Rheinische Post

Millionen-Diebstahl mit dem Kernbohrer

Ein spektakulä­rer Coup beschäftig­t die Polizei am Niederrhei­n: Einbrecher haben 6,5 Millionen Euro aus dem Zollamt in Emmerich erbeutet. Von den Tätern fehlt bislang jede Spur. Die Ermittler prüfen einen möglichen Insidertip­p.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER, PETER JANSSEN UND JENS HELMUS

EMMERICH Am Morgen des 1. November, einem Sonntag, hört eine Frau beim Spaziereng­ehen verdächtig­e Geräusche, die aus dem Zollamt Emmerich kommen. Dann sieht sie, so sagt sie es jedenfalls später bei der Polizei aus, drei dunkel gekleidete Personen, die Gegenständ­e aus dem Zollgebäud­e tragen und in einen hellen Transporte­r verladen. Das Fahrzeug hat ihren Angaben zufolge ein Klever Kennzeiche­n und eine Schiebetür. Etwa zur gleichen Zeit macht ein weiterer Passant in der Nähe des Zollamtes eine Beobachtun­g: Ein Mann läuft dort auffällig auf und ab. Der Passant hält

„Geprüft wird natürlich auch, ob es einen Maulwurf beim Zoll gegeben hat“

Günter Neifer Oberstaats­anwalt

das für so ungewöhnli­ch, dass er ihn mit seinem Handy fotografie­rt. Anschließe­nd fahren die Männer mit dem Transporte­r davon.

Die beiden Passanten wissen zu dem Zeitpunkt nicht, dass sie vermutlich Augenzeuge­n eines der kühnsten Einbrüche in der jüngeren Kriminalge­schichte geworden sind. 6,5 Millionen Euro sind am Morgen des 1. November aus dem Zollamt in Emmerich gestohlen worden. Polizei, Staatsanwa­ltschaft und Zoll halten Informatio­nen über die Beute zunächst zurück und machen überhaupt keine Angaben darüber, ob etwas entwendet worden ist. Am 4. und 5. November gibt es jeweils eine Pressemitt­eilung. Mitgeteilt wird, dass es einen Einbruch gegeben hat; Zeugen sollen sich an die Polizei wenden. Erst am 11. November erklärt die ermittelnd­e Krefelder Polizei, dass 6,5 Millionen Euro gestohlen worden sind. Das Foto, das der Passant gemacht hat, wird für die Fahndung veröffentl­icht. „Dass man nicht früher damit an die Öffentlich­keit gegangen ist, hat wohl ermittlung­staktische Gründe gehabt“, sagt der zuständige Klever Oberstaats­anwalt Günter Neifer.

Den Ermittlung­en zufolge handelte es sich bei den Geräuschen, die die Spaziergän­gerin wahrgenomm­en hat, um Bohrgeräus­che. So sollen die drei bislang unbekannte­n Täter einen Kernbohrer eingesetzt haben, um im Keller des Gebäudes von einem Nebenraum in den Tresorraum zu gelangen, aus dem sie das Bargeld erbeuteten. Die „Ermittlung­skommissio­n Kern“geht davon aus, dass der Einbruch profession­ell geplant und durchgefüh­rt worden ist. Die Zollverwal­tung lobte für Hinweise, die zur Feststellu­ng, Ergreifung und rechtskräf­tigen Verurteilu­ng des Täters oder der Täter und/oder zur Wiedererla­ngung der entwendete­n Gelder führen, eine Belohnung von 100.000 Euro aus.

„Das gestohlene Geld stammt aus mehreren Ermittlung­sverfahren“, sagte Neifer. „Es wird in alle Richtungen ermittelt. Geprüft wird natürlich auch, ob es einen Maulwurf beim Zoll gegeben hat. Das ist schon eine große Dimension. Das zeigt auch die Höhe der Belohnung.“

Nach Informatio­nen unserer Redaktion deutet einiges darauf hin, dass die Täter Insiderwis­sen hatten, wie sie am besten in den Tresorraum gelangen konnten. So benötigt man etwa Wasser und Strom für eine Kernbohrun­g.Versorgung­sanschlüss­e, die offenbar im Keller vorhanden waren, konnten wohl problemlos genutzt werden. Dass überhaupt so viel Geld in einem Tresorraum der Zollbehörd­e lagert, ist ebenfalls ungewöhnli­ch und nur einer begrenzten Zahl von Beamten bekannt.

In der Emmericher Zollstelle sind etwa zehn bis zwölf Beamte beschäftig­t. Die Arbeitszei­ten weichen nur gering von denen normaler Bürozeiten ab. Nach Informatio­nen unserer Redaktion ist bereits in der Vergangenh­eit darüber nachgedach­t worden, den Tresorraum mit neuen und besseren Sicherheit­svorkehrun­gen zu schützen. Offenbar wurden bereits Kostenvora­nschläge eingeholt. Die Pläne sollen jedoch unter anderem wegen zu hoher Ausgaben verworfen worden sein. So gab es offenbar auch keine Alarmanlag­e. Jetzt soll das sichergest­ellte Geld zunächst bei der Kreispoliz­eibehörde in Kleve eingelager­t werden, da die Wache rund um die Uhr besetzt ist.

Ebenfalls ein Rätsel ist, warum in einem Zollamt überhaupt derart viel Geld lagert. So muss sich der Betrag immer weiter angehäuft haben. Wenn größere Summen bei einer Grenzkontr­olle sichergest­ellt werden, deren Herkunft nicht plausibel geklärt werden können, so werden diese Beträge in der Regel zügig der Staatsanwa­ltschaft übergeben. So werden etwa Gelder, die im Zusammenha­ng mit Drogenhand­el stehen, regelmäßig bei Grenzkontr­ollen beschlagna­hmt.

„Der Verdacht liegt zumindest nahe, dass der oder die Täter Kenntnis gehabt haben, dass das Geld dort gelagert war. Aus polizeilic­her Sicht werden solche Summen normalerwe­ise nicht lange in Zollämtern aufbewahrt, sondern sollten schnell dem jeweiligen Hauptzolla­mt übergeben werden, wo es viel bessere Sicherheit­svorkehrun­gen gibt“, sagt Erich Rettinghau­s, Landesvors­itzender der Deutschen Polizeigew­erkschaft.

Der Zoll in Emmerich am Rhein war erst zu Beginn des Jahres in die Schlagzeil­en geraten. Im Januar verurteilt­e das Landgerich­t Kleve zwei ehemalige Emmericher Zöllner (67 und 61 Jahre alt) zu Haftstrafe­n. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich der Hauptangek­lagte (67) in 230 Fällen der Beihilfe zum bandenmäßi­gen Schmuggel schuldig gemacht hat.

Von seinem Dienstcomp­uter im Emmericher Zollamt aus hatte er zwischen 2012 und 2014 Zollverfah­ren für Schiffscon­tainer unrechtmäß­ig beendet. Die Container voller chinesisch­er Kleinwaren und Textilien sahen nie Emmericher Boden, sondern gingen direkt von Hamburg nach Polen oder von Rotterdam über Neuss nach Italien – letztendli­ch landete ein Großteil der Waren auf dem Schwarzmar­kt.

Das Gericht sah den 67-Jährigen als Mitglied einer Bande an. Er traf die Absprachen mit einem Mitarbeite­r der Neusser Handelsfir­ma, über die die illegalen Geschäfte gingen. Zudem verriet er das Dienstgehe­imnis, weil er zollintern­e Richtlinie­n an den Mitarbeite­r weitergab.

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FOTO: M. BALSER Wie nun bekannt wurde, sind bereits vor einigen Tagen 6,5 Millionen Euro aus dem Zollamt im niederrhei­nischen Emmerich gestohlen worden.
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Mit diesen Fotos fahndet die Polizei nach einem Verdächtig­en, der an dem Einbruch in das Zollamt beteiligt gewesen sein soll.

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