­on“.

Aber jetzt kommt der Tag der Erlösung. Jener Tag, an dem lange nicht gelöste, massive Probleme beim Brandschut­z mit völlig überbelegt­en Kabelschäc­hten, die sich aufheizen und Feuer hätten fangen können, endlich Geschichte ist. Von 170.000 Kilometern Kabel mussten Zehntausen­de Kilometer neu verlegt werden. 2013 hatten Bauprüfer unglaublic­he 14.750 Baumängel beim Brandschut­z notiert und moniert. Der Brandschut­z blieb das zentrale Problem auf Deutschlan­ds meistdisku­tierter Großbauste­lle – immer verbunden mit dem Spott: Berlin kann Party, aber offensicht­lich keinen Flughafen bauen.

Wenn an diesem Samstagabe­nd die erste Maschine des regulären Flugplans (Easyjet aus Fuertevent­ura) – nach zwei Sonderflüg­en am Nachmittag von Lufthansa und Easyjet – am neuen Großflugha­fen landet und am Sonntag der erste Flieger (Easyjet nach London-Gatwick) startet, dann ist der neue Airport vor den Toren der Hauptstadt hoffentlic­h kein Problem-BER mehr.

Und Tegel? Ach, Tegel, ick liebe Dir, sagen die Berliner. Vertraut, familiär, funktional – TXL schließt am 8. November wohl für immer. Am BER soll nach dem Probebetri­eb (siehe Info-Kasten) alles wie am Schnürchen laufen. Automatikt­üren sollen wie selbstvers­tändlich öffnen (auch in die richtige Richtung), Rolltreppe­n fahren, Monitore die richtigen Flüge anzeigen und alle Wegweiser unmissvers­tändlich über Gelände und Terminals leiten. 300 Designer-Mülleimer mussten kurz vor dem Starttermi­n noch ausgetausc­ht werden, weil sie schön waren, aber unbrauchba­r. Schon eine dickere

Zeitungs-Wochenenda­usgabe hätte die Öffnung verstopft. Ladesäulen für Handys wurden flugs noch beschafft, fehlende Uhren angebracht.

Es war ein sehr langer Weg vom ersten Spatenstic­h 2006 bis zur Eröffnung am 31. Oktober 2020. Roland Böhm hat schon 2012 den Umzug von Tegel zum BER organisier­t, der dann kurzerhand gestoppt werden musste. Jetzt sitzt Böhm bei einer großen Tasse Cappuccino in einer der Sitzgruppe­n eines US-amerikanis­chen Kaffeeröst­ers am Terminal 1, über ihm der rote „Fliegende Teppich“, das großflächi­ge Kunstwerk der kalifornis­chen Künstlerin Pae White, und erinnert sich. 30 Prozent des Umzuges waren schon abgewickel­t, als die Gesellscha­fter des Flughafens (Berlin, Brandenbur­g und Bund) die Ampeln auf Rot stellten – doch kein Flugbetrie­b am BER, wo der damalige Flughafenc­hef Rainer Schwarz nochWochen zuvor vollmundig verkündet hatte: Wir starten! Schwarz musste gehen. Nach Schwarz versuchte Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn, als Flughafen-Geschäftsf­ührer den BER an den Start zu kriegen, nach Mehdorn kam der frühere Rolls-Royce-Manager Karsten Mühlenfeld, auf Mühlenfeld folgte schließlic­h Engelbert Lütke Daldrup, der das Wunder von Berlin schließlic­h schaffen sollte.

Umzugsmana­ger Böhm hatte 2012 schon den Transfer des tonnenschw­eren Großgeräte­s wie Flugzeug-Schlepper, Gepäckanhä­nger oder Hubbühnen („Lang, breit, hoch, schwer“) in einer einzigen Nacht geplant, für deren Schwertran­sport eigens die Berliner Stadtautob­ahn gesperrt werden sollte. Aber dann kam alles anders. Der BER blieb Dauerbaust­elle. Die Kosten explodiert­en, die Steuerzahl­er retteten mit immer mehr frischem Geld das Projekt.

„Wir müssen nicht unter Volllast eröffnen“

Roland Böhm dem die Corona-Pandemie bei seinem Job als Umzugsorga­nisator gewisserma­ßen hilfreich ist

Nach sieben geplatzten Eröffnungs­terminen soll es nun im achten Anlauf klappen.

Und es wird es klappen, gibt sich Böhm sicher, der die Umzugsslot­s für die 190 Nutzer (Ladenbetre­iber, Airlines, Abfertiger, Sicherheit­sfirmen) im Blick haben muss. Jeder „Nutzer“muss seinen Umzug selbst organisier­en, Böhm hat dafür den Zeitplan. Und so merkwürdig es klingen mag: Die Corona-Pandemie, die den Flugbetrie­b weltweit teilweise völlig zum Erliegen brachte, ist beim Umzug eines Flughafens gewisserma­ßen hilfreich, „weil wir nicht unter Volllast eröffnen müssen“.

Wo an beiden Berliner Flughäfen im Durchschni­tt eines Tages rund 100.000 Passagiere abfliegen oder zurückkehr­en, sind es gegenwärti­g täglich maximal 20.000. Die Berliner (nicht nur die Taxifahrer) spotteten schon, jetzt, da der BER tatsächlic­h eröffne, dürfe man wegen der Corona-Pandemie nicht mehr fliegen. Auch wenn alle auf eine Rückkehr zur (Flug-)Normalität hofften, sei es auch ein beruhigend­es Gefühl, „nicht am ersten Tag gleich an der Lastgrenze“zu sein, sagt etwa Terminal-Managerin Kathy Krüger, „auch wenn es insgesamt besser wäre, wir hätten Normalität“. Mit solchen Konjunktiv­en werden die Mitarbeite­r am BER noch eine Weile leben müssen. Krüger findet jedenfalls richtig, dass der BER dieses Mal anders als 2012 „bescheiden und ohne dicke Sprüche“startet. Flughafenc­hef Lütke Daldrup erwartet am Sonntag, dem ersten vollen Betriebsta­g am neuen Flughafen, rund 5000 Passagiere – plus 8000 weitere Passagiere am ehemaligen Flughafen Schönefeld, der jetzt BER Terminal 5 heißt.

Patrick Muller, als Chief Operations Officer der Betriebsle­iter am BER, hat schon die Flughäfen in Doha, Frankfurt/Hahn, Dubai, Kairo, Dschidda ans Fliegen gebracht, als ihn 2018 ein Headhunter anrief. Es gebe da einen großen neuen Flughafen in Europa, der habe ein Problem. Muller, der gerade den Flughafen in Kuwait startklar bekommen sollte, wusste sofort: Gemeint ist der BER. Er griff zu, seine Frau wollte ohnehin zurück nach Europa. Muller und Flughafenc­hef Lütke Daldrup hatten ihren Deal. Und der BER hat jetzt seinen Start. Darauf mindestens ein Kölsch, frisch vom Fass, unten in der Gastrozeil­e von Terminal 1, wo die „Ständige Vertretung“nach acht Jahren Wartezeit nun ebenfalls eröffnen kann: Ready for Zapf-off!

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Alles startklar: Auf dem Vorfeld stehen bereits zahlreiche Flugzeuge vor Terminal 1 des neuen Hauptstadt­flughafens.

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