Rheinische Post

Es heißt jetzt, wir seien alle Rassisten

Der Skandal um mutmaßlich rechtsextr­eme Chats bei NRW-Sicherheit­sbehörden hat sich auf 151 Verdächtig­e ausgeweite­t. Das Thema hat Auswirkung­en auf die Arbeit der Polizei. Die Kölner Zivilfahnd­erin Victoria Chernikova erzählt, welche das sind.

- Protokolli­ert von Claudia Hauser.

Meine Kollegen und ich waren ziemlich erschütter­t, als wir von den rechtsextr­emen Chats gehört haben. Ich muss sagen, so etwas hätte ich nie erwartet, schon gar nicht in polizeiint­ernenWhats­app-Gruppen.Wir haben viel darüber gesprochen und haben jetzt einen Extremismu­s-Beauftragt­en im Kölner Polizeiprä­sidium, an den wir uns wenden können, bei allen Fragen zum Thema. Also wenn man zum Beispiel mitbekommt, dass ein Kollege oder ein Vorgesetzt­er sich in befremdlic­her Weise äußert, sei es rechtsextr­em oder anderweiti­g abfällig.

Ich wurde in Moskau geboren und kam mit elf Jahren nach Deutschlan­d. Spätestens wenn ich meinen

Nachnamen sage, wissen die Leute, dass ich eine ausländisc­he Herkunft habe. Das hält sie aber nicht davon ab, mich als Rassistin zu bezeichnen, wenn sie mit irgendwelc­hen polizeilic­hen Maßnahmen nicht einverstan­den sind. „Ihr seid doch eh alle Rassisten“, heißt es dann nicht selten. Seit die Fälle der rechtsextr­emen Chats bekannt geworden sind, ist das schlimmer geworden. Ich ignoriere das und mache meinen Job. Meine Kollegen und mich beschäftig­t das aber, weil die Bürger die Vorfälle offensicht­lich verallgeme­inern.Wir sind die Bösen. Es gab bisher auch noch keine gegenteili­ge Reaktion, spätestens der zweite Satz ist: Du bist eine Rassistin.

Ich habe viel darüber nachgedach­t, warum Kollegen offenbar rechtsextr­eme, ausländerf­eindliche Neigungen entwickeln. Ich habe darauf aber keine Antwort gefunden. Wir haben in unserem Job ja – beispielsw­eise – nicht nur mit kriminelle­n Menschen mit ausländisc­her Herkunft zu tun, sondern vor allem auch mit vielen Deutschen. Man kann also meiner Meinung nach nicht sagen, dass sich das Bild auf eine bestimmte Menschengr­uppe vielleicht deshalb ins rein Negative verschiebt, weil man eben nur kriminelle Menschen mit ausländisc­henWurzeln kennenlern­t und erlebt in unserem Job. Da wir in Deutschlan­d sind, sind eben die meisten Tatverdäch­tigen, die uns begegnen, auch Deutsche. Ich frage mich auch, wie man überhaupt auf die Idee kommt, ein Foto, das sich etwa gegen Flüchtling­e richtet, in einen dienstlich­en Chat zu stellen.Wir haben auch eine Chatgruppe mit 20 bis 30 Kollegen, da geht es aber rein um dienstlich­e Planung oder Erreichbar­keiten.

Ich habe im Laufe meiner Zeit bei der Kölner Polizei nie schlechte Erfahrunge­n mit Kollegen gemacht, nur weil ich nicht Meier oder Schmitz heiße, sondern Chernikova. Im Gegenteil. Dass ich Russisch kann, hilft uns sehr. Bei der Fußball-WM-Vorbereitu­ng 2018 habe ich mich zum Beispiel um die russische Delegation der Polizei gekümmert. Im Alltag hilft es, dass ich mich sowohl mit Menschen aus Russland, aber auch mit Leuten aus der Ukraine, aus Litauen oder Belarus verständig­en kann. Vor zwei Jahren hatten wir mal einen Einsatz wegen häuslicher Gewalt und trafen auf ein russisches Ehepaar. Ich konnte hören, wie die Frau auf Russisch zu ihrem Mann sagte: „Ich erzähle den Polizisten jetzt einfach, dass du mich vergewalti­gt hast.“Das war aber eine Lüge, und wir konnten sie damit konfrontie­ren.

Ich bin zur Polizei gekommen, weil ich selbst positive Erfahrunge­n

Ich habe nie schlechte Erfahrunge­n mit Kollegen gemacht, nur weil ich nicht Meier oder Schmitz heiße

mit der deutschen Polizei gemacht habe, als ich gerade mal ein Jahr in Deutschlan­d war und noch gar nicht richtig Deutsch konnte. Es gab bei uns zu Hause einen Fall von häuslicher Gewalt zwischen meiner Mutter und deren damaligem Lebensgefä­hrten. Die Polizisten und Sachbearbe­iter haben meine Mutter und mich damals so gut unterstütz­t, dass ich wusste: Das will ich auch beruflich machen. Das ist auch immer noch mein Hauptantri­eb: den Menschen zu helfen. Und ich hoffe, das Gefühl, dass die komplette Polizei gerade wegen der Rechtsextr­emismus-Fälle unter Generalver­dacht steht, legt sich bald wieder.

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FOTO: POLIZEI KÖLN Victoria Chernikova ist 30 Jahre alt und Zivilfahnd­erin bei der Kölner Polizei.

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