Rheinische Post

Ein Land testet und schottet sich ab

China hat die Pandemie im eigenen Land eingedämmt. Die Gesellscha­ft zahlt dafür einen hohen Preis.

- VON FABIAN KRETSCHMER

PEKING Der Craft-Beer-Pub ist zu später Abendstund­e gut gefüllt, der Fußmassage-Salon hat seine Pforten geöffnet, und im Ecksuperma­rkt drängen sich die Kunden dicht an dicht zwischen Obstregale­n. Ein Land fast wie im Normalzust­and. Aus der Ferne lässt sich nur mit Staunen auf die täglichen Corona-Infektions­zahlen in China schauen: Während in Europa eine zweite Covid-Welle rollt, spielt das Ansteckung­srisiko in weiten Teilen der Volksrepub­lik bereits seit Monaten keine Rolle mehr. Zwar treten nach wie vor alle paar Wochen lokale Infektione­n auf, wie derzeit etwa in der westchines­ischen Stadt Kashgar. Doch in absoluten Zahlen bleiben diese meist im zweistelli­gen Bereich – und sind damit für eine Bevölkerun­g von rund 1,4 Milliarden geradezu verschwind­end gering. Selbst in Peking ist längst Alltag eingekehrt.

Das Erfolgsrez­ept der chinesisch­en Regierung beruht nicht auf geschönten Statistike­n. Wer die drakonisch­en Maßnahmen während des Frühjahrs in China vor Ort mitverfolg­t hat, dürfte wohl keine Zweifel an deren Effizienz hegen. Über mehrere Wochen haben die Behörden weite Landesteil­e in einen Lockdown versetzt, der nur wenig damit zu tun, was derzeit in Deutschlan­d oder Österreich passiert: Millionen von Chinesen in der am stärksten betroffene­n Provinz Hubei standen wortwörtli­ch hinter versiegelt­en Wohnungstü­ren.

Im Rest des Landes wurde die Bewegungsf­reiheit ebenfalls drastisch eingeschrä­nkt. Und eine 14-tägige Isolation ist ebenfalls nicht vergleichb­ar mit ihrem europäisch­en Pendant, wo das Ordnungsam­t per Telefonanr­uf kontrollie­rt. In China haben die Nachbarsch­aftskomite­es oftmals Sicherheit­skameras vor der Wohnungstü­r installier­t, oder aber man wurde gleich in ein staatlich zugewiesen­es Hotelzimme­r transferie­rt.

Ebenso wichtig wie die staatliche­n Maßnahmen war jedoch die Disziplin der Bevölkerun­g, die im öffentlich­en Raum praktisch ausnahmslo­s Masken getragen hat. Selbst in

Peking, über drei Monate nach den letzten Ansteckung­en im Stadtgebie­t, trägt noch immer das Gros der Bewohner einen Gesichtssc­hutz auf der Straße.

Wann immer nun ein lokaler Infektions­herd auftaucht, wie zuletzt in Qingdao, Wuhan oder Kashgar, gehen die Behörden nach dem selben Schema vor: Sie sperren die betroffene­n Wohnanlage­n für zwei Wochen zu und lassen sämtliche – oftmals mehrere Millionen – Stadtbewoh­ner innerhalb weniger Tage auf das Virus testen. Bislang konnte auf diesemWege eine überregion­ale Ausbreitun­g verhindert werden. Natürlich lassen sich solch drakonisch­e Maßnahmen weder in einer freien Demokratie umsetzen, noch mögen sie wünschensw­ert erscheinen. Ihre

Effizienz allerdings hat sich in der Volksrepub­lik bewährt.

Dennoch zahlt die Gesellscha­ft einen hohen Preis für den epidemiolo­gischen Erfolg. Das Land hat sich über alle Maßen abgeschott­et; eine Entwicklun­g, die wohl auch über die Corona-Krise hinaus Bestand haben wird. Dazu gehört nicht nur die gewünschte wirtschaft­liche Autarkie. Die Bevölkerun­g wird auch immer stärker vom freien Informatio­nsfluss des globalen Internets abgeschnit­ten, die Zensurbehö­rden haben ihre Richtlinie­n in den letzten Monaten zunehmend verschärft. Vor allem aber an den Landesgren­zen verschließ­t sich China dem Ausland mit einer Vehemenz, die im internatio­nalen Vergleich nahezu einmalig ist: Selbst langjährig­e Bewohner können nur in die Volksrepub­lik zurückkehr­en, wenn sie vor dem Abflug sowohl einen negativen Coronatest vorweisen können als auch einen Antikörper­test. Wer also jemals am Virus erkrankt ist, kann auf unbestimmt­e Zeit nicht in seine Heimat zurückkehr­en. In Großbritan­nien und Belgien helfen mittlerwei­le auch keine negativen Testresult­ate mehr, weil diese von den chinesisch­en Botschafte­n nicht anerkannt werden. Wahrschein­lich ist es angesichts der steigenden Infektions­zahlen nur mehr eine Frage der Zeit, bis das Einreiseve­rbot bald auch auf ganz Europa ausgeweite­t wird.

 ?? FOTO: HU HUHU/XINHUA/DPA ?? Sobald es einen lokalen Infektions­herd wie hier in Kashgar gibt, wird in China konsequent getestet.
FOTO: HU HUHU/XINHUA/DPA Sobald es einen lokalen Infektions­herd wie hier in Kashgar gibt, wird in China konsequent getestet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany