Kölner Tristesse
Geschlossene Kneipen, Alkoholverbot, leergefegte Straßen und Plätze. Einen 11.11. wie diesen hat es noch nie gegeben.
KÖLN Die gute Nachricht vorweg: Es ist schon weit nach Mittag und die Hauseingänge an der Zülpicher Straße sehen tadellos aus. Hier waren an diesem Mittwoch noch keine Wildpinkler und auch keine Menschen in Kostümen, die sich übergeben mussten. Undenkbar eigentlich an einem 11.11. in Köln. Die Laune hebt das aber noch lange nicht bei den Kölnern, die an diesem Tag eigentlich das Geschäft des Jahres machen.
Sinan Atik ist einer von ihnen. Seine Familie betreibt einen Kiosk auf Kölns Studenten-Feier-Meile im sogenannten Kwartier Latäng. An Karneval bauen die Atiks eigentlich einen Extratisch auf, über den hinweg sie Bier und Zigaretten wie am Fließband verkaufen. „Wir verkaufen am 11.11. doppelt so viel wie an einem normalen Tag“, sagt der 21-Jährige. Normalerweise. Immer an Karneval. Aber im Jahr der Corona-Pandemie kommt nur das Ordnungsamt vorbei. „Und die waren heute schon zehn Mal hier“, sagt Atik. Er darf weder Alkohol noch Glasflaschen verkaufen, das Verbot gilt bis Donnerstagfrüh.
Es herrscht eine beinah surreale Stimmung auf der Zülpicher Straße.Wenn wie in einem altenWestern Strohballen in Zeitlupe von einer zur anderen Seite wehen würden, würde das vermutlich auch niemanden irritieren. Der Karneval wurde abgesagt. Die Kneipen sind ohnehin geschlossen. In der Gaststätte „Bei Oma Kleinmann“sind die Rollläden unten. Hier feiern die Jecke eigentlich ab dem frühen Morgen. Stadt und Polizei hatten darauf gesetzt, dass die Appelle, die Menschen mögen zu Hause bleiben und auch dort nicht feiern, gehört werden. Selbst die KölnerWirte veröffentlichten am Dienstag ein Posting in den sozialen Netzwerken: „Bitte Köln, bitte bleibt zuhause!“Ein Fahrradfahrer bremst und zückt sein Smartphone. „Das muss man eigentlich für die Nachwelt festhalten“, sagt er und schießt ein Foto von der Zülpicher Straße, die an einem normalen 11.11. am Vormittag schon wegen Überfüllung von der Polizei gesperrt wird.
Ein junger Mann im Superman-Kostüm schlendert an der Kneipe „Stiefel“vorbei. Er hat ein Laserschwert in der einen und eine Plastikflasche mit Selbstgemixtem in der anderen Hand. Er ist der Einzige weit und breit, der sich ins Kostüm geschmissen hat. „Ich bin echt sehr erschrocken, dass hier wirklich gar nichts ist“, sagt der Student. Er sei deshalb nun in einer Findungsphase, wie der Tag enden könnte. „Man kann ja auch ein wenig feiern und sich trotzdem an die Regeln halten“, sagt er. Nur mit wem? „Eigentlich hab ich an Karneval immer Besuch aus ganz Deutschland. Das ist traurig heute.“
In der Kyffhäuser Straße – auch ein Lieblingsort der Karnevalsjecke – wirbt der Burger-Laden Freddy Schilling mit „Burger gegen Blues“. Erik Grimm wartet nebenan auf sein Mittagessen. „Es ist wie ein normaler Tag, außer dass viele Polizisten unterwegs sind, die gucken, dass auf gar keinen Fall gefeiert wird“, sagt der 29-Jährige. „Aber man hat es ja kommen sehen.“
Eine Gewinnerin dieses für Köln sehr ungewöhnlichen Tages könnte Julia Wenninger sein. Sie arbeitet in der Papeterie „Papelito“, die am 11.11. immer geschlossen ist. „Der Tag ist bei uns im Kalender eigentlich dick durchgestrichen“, sagt sie. Es war immer zu, seit Bestehen des Geschäfts 1996. An diesem Mittwoch sperrte Wenninger aber auf. „Aber offen gesagt ist es ein Totentanz hier auf der Zülpicher Straße“, sagt sie. „Es kommen noch weniger Leute als an anderen Wochentagen.“Sie glaubt: „Die Leute denken sich: Was soll ich in diesem Jahr am
„Eigentlich hab ich an Karneval immer Besuch aus ganz Deutschland. Das ist traurig heute“
Superman auf der Zülpicher Straße
11.11. bitte auf der Zülpicher Straße?“Auch am Alter Markt und rund um den Hauptbahnhof ist nichts los. Natürlich ist das eigentlich gut. Die Leute sollen zu Hause bleiben, bloß nicht feiern, das Coronavirus eindämmen. Und doch ist es ein trauriger, seltsamer Tag in Köln.
Der einzige Ort, an dem man ein paar kostümierte Menschen trifft, ist drüben auf der Schäl Sick. Etwa 120 Menschen demonstrieren auf der Deutzer Werft gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Eine Rednerin verkündet als Triumph, dass das Oberverwaltungsgericht in
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Einer der Corona-Skeptiker ist als Tod verkleidet. Auf seiner Sense steht: „Gestorben wird immer“. Wenn der Superman mit dem Laserschwert das sehen würde…Oben am Himmel schwebt ein Zeppelin. In pinker Schrift steht darauf: „Bleibt gesund“.
Im Düsseldorfer Rathaus erwacht unterdessen der Hoppeditz aus seinem Narrenschlaf – hinter Acrylglasscheiben. Mehr als 2000 Narren schauen ihm dabei über die Videoplattform Youtube zu. Eigentlich jubeln ihm Tausende Karnevalisten auf dem Rathausplatz zu. Doch diesmal ist es ein vollkommen stilles Hoppeditz-Erwachen.