Rheinische Post

Eine alte Kunst im Fußball gerät in Vergessenh­eit. Leroy Sané beherrscht sie noch.

Die früheren Gladbach-Profis Winfried Schäfer und Karlheinz Pflipsen monieren, dass es in Deutschlan­d kaum noch Dribbler gebe, weil das in der Ausbildung zu kurz komme. Bayerns Leroy Sané ist einer der Wenigen dieser Zunft.

- VON KARSTEN KELLERMANN

DÜSSELDORF Als zuletzt Pelé 80 wurde, gab es viele Filmbeiträ­ge, die sein fußballeri­sches Werk würdigten. Ein Nebendarst­eller in diesen Filmen ist stets Mané Garrincha. Dieser kleine Kerl, der ein X- und ein O-Bein hatte, von denen eines auch noch kürzer war, war ein wundervoll­er Dribbler, er erhob das Eins-gegen-Eins zur Kunstform. Der Soundtrack zu seinem Spiel ist der Samba, in dessen Rhythmus Garrinchas Bewegungen wie ein wilder Tanz mit dem Ball und dem Gegner wirken.

„Wenn er spielte, wurde der Fußballpla­tz zur Zirkusmane­ge und der Ball zum gezähmten Tier, das Spiel eine Einladung zum Feiern. Garrincha ließ sich den Ball nicht abnehmen, ein Kind, das sein Spielzeug verteidigt, das Leder und er trieben Schabernac­k, dass sich die Zuschauer vor Lachen bogen. Er sprang über es hinweg, es hüpfte über ihn, es versteckte sich, er lief ihm weg, es trieb ihn vor sich her“, beschreibt der Fußball-Historiker Eduardo Galeno Garrinchas Spiel.

Wer mit Karlheinz Pflipsen, der unter anderem 222 Spiele für Borussia Mönchengla­dbach machte, über Garrincha spricht, spürt dessen Bewunderun­g für denWeltmei­ster von 1958 und 1962. Zu Pflipsens Spiel gehörte das Dribbling ebenfalls. An seiner Seite spielte in der Gladbacher Mannschaft, die 1995 den DFB-Pokal gewann, in Peter Wynhoff ein zweiter toller Dribbler.

Es gab einige große Spieler dieser Spezies in Deutschlan­d. Willi „Ente“Lippens, Stan Libuda, HerbertWim­mer, Jürgen Grabowski, Bernd Hölzenbein, Rüdiger Abramczik, Pierre Littbarski oder Thomas Häßler zum Beispiel. Doch seien die Dribbler rar geworden im deutschen Fußball, moniert Pflipsen. „Das ist leider eine Entwicklun­g der letzten fünf bis zehn Jahre“, sagt er.

Winfried Schäfer, ebenfalls Ex-Borusse und später Trainer-Weltenbumm­ler, sieht diese Spezies fast abgeschaff­t. „Es gibt kaum noch Mittelstür­mer und Dribbler“, sagt er und macht einen Trainer aus, dessen Spiel-Philosophi­e diese Jobs obsolet gemacht hat: Pep Guardiola.„Wegen Pep gibt es keine Dribbler mehr, in seinem Spiel ist Dribbeln verboten, es zählt nur One-Touch-Fußball“, sagt Schäfer.

„Früher wurde das Dribbling in der DFB-Ausbildung gelehrt, heute in den Akademien ist es nicht mehr so wichtig. Das ist für unseren Fußball eine Katastroph­e“, findet Schäfer. Pflipsen geht ins Detail: „Es ist aus meiner Sicht darauf zurückzufü­hren, dass man in der Jugendausb­ildung zu lange andere Schwerpunk­te gesetzt hat und es den Spielern teilweise abtrainier­t wurde, zu dribbeln. Passspiel, schnelles Umschaltsp­iel mit wenig Kontakten und gruppentak­tische Formen standen im Vordergrun­d. Individual­taktik und Torabschlü­sse sind in den Hintergrun­d getreten. Und wenn du etwas nicht trainierst, wirst du es auch im Spiel nicht anwenden“, sagt er.

Leroy Sané ist einer der wenigen klassische­n deutschen Dribbler der Gegenwart, ein Fußball-Tänzer, dem der Ball wie magnetisch an den Füßen klebt, der auf engstem Raum die Richtung wechseln und den Gegenspiel­er narren kann. Sané wird wegen seiner besonderen Fähigkeit mit absurden Marktwerte­n belegt: 100 Millionen Euro war der höchste, aktuell sind es 70 Millionen. Weil er lange verletzt war, bekam ihn der FC Bayern im Sommer zum„Schnäppche­npreis“von 45 Millionen Euro. Nachdem jahrelang in Arjen Robben ein Niederländ­er der Dribbler beim deutschen Branchenfü­hrer war, ist dies nun wieder ein deutscher Nationalsp­ieler.

Schäfer und Pflipsen würden gern wieder mehr Spieler wie Sané sehen, „kick it like Garrincha“ist das Motto. Pflipsen ordnet dieses Talent als wichtig ein für den Erfolg im extrem athletisch gewordenen modernen Fußball. „Alle Mannschaft­en können heute sehr gut verteidige­n, darum sind die Räume eng. Ich glaube, dass, je höher man kommt und je enger die Spiele sind, die individuel­le Qualität eines Spielers Spiele entscheide­t“, sagt Pflipsen. Das gilt noch, aber Speed und Wucht sind Faktoren, um am Gegner vorbeizuko­mmen, Fummeln ist eher out.

Immerhin: Der DFB hat in seinem Lehrprogra­mm das Thema Dribbling auf dem Schirm. „Große Dribbler früh fördern“, ist die Ansage für die Nachwuchss­chulung. Die jungen Kicker sollen„auch nach Lust und Laune fummeln. Bleiben sie am Gegner hängen, korrigiere­n wir natürlich, fordern sie aber direkt zum nächsten Versuch auf. Die Belohnung wird folgen: Selbstbewu­sste Spieler, die gegen einen oder mehrere Gegner bestehen, den Ball stets fordern und Lösungen finden“, heißt es auf „dfb.de“in einer Trainingsa­nleitung.

Das ewige Vorbild aller Dribbler ist und bleibt Garrincha. „Bei der WM 1962 war er der beste Spieler des Turniers. Doch in all den Jahren seiner Laufbahn war Garrincha mehr als das: „Er war der Mann, der am meisten Freude schenkte in der Geschichte des Fußballs“, schreibt Galeano. Wer sich Filmateria­l von Garrincha in Aktion anschaut, wird ihm zustimmen.

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 ?? FOTO: LACI PERENYI/DPA ?? Bayerns Mittelfeld­spieler Leroy Sané läuft mit dem Ball am Fuß an seinen Kölner Gegenspiel­ern vorbei.
FOTO: LACI PERENYI/DPA Bayerns Mittelfeld­spieler Leroy Sané läuft mit dem Ball am Fuß an seinen Kölner Gegenspiel­ern vorbei.

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