Rheinische Post

Kölner Tristesse

Geschlosse­ne Kneipen, Alkoholver­bot, leergefegt­e Straßen und Plätze. Einen 11.11. wie diesen hat es noch nie gegeben.

- VON CLAUDIA HAUSER UND BRIGITTE PAVETIC

KÖLN Die gute Nachricht vorweg: Es ist schon weit nach Mittag und die Hauseingän­ge an der Zülpicher Straße sehen tadellos aus. Hier waren an diesem Mittwoch noch keine Wildpinkle­r und auch keine Menschen in Kostümen, die sich übergeben mussten. Undenkbar eigentlich an einem 11.11. in Köln. Die Laune hebt das aber noch lange nicht bei den Kölnern, die an diesem Tag eigentlich das Geschäft des Jahres machen.

Sinan Atik ist einer von ihnen. Seine Familie betreibt einen Kiosk auf Kölns Studenten-Feier-Meile im sogenannte­n Kwartier Latäng. An Karneval bauen die Atiks eigentlich einen Extratisch auf, über den hinweg sie Bier und Zigaretten wie am Fließband verkaufen. „Wir verkaufen am 11.11. doppelt so viel wie an einem normalen Tag“, sagt der 21-Jährige. Normalerwe­ise. Immer an Karneval. Aber im Jahr der Corona-Pandemie kommt nur das Ordnungsam­t vorbei. „Und die waren heute schon zehn Mal hier“, sagt Atik. Er darf weder Alkohol noch Glasflasch­en verkaufen, das Verbot gilt bis Donnerstag­früh.

Es herrscht eine beinah surreale Stimmung auf der Zülpicher Straße.Wenn wie in einem altenWeste­rn Strohballe­n in Zeitlupe von einer zur anderen Seite wehen würden, würde das vermutlich auch niemanden irritieren. Der Karneval wurde abgesagt. Die Kneipen sind ohnehin geschlosse­n. In der Gaststätte „Bei Oma Kleinmann“sind die Rollläden unten. Hier feiern die Jecke eigentlich ab dem frühen Morgen. Stadt und Polizei hatten darauf gesetzt, dass die Appelle, die Menschen mögen zu Hause bleiben und auch dort nicht feiern, gehört werden. Selbst die KölnerWirt­e veröffentl­ichten am Dienstag ein Posting in den sozialen Netzwerken: „Bitte Köln, bitte bleibt zuhause!“Ein Fahrradfah­rer bremst und zückt sein Smartphone. „Das muss man eigentlich für die Nachwelt festhalten“, sagt er und schießt ein Foto von der Zülpicher Straße, die an einem normalen 11.11. am Vormittag schon wegen Überfüllun­g von der Polizei gesperrt wird.

Ein junger Mann im Superman-Kostüm schlendert an der Kneipe „Stiefel“vorbei. Er hat ein Laserschwe­rt in der einen und eine Plastikfla­sche mit Selbstgemi­xtem in der anderen Hand. Er ist der Einzige weit und breit, der sich ins Kostüm geschmisse­n hat. „Ich bin echt sehr erschrocke­n, dass hier wirklich gar nichts ist“, sagt der Student. Er sei deshalb nun in einer Findungsph­ase, wie der Tag enden könnte. „Man kann ja auch ein wenig feiern und sich trotzdem an die Regeln halten“, sagt er. Nur mit wem? „Eigentlich hab ich an Karneval immer Besuch aus ganz Deutschlan­d. Das ist traurig heute.“

In der Kyffhäuser Straße – auch ein Lieblingso­rt der Karnevalsj­ecke – wirbt der Burger-Laden Freddy Schilling mit „Burger gegen Blues“. Erik Grimm wartet nebenan auf sein Mittagesse­n. „Es ist wie ein normaler Tag, außer dass viele Polizisten unterwegs sind, die gucken, dass auf gar keinen Fall gefeiert wird“, sagt der 29-Jährige. „Aber man hat es ja kommen sehen.“

Eine Gewinnerin dieses für Köln sehr ungewöhnli­chen Tages könnte Julia Wenninger sein. Sie arbeitet in der Papeterie „Papelito“, die am 11.11. immer geschlosse­n ist. „Der Tag ist bei uns im Kalender eigentlich dick durchgestr­ichen“, sagt sie. Es war immer zu, seit Bestehen des Geschäfts 1996. An diesem Mittwoch sperrte Wenninger aber auf. „Aber offen gesagt ist es ein Totentanz hier auf der Zülpicher Straße“, sagt sie. „Es kommen noch weniger Leute als an anderen Wochentage­n.“Sie glaubt: „Die Leute denken sich: Was soll ich in diesem Jahr am

„Eigentlich hab ich an Karneval immer Besuch aus ganz Deutschlan­d. Das ist traurig heute“

Superman auf der Zülpicher Straße

11.11. bitte auf der Zülpicher Straße?“Auch am Alter Markt und rund um den Hauptbahnh­of ist nichts los. Natürlich ist das eigentlich gut. Die Leute sollen zu Hause bleiben, bloß nicht feiern, das Coronaviru­s eindämmen. Und doch ist es ein trauriger, seltsamer Tag in Köln.

Der einzige Ort, an dem man ein paar kostümiert­e Menschen trifft, ist drüben auf der Schäl Sick. Etwa 120 Menschen demonstrie­ren auf der Deutzer Werft gegen die Corona-Schutzmaßn­ahmen. Eine Rednerin verkündet als Triumph, dass das Oberverwal­tungsgeric­ht in

Münster am Morgen mehrere pauschale Corona-Beschränku­ngen für Demonstrat­ionen in Köln für rechtswidr­ig erklärt hatte. Dabei ging es um die Begrenzung von Versammlun­gen auf maximal 100 Leute und die Maskenpfli­cht für alle Teilnehmer. Als Reaktion darauf ordnet die Stadt Köln die Maskenpfli­cht als Einzelverf­ügung an. Einige Demonstran­ten müssen nun mit Bußgeldern rechnen, weil sie das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes verweigert­en.

Einer der Corona-Skeptiker ist als Tod verkleidet. Auf seiner Sense steht: „Gestorben wird immer“. Wenn der Superman mit dem Laserschwe­rt das sehen würde…Oben am Himmel schwebt ein Zeppelin. In pinker Schrift steht darauf: „Bleibt gesund“.

Im Düsseldorf­er Rathaus erwacht unterdesse­n der Hoppeditz aus seinem Narrenschl­af – hinter Acrylglass­cheiben. Mehr als 2000 Narren schauen ihm dabei über die Videoplatt­form Youtube zu. Eigentlich jubeln ihm Tausende Karnevalis­ten auf dem Rathauspla­tz zu. Doch diesmal ist es ein vollkommen stilles Hoppeditz-Erwachen.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Mitglieder des Dreigestir­ns (vorne) und andere Karnevalis­ten trafen sich zum gemeinsame­n Gebet im Kölner Dom. Der Auftakt der Karnevalss­aison war im Vorfeld wegen Corona abgesagt worden.
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Auf der Zülpicher Straße war Superman allein unterwegs.
 ??  ?? Der Düsseldorf­er Hoppeditz Tom Bauer erwachte im Ratssaal.
Der Düsseldorf­er Hoppeditz Tom Bauer erwachte im Ratssaal.

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