Klimawandel
Deutschland hofft auf einen Neuanfang in den transatlantischen Beziehungen. Der Wechsel im Weißen Haus dürfte Strahlkraft in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben – schmerzhafte Streitpunkte aber werden bleiben.
Es ist ein Satz, der mehr ist als ein typisches Politikerversprechen: „Lasst uns jetzt einander eine Chance geben“, sagte Joe Biden in seiner ersten Rede, nachdem klargeworden war, dass er der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein würde. „Lasst uns einander eine Chance geben“ist eine vorsichtige, aber klare Aufforderung, eine Einladung, die, wie er immer wieder betonte, sowohl an seine Wähler geht als auch an jene, die ihn nicht gewählt haben.
So gab sich Joe Biden als der verständnisvolle, behutsame und auf Ausgleich bedachte Mann, den viele die vergangenen vier Jahre im Weißen Haus so vermisst haben. Und dass sich mit dem 77 Jahre alten, gläubigen Katholiken irischer Abstammung ein so maßvoller Charakter in der mächtigsten Position der Welt wähnt, wird Strahlkraft haben. Bidens ersteWorte an die Nation haben eine internationale Dimension.
In Deutschland ist vor allem Erleichterung zu spüren. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schrieb in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, dass mit Bidens Wahl „die Hoffnung auf Verlässlichkeit, Vernunft und die beharrliche Arbeit an Lösungen in einer unruhigenWelt“verbunden sei. Außenminister Heiko Maas (SPD) warb für einen„New Deal“in den transatlantischen Beziehungen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wünschte Biden undVizepräsidentin Kamala Harris „von Herzen Glück und Erfolg“.
Die erste Reaktion der Kanzlerin war indes etwas für Feinschmecker des diplomatischen Stils. Nicht per E-Mail, nicht per Presseerklärung, sondern per Twitter – also auf der bevorzugten Kommunikationsplattform des abgewählten US-Präsidenten – gratulierte sie via Regierungssprecher Steffen Seibert Trumps Nachfolger und der künftigenVizepräsidentin Kamala Harris. Und während Trump noch darauf bestand, die Wahl gewonnen zu haben, stellte Merkel fest: „Die amerikanischen Bürgerinnen und Bürger haben entschieden. Joe Biden wird der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.“
Deutlich anders war ihr Glückwunsch vier Jahre zuvor ausgefallen. Zunächst hatte sie an die gemeinsamenWerte erinnert und sie einzeln aufgeführt: Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung. Und dann erklärt: „Auf der Basis dieser Werte“biete sie dem künftigen Präsidenten Trump eine enge Zusammenarbeit an. Gegenüber Biden drückte sie ohne jede Einschränkung ihre Freude auf die Zusammenarbeit aus.
Dass Merkel ihre Glückwünsche ausdrücklich an Biden und Harris als Team adressierte, ist auch bemerkenswert: 2016 hatte sie nur Trump gratuliert, nicht seinem Vize Mike Pence. Harris ist die erste Frau, die zur Stellvertreterin eines US-Präsidenten gewählt wurde. Merkel war 2005 die erste Frau, die Chefin einer Bundesregierung wurde.
Politisch also ist der transatlantische Klimawandel mit Händen zu greifen. Und auch was die deutsche Wirtschaft betrifft, dürfte Bidens Wahl zumindest in gewissem Maße positive Impulse bringen. Nach Ansicht des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung liegt das vor allem daran, dass die neue US-Regierung zu einem großangelegten neuen Konjunktur- und Investitionsprogramm bereit ist, das die Chance auf eine rasche wirtschaftliche Erholung der USA nach der Corona-Krise erhöht. Die Trump-Administration hatte ein solches Programm vor der Wahl noch verweigert. Da die Mehrheit im Senat weiter unklar ist, könnte das Investitionsprogramm nach Einschätzung der Experten allerdings kleiner ausfallen als im Wahlkampf angekündigt.
In ihrer Kurzstudie kommen die Forscher zu dem Schluss, dass auch der transatlantische Handel vom Machtwechsel im Weißen Haus profitieren wird. Biden werde den Streit mit der EU auf dem Verhandlungswege beilegen wollen – auch um die Europäer als Verbündete in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung mit China zu gewinnen. Denn der Konflikt mit der Volksrepublik dürfte auch unter dem neuen Präsidenten fortgesetzt werden.
Schließlich erwarten die Ökonomen, dass Joe Biden der internationalen Klimapolitik neuen Schwung gibt und verstärkt Investitionen in die technologische Entwicklung zukunftsträchtiger Felder wie der Wasserstoffwirtschaft oder der Solarenergie tätigt.
In anderen Bereichen wird der 77-Jährige keine Kehrtwende machen: Biden wird wie Trump auf eine Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben dringen und wahrscheinlich auch weiter versuchen, die Ostseepipeline Nord Stream 2 zwischen Deutschland und Russland auszuhebeln. Auch der von Trump angekündigte Abzug von einem Drittel der 36.000 stationierten US-Soldaten wird wohl nicht rückgängig gemacht werden.
Was sich mit dem Weggang Trumps aber in jedem Fall ändern wird, ist der Umgang, das Klima, die gesellschaftliche Stimmung – in den USA und auch in Europa. Denn Autokraten wie Viktor Orbán, Recep Tayyip Erdogan undWladimir Putin bekommen nicht mehr den Rückenwind aus demWeißen Haus, den sie unter Trump genießen durften. Im Biden-Plan heißt es ausdrücklich: „Zusammen können und müssen sich Demokratien gegen den Aufschwung von Populisten, Nationalisten und Demagogen stellen.“
Autokraten dürfen nicht mehr auf Rückenwind aus Washington hoffen