Rheinische Post

Lauterbach fordert flexiblere Klassengrö­ßen

BKA-Präsident Holger Münch räumt vor dem Breitschei­dplatz-Untersuchu­ngsausschu­ss Fehler ein.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN (mün) Der SPD-Gesundheit­sexperte und Epidemiolo­ge Karl Lauterbach verlangt mehr Flexibilit­ät für Schulen. Corona-Impfstoffe würden zunächst für Kinder nicht sicher genug getestet sein, sagte Lauterbach unserer Redaktion: „Daher müssen die Schulen noch viele Monate lang sicherstel­len, dass sie nicht zu Brennpunkt­en der Pandemie werden.“Die Länder sollten den Schulen mehr Möglichkei­ten geben, die Klassengrö­ße flexibel zu gestalten.

BERLIN Ein reumütiger BKA-Präsident, eine spürbare Verbesseru­ng der Terrorabwe­hr, aber weiterhin Schwachste­llen – das sind zentrale Erkenntnis­se der 107. Sitzung des Breitschei­dplatz-Untersuchu­ngsausschu­sses am Donnerstag. Er zieht sich bis in die Nacht hin. Blutrot leuchtet der Abendhimme­l bereits über Berlin, als Holger Münch, seit sechs Jahren Chef des Bundeskrim­inalamtes und nun schon in der fünften Stunde seiner Ausschussb­efragung, zu einer vielsagend­en Formulieru­ng greift: „Das ist hinreichen­d unklar.“

Dieses Mal bezieht er sich darauf, dass die Behörden immer noch nicht die Flucht von Anis Amri lückenlos aufgeklärt hat, immer noch nicht wissen, mit wem der tunesische Asylbewerb­er vor und nach dem Attentat auf den Weihnachts­markt zu Füßen der Gedächtnis­kirche am 19. Dezember 2016 in Kontakt stand, wer ihm geholfen haben könnte, wer ihn vermutlich sogar per Chat gesteuert haben soll. Immerhin: Dessen Identität hat das BKA inzwischen geklärt und versucht, seiner habhaft zu werden. Nach fast vier Jahren.

Nach fast vier Jahren geht Münch auch von den üblichen Behörden-Aussagen im Ausschuss ab, die bislang vor allem nach dem Muster abliefen: Wir haben alles richtig zu machen versucht, die anderen haben schlecht gearbeitet. Gleich im halben Dutzend räumt Münch Fehler und Pannen ein. Und er geht auch in die Offensive in einer zentralen Frage, in der sich das BKA bislang im Clinch auch mit den NRW-Behörden befand: Ob NRW das BKA nun förmlich, indirekt oder andeutungs­weise gebeten hat, den Fall des hochmobile­n Amri zu übernehmen, ist für Münch zwar weiterhin sehr zweifelhaf­t – letztlich aber zweitrangi­g: „Wenn wir gebeten worden wären, hätten wir es abgelehnt.“Das sagt ausgerechn­et der BKA-Chef in dem heutigen Wissen, dass Amri im Begriff stand, als islamistis­cher Kämpfer ein Attentat zu begehen.

Doch die Ressourcen, das hat Münch in einem einstündig­en Eingangsst­atement bereits unterstric­hen, hielten mit der Dynamik der islamistis­chen Terrorbedr­ohung nicht stand. 158 Gefährder zählte das BKA im Jahr 2014 – zwei Jahre später bewegte sich ihre Zahl auf 500 zu. Münch deutet an, dass im Sommer 2016, als Amris Tun und Tatvorbere­itungen aus dem Blickfeld der Behörden gerieten, eine Reihe von Personen unter starkem Kräfteaufw­and observiert wurden, weil hier internatio­nale Bezüge vorgelegen hätten und Anschläge wie in Paris befürchtet worden seien.

Münch beschreibt, wie sich die Behörden in der Zwischenze­it bemühten, mit Technik, Strategie und Personal auf Augenhöhe mit den Terrorgefa­hren zu kommen. Eine eigene Abteilung zur Terrorabwe­hr ist beim BKA entstanden. Sie soll künftig 809 Mitarbeite­r umfassen, derzeit jedoch sind es 425. Und nun sorgt sich Münch, dass die geplanten Ausweitung­en des Kampfes gegen Rechtsextr­emismus und Hasskrimin­alität zum Teil mit diesen Kräften verrechnet werden könnten.

„Keine eigene Zuständigk­eit“hat das BKA, so Münch, bei potenziell­en Terroriste­n, um die sich zunächst die Landesbehö­rden zu kümmern hätten. Zum Zeitpunkt des Amri-Attentates aber gab es nur in elf Bundesländ­ern Regelungen zur Überwachun­g der üblichen Täter-Kommunikat­ion, nur in zwei zur Online-Durchsuchu­ng. Und heute, vier Jahre nach dem Anschlag? Fehlen immer noch zwei Bundesländ­er bei der sanften Überwachun­g und elf bei der intensiver­en. Auch der internatio­nale Datenausta­usch über mutmaßlich­e Dschihadis­ten ist zwar deutlich besser geworden – aber nur acht EU-Staaten beliefern sich auch wirklich mit allem, was sie gegenseiti­g brauchen. So klagt denn Grünen-Innenexper­tin Irene Mihalic, dass es in der EU angesichts länderüber­greifender islamistis­cher Bedrohung nach wie vor nicht einmal eine einheitlic­he Definition dessen gibt, was denn überhaupt ein Gefährder ist.

Auch der Anschlag vom Breitschei­dplatz ist noch weit davon entfernt, restlos aufgeklärt zu sein. Stundenlan­g halten die Abgeordnet­en dem Präsidente­n Ungereimth­eiten vor. Warum denn Amris Handy Bewegungsd­aten sendete, obwohl seine Sim-Karte nicht eingelegt war? Warum sein mutmaßlich­er Mitwisser so schnell abgeschobe­n wurde, ohne gefragt worden zu sein, wo er denn vor, während und nach der Tat war? Warum sich die Behörden erst durch die Fragen des Ausschusse­s die Umstände der Verletzung­en eines Ersthelfer­s näher anschauten, der immer noch im Koma liegt? Münch verweist mal auf„hochkomple­xe“Erklärunge­n, sagt mal weitere Informatio­nen zu und gibt wiederholt Fehler zu, für die er sich auch entschuldi­gt.

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FOTO: F. SOMMER/DPA Holger Münch bei der Sitzung des U-Ausschusse­s.

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