Endlich ein Bett und eine warme Dusche
Seit zwei Wochen leben Sergio und Tobi aus dem illegalen Camp in Oberbilk in der Flüchtlingsunterkunft an der Meineckestraße.
OBERBILK Die erste Nacht in einem richtigen Bett unter einem festen Dach, „das war schon toll“, sagt Sergio. Und dann erst die heiße Dusche am nächsten Morgen – der 22-Jährige muss unweigerlich grinsen. So gut hatte er es schon lange nicht mehr. Fünf Jahre lebte Sergio auf der Straße, drei davon in dem illegalen Camp hinter dem Amtsgericht in Oberbilk. Direkt an den Bahngleisen, zwischen Gestrüpp und Büschen, in selbst gebauten Hütten, die aus Holzresten und Plastikplanen bestanden.
Mit Vasile-Ferencz (41) ist Sergio an diesem Morgen zum Büro von Fiftyfifty gekommen, die beiden verkaufen Zeitungen für die Obdachlosenhilfe. Vasile-Ferencz, den die meisten Tobi nennen, ist seit acht Jahren in Deutschland. Er erlebte, wie das Camp, in dem er überwiegend wohnte, im März 2018 von der Deutschen Bahn und der Bundespolizei niedergerissen wurde. Kurz danach baute der Rumäne mit seinen Freunden ein neues Dorf auf dem
Gelände zwischen Mindener- und Fichtenstraße. Vor knapp zwei Wochen wurde es wieder geräumt.
Diesmal gingen die Behörden sensibler um mit den Menschen. Statt ohne Vorwarnung mit Baggern anzurücken, holte die Stadt Fifityfifty mit ins Boot, Miriam Koch vom Amt für Migration und Integration stellte Teile der Flüchtlingsunterkünfte an der Meineckestraße und der Werftstraße zur Verfügung. Dort leben Sergio und Tobi nun, die Dorfgemeinschaft aus dem illegalen Camp durfte zusammenbleiben. Das war den beiden wichtig; wäre das nicht möglich gewesen – Tobi und Sergio wären auf der Straße geblieben.
„Für die Menschen, die jetzt untergekommen sind, ist das eine riesige Chance“, sagt Johannes Dörrenbächer, der optisch schon eine deutliche Veränderung feststellen kann. „Was ein Bett und eine Dusche ausmachen“, sagt der Fifityfifty-Mitarbeiter, der die Räumung der Camps engmaschig begleitet hat und die gute Zusammenarbeit mit der Stadt lobt. „In der Flüchtlingsunterkunft sind ganzeWohnmodule freigeräumt worden“, sagt Dörrenbächer, bleiben dürfen die neuen Bewohner auf unbestimmte Zeit, ergänzt Koch.
Weil die Menschen aus Rumänien kommen, also einem EU-Land, haben sie anders als Flüchtlinge etwa aus Afrika keinen Anspruch auf Sozialleistungen. „Wir versuchen jetzt, die Leute in Arbeit zu bringen, das ist auch schon teilweise gelungen“, sagt Koch. Sobald EU-Bürger fünf Jahre in Deutschland leben und sozialversicherungspflichtig arbeiten, hätten sie Anspruch auf Sozialleistungen, so Dörrenbächer, der trotzdem auch Kritik übt.
Vor allem am Hilfesystem. „Die Angebote der Stadt richten sich kaum an ganze Familien, die auch noch Hunde haben“, sagt der Sozialarbeiter. Vor zehn, 15 Jahren sei es der alleinstehende Mann mit Alkoholproblem gewesen, der auf der Straße lebte. Mit den Grenzöffnungen habe sich das aber geändert. Johannes Dörrenbacher wundert sich, dass es überhaupt möglich ist, dass Menschen so lange unter solchen Bedingungen mitten in Deutschland leben können oder vielmehr müssen.
Arbeit ist das, was sich Sergio und Tobi nun wünschen. Sie wollen Papiere beantragen, krankenversichert sein. Einen Schulabschluss haben die beiden zwar nicht,„aber wir sind fleißig“, sagt Sergio, der inzwischen schon gut Deutsch spricht. „Das habe ich alles auf der Straße gelernt“. Und noch etwas wünschen sich die Rumänen: ihre Familien wiederzusehen. Sergio hat drei Kinder, Tobi auch, über Weihnachten werden sie wohl nicht nach Hause fahren können, „das Geld fehlt“, sagt der 41-Jährige. Das sei das nächste Problem: „Die Armut haben wir mit dem EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien 2007 miteingekauft“, sagt Dörrenbacher. „Und die Armut ist das, was auch weiterhin bleibt.“