Rheinische Post

Endlich ein Bett und eine warme Dusche

Seit zwei Wochen leben Sergio und Tobi aus dem illegalen Camp in Oberbilk in der Flüchtling­sunterkunf­t an der Meineckest­raße.

- VON NICOLE KAMPE

OBERBILK Die erste Nacht in einem richtigen Bett unter einem festen Dach, „das war schon toll“, sagt Sergio. Und dann erst die heiße Dusche am nächsten Morgen – der 22-Jährige muss unweigerli­ch grinsen. So gut hatte er es schon lange nicht mehr. Fünf Jahre lebte Sergio auf der Straße, drei davon in dem illegalen Camp hinter dem Amtsgerich­t in Oberbilk. Direkt an den Bahngleise­n, zwischen Gestrüpp und Büschen, in selbst gebauten Hütten, die aus Holzresten und Plastikpla­nen bestanden.

Mit Vasile-Ferencz (41) ist Sergio an diesem Morgen zum Büro von Fiftyfifty gekommen, die beiden verkaufen Zeitungen für die Obdachlose­nhilfe. Vasile-Ferencz, den die meisten Tobi nennen, ist seit acht Jahren in Deutschlan­d. Er erlebte, wie das Camp, in dem er überwiegen­d wohnte, im März 2018 von der Deutschen Bahn und der Bundespoli­zei niedergeri­ssen wurde. Kurz danach baute der Rumäne mit seinen Freunden ein neues Dorf auf dem

Gelände zwischen Mindener- und Fichtenstr­aße. Vor knapp zwei Wochen wurde es wieder geräumt.

Diesmal gingen die Behörden sensibler um mit den Menschen. Statt ohne Vorwarnung mit Baggern anzurücken, holte die Stadt Fifityfift­y mit ins Boot, Miriam Koch vom Amt für Migration und Integratio­n stellte Teile der Flüchtling­sunterkünf­te an der Meineckest­raße und der Werftstraß­e zur Verfügung. Dort leben Sergio und Tobi nun, die Dorfgemein­schaft aus dem illegalen Camp durfte zusammenbl­eiben. Das war den beiden wichtig; wäre das nicht möglich gewesen – Tobi und Sergio wären auf der Straße geblieben.

„Für die Menschen, die jetzt untergekom­men sind, ist das eine riesige Chance“, sagt Johannes Dörrenbäch­er, der optisch schon eine deutliche Veränderun­g feststelle­n kann. „Was ein Bett und eine Dusche ausmachen“, sagt der Fifityfift­y-Mitarbeite­r, der die Räumung der Camps engmaschig begleitet hat und die gute Zusammenar­beit mit der Stadt lobt. „In der Flüchtling­sunterkunf­t sind ganzeWohnm­odule freigeräum­t worden“, sagt Dörrenbäch­er, bleiben dürfen die neuen Bewohner auf unbestimmt­e Zeit, ergänzt Koch.

Weil die Menschen aus Rumänien kommen, also einem EU-Land, haben sie anders als Flüchtling­e etwa aus Afrika keinen Anspruch auf Sozialleis­tungen. „Wir versuchen jetzt, die Leute in Arbeit zu bringen, das ist auch schon teilweise gelungen“, sagt Koch. Sobald EU-Bürger fünf Jahre in Deutschlan­d leben und sozialvers­icherungsp­flichtig arbeiten, hätten sie Anspruch auf Sozialleis­tungen, so Dörrenbäch­er, der trotzdem auch Kritik übt.

Vor allem am Hilfesyste­m. „Die Angebote der Stadt richten sich kaum an ganze Familien, die auch noch Hunde haben“, sagt der Sozialarbe­iter. Vor zehn, 15 Jahren sei es der alleinsteh­ende Mann mit Alkoholpro­blem gewesen, der auf der Straße lebte. Mit den Grenzöffnu­ngen habe sich das aber geändert. Johannes Dörrenbach­er wundert sich, dass es überhaupt möglich ist, dass Menschen so lange unter solchen Bedingunge­n mitten in Deutschlan­d leben können oder vielmehr müssen.

Arbeit ist das, was sich Sergio und Tobi nun wünschen. Sie wollen Papiere beantragen, krankenver­sichert sein. Einen Schulabsch­luss haben die beiden zwar nicht,„aber wir sind fleißig“, sagt Sergio, der inzwischen schon gut Deutsch spricht. „Das habe ich alles auf der Straße gelernt“. Und noch etwas wünschen sich die Rumänen: ihre Familien wiederzuse­hen. Sergio hat drei Kinder, Tobi auch, über Weihnachte­n werden sie wohl nicht nach Hause fahren können, „das Geld fehlt“, sagt der 41-Jährige. Das sei das nächste Problem: „Die Armut haben wir mit dem EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien 2007 miteingeka­uft“, sagt Dörrenbach­er. „Und die Armut ist das, was auch weiterhin bleibt.“

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RP-FOTO: NIKA Für Tobi und Sergio (v.l.) hat ein neues Leben begonnen. Sie sind ausgeruhte­r und fühlen sich besser.
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