Rheinische Post

David Lynch orakelt im Kreativbun­ker

Der Kultregiss­eur sendet jeden Morgen einen Wetterberi­cht aus seinem Keller. Die auf angenehme Weise unheimlich­en Clips sind bei Youtube abruf bar.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

LOSANGELES­Jeden Morgen sitzt David Lynch im Keller an einer Werkbank und begrüßt die Zuschauer. Hinter dem Regisseur („Blue Velvet“) gibt es oben in der Wand einen Fenstersch­litz, durch den tastet sich die Sonne herein. Zur Choreograf­ie gehört, dass Lynch sich kurz umdreht und mit dieser gepressten

Stimme sagt: „Here in L.A. a clear morning, very still right now.“Der Satz ist immer gleich, denn in Los Angeles ist es morgens immer klar.

David Lynch betreibt seit einiger Zeit seinen eigenen Youtube-Kanal, „David Lynch Theater“heißt er, und seit Mai gibt es dort jeden Tag einen Wetterberi­cht zu sehen. Die Filme dauern etwa eine Minute, der Ablauf ist ritualisie­rt: Lynch mit Sonnenbril­le in einem bis oben zugeknöpft­en Hemd nennt Datum, Wochentag und Temperatur in Fahrenheit und Grad Celsius. Es ist total beruhigend.

Man fragt sich, ob der 74-Jährige die Clips en masse vorproduzi­ert oder ob er vom selben Hemd mehrere Exemplare besitzt. Man freut sich, wenn Details wechseln, wie die Kaffeetass­e, aus der es mal dampft und mal nicht. Manchmal haben die Bilder einen Blaustich, dann vernebelt Dunst den Blick, am nächsten Tag ist alles kristallkl­ar. Das Beste an diesen angenehm unheimlich­en Statusmeld­ungen aus dem Kreativbun­ker sind die Hinweise auf die Wirklichke­it draußen.

„A lot is going on in the world“, orakelt Lynch am 27. Oktober. Einmal gedenkt er der Einwohner von

New Orleans, die wieder von einem Sturm heimgesuch­t wurden. Am 26. Oktober kündigt er an, dass „bessere Zeiten kommen, aber noch nicht da sind“. Dazu gibt er eine Song-Empfehlung, die er aber nur ausspricht, nicht anspielt: „Roads“von Portishead,„House of the Rising Sun“von den Animals oder etwas von Captain Beefheart. Am 30. Oktober ehrt er die Postboten, von denen ja gerade so viel abhänge, und zitiert„Please Mr. Postman“von den Marvelette­s.

In den 2000er-Jahren sendete Lynch schon malWetterb­erichte aus seinerWerk­statt. Damals besuchten ihn Promis wie Laura Dern. Nun ist er alleine. Und das Tröstliche an diesen süchtig machenden Filmen ist, dass sie immer mit der Aufforderu­ng enden:„Everyone, have a great day!“

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